Analyse : Die Götterdämmerung von Joe Kaeser hat begonnen

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Die Götterdämmerung von Joe Kaeser hat begonnen. Technik-Vorstand Roland Busch muss sich ein knappes Jahr als eine Art "Chef-Lehrling" bei Siemens bewähren, ehe ihm Kaeser die Führung des Münchner Technologiekonzerns übergeben soll. So will es der Aufsichtsrat - und leitet den Chefwechsel damit früher ein, als viele gedacht haben.

Dabei ist Kaeser längst nicht fertig mit seinen "Visionen", wie er die beiden Pläne zum Umbau von Siemens getauft hat. "So etwas macht man normalerweise nicht mitten im Konzernumbau", sagt Fondsmanager Ingo Speich vom Sparkassen-Vermögensverwalter Deka, der den Konzernen beim Thema gute Unternehmensführung auf die Finger schaut. Busch übernimmt praktisch eine Baustelle.

Finanzfirmen: "Execution ist alles"

Doch die Investoren sind des Siemens-Chefs nach sechs Jahren überdrüssig geworden. "Herr Kaeser sollte das Ruder möglichst schnell übergeben", fordert Portfolio-Managerin Vera Diehl von Union Investment. "Was zählt, sind nicht Visionen, sondern handfeste Fakten. In den Ergebnissen spiegelt sich das noch nicht wider." Busch steht damit von Anfang an unter Druck: "Kaesers Nachfolger muss liefern. Execution ist alles."

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Belegschaft zermürbt: "Viele nicht mehr stolz, für Siemens zu arbeiten"

Auch intern ist von der Begeisterung für Kaeser nicht viel geblieben, der 2013 den glücklosen Peter Löscher ablöste. Der ehemalige Finanzvorstand setzte damals nicht mehr nur auf Wachstum, sondern auf die Ergebnisse. Negative Sondereffekte und Pannen gehörten der Vergangenheit an, die Konzernstruktur wurde vereinfacht. "Aber seine Maßnahmen haben sich verbraucht", sagt heute ein Aufsichtsrat, der ungenannt bleiben will. Die ständige Umstrukturierung habe die Siemens-Belegschaft zermürbt. "Viele Mitarbeiter sind nicht mehr stolz, für Siemens zu arbeiten."

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Riesige Sparten ausgegliedert, verkauft, fusioniert

So stark wie Kaeser hat kein Vorstandschef seit 50 Jahren den Industriekonzern umgebaut, nicht einmal Heinrich von Pierer, der 1999 die Chip-Tochter Infineon und die Elektronik-Sparte Epcos an die Börse brachte. Kaeser trennte sich von der Licht-Sparte Osram, brachte die Windkraft-Tochter bei der spanischen Gamesa unter, brachte die Medizintechnik unter dem Namen Siemens Healthineers an die Börse, in der - bisher vergeblichen - Hoffnung auf eine große Übernahme.

2020 will er als Schlusspunkt die Mehrheit an der margenschwachen Energietechnik über einen Börsengang abgeben. Und wenn Kaeser nicht den Widerstand der EU-Kommission unterschätzt hätte, wäre auch die Verkehrstechnik mit dem französischen Erzrivalen Alstom fusioniert worden.

Kaeser wollte Investoren gefallen - und härter sein als aktivistische Finanzfirmen

Kaeser wollte den Investoren gefallen, den aktivistischen Anlegern immer einen Schritt voraus sein. Doch die Aktie machte nie die erhofften großen Sprünge: Mit 97 Euro steht sie heute wieder da, wo sie vor fünf Jahren schon lag. "Vielleicht hat er zu viel auf einmal angepackt", glaubt Diehl. "Man kann sagen, er hat seine Versprechen nicht eingehalten." Kaeser habe die Strategie von US-Konzernen wie Honeywell abgekupfert, die sich auf die Automatisierung konzentriert hätten - die aber anders als Siemens bereits hohe Margen lieferten. Speich geht weniger hart ins Gericht mit ihm: "Das Zielbild eines digitalen Konzerns ist noch nicht erreicht. Und auch die Profitabilität lässt zu wünschen übrig. Der Umbau braucht eine gewisse Zeit."

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Zwei Kernbereiche bleiben übrig

Viel Zeit, sich einzugewöhnen, wird Busch nicht haben. Sein Vorteil: Der 54-Jährige hat sein ganzes Berufsleben bei Siemens verbracht, für das Tagesgeschäft war er schon bislang zuständig. "Der Konzern muss ganz schnell wieder wachsen, um nicht selbst zum Übernahmeobjekt zu werden", fordert ein Aufsichtsratsmitglied. Busch traut man zu, die Unternehmen auszumachen, die Siemens im künftigen Kerngeschäft mit der Vernetzung von Städten und Gebäuden (Smart Infrastructure) und in der Automatisierung der Produktion (Digital Industries) voranbringen. 20, vielleicht 30 Mrd. Euro Umsatz mehr sollten es sein. Die Finanzierung dürfte kein Problem sein - wenn sich Siemens zurzeit Geld leiht, bekommt der Konzern aufgrund seiner hohen Bonität sogar Zinsen.

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Aber auch Michael Sen, der das Energie-Geschäft nach der Abspaltung in den Dax führen soll, hat große Aufgaben vor sich: Erst einmal muss er die Investoren überzeugen, bei denen das Geschäft mit großen Gasturbinen keine Lobby mehr hat. Und dann braucht er ein neues Geschäftsmodell, damit der neue Konzern tatsächlich zu einem "Powerhouse" wird, wie es intern genannt wird. "Siemens Power muss zum Musterfall für die Energiewende in Deutschland werden", fordert der Aufsichtsrat. Davon ist das Unternehmen weit entfernt: So herrscht zwischen dem traditionellen Kraftwerksgeschäft und Siemens Gamesa mit seinen Erneuerbaren Energien quasi Funkstille.

Und was wird aus Kaeser?

Und was wird aus Kaeser? Der 62-Jährige hatte sich offenbar ausgerechnet, nach dem Abschied aus dem operativen Geschäft nach der zweijährigen "Abkühlphase" Aufsichtsratschef der Siemens AG zu werden. Doch zum einen hat Amtsinhaber Jim Hagemann Snabe, der als ehemaliger SAP-Manager die notwendige Digitalisierungs-Kompetenz mitbringt, Gefallen an seiner Aufgabe gefunden.

"Nur wenn aus Joe Kaeser wieder Josef Käser wird"

Zum anderen sieht man bei Investoren, aber auch im Konzern einen Aufsichtsratschef Kaeser inzwischen kritisch. Allenfalls bei Siemens Power könne man sich ihn in dieser Funktion vorstellen, "aber nur, wenn aus Joe Kaeser wieder Josef Käser wird", sagt ein Unternehmens-Insider. In seiner Zeit bei Siemens in den USA hatte er seinen Geburtsnamen amerikanisiert. "Doch das wäre für ihn nur zweite Wahl", glaubt ein einflussreicher Investor. Eher werde Kaeser anderswo eine Aufsichtsrats-Karriere starten. Bei Daimler gehört er dem Gremium schon seit 2014 an.

(Von Alexander Hübner, Reuters/APA/red)

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Bei Siemens ist das Ende der Amtszeit von Vorstandschef Joe Kaeser in Sicht. In einer Hinsicht kann Kaeser jetzt schon zufrieden sein: Es wird einen geregelten Übergang geben, anders als seine zwei Vorgänger wird er nicht gestürzt.

Siemens-Chef Kaeser ist einer der bekanntesten deutschen Spitzenmanager - und folgt bei seinem bevorstehenden Abschied einem Leitspruch, dessen Umsetzung wenigen gelingt: Geh, wenn es am schönsten ist. Denn zum nahenden Ende der Ära Kaeser steht der Münchner Industriekonzern zweifellos besser da als zu Beginn 2013. Kaesers zwei Amtsvorgänger Klaus Kleinfeld und Peter Löscher mussten den Siemens-Chefsessel jeweils vorzeitig räumen, nun wird es wieder einen geregelten Wechsel geben.

Der Vertrag des 1957 geborenen Niederbayern läuft Anfang 2021 aus, der Siemens-Aufsichtsrat bestellte Technik-Vorstand Roland Busch vergangene Woche zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden. Diese Aufgabe gab es vorher nicht im Vorstand, Busch ist damit quasi offizieller Kronprinz.

Die Siemens-Aufseher haben sich aber in einer vieldeutigen Formulierung sämtliche Optionen offen gehalten: "Über die Nachfolge und den Zeitpunkt der Nachfolge von Joe Kaeser als Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG wird der Aufsichtsrat im Sommer 2020 entscheiden", hieß es in der Mitteilung.

Das lässt sowohl zeitlich als auch personell Spielraum in jeder Hinsicht: Eine Lesart ist, dass Kaeser bereits vor Ende seines Vertrags den Stab übergeben soll. Doch ist zumindest theoretisch nicht einmal eine Vertragsverlängerung ausgeschlossen. Und eine Jobgarantie für Busch bedeutet die Formulierung ebenfalls nicht.

Eine Art Vermächtnis-Aufsatz hat Kaeser bereits veröffentlicht: Im "Harvard Business Manager" zog er seine Bilanz der vergangenen vierzig Siemens-Jahre, Überschrift: "Gewinne sind nicht das einzige Ziel." Der Manager macht sich zum Fürsprecher eines inklusiven Kapitalismus, der der Gesellschaft dienen soll.

Siemens-Beschäftigten, die das Papier studieren, fällt daran allerdings etwas auf: Kaeser hat Siemens in den vergangenen sechs Jahren systematisch auf höhere Gewinnmargen getrimmt. Und in der 2018 beschlossenen "Vision 2020+" hat sich der Siemens-Vorstand unter Kaesers Ägide für die Zukunft dauerhaft hohe Renditeziele verordnet, die der Konzern in dieser Form in der Vergangenheit nie erreicht hat. Kaeser ist gelernter Finanzer, kein Ingenieur oder Naturwissenschaftler.

Auch Arbeitnehmervertreter billigen dem ewig rastlosen Kaeser zu, dass er kein eiskalter Manager, sondern tief überzeugt ist, das Beste für Siemens und die Mitarbeiter zu wollen. Anders als andere DAX-Konzernchefs mischt Kaeser sich in die Tagespolitik ein und bezieht Stellung gegen die AfD und Rechtspopulisten, was ihm sogar Morddrohungen einbrachte.

Doch auch in dieser Hinsicht ist das Bild ein wenig widersprüchlich: Siemens macht gute Geschäfte mit Staaten wie der Volksrepublik China, in denen sich die politische Repression in den vergangenen Jahren massiv verschärft hat, ohne dass Kaeser das jemals kritisiert hätte. Darüber erregte sich kürzlich im Bundestag FDP-Chef Christian Lindner. "Gute Geschäfte in allen Ehren, aber wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit dürfen nicht voneinander getrennt werden", sagte er an Kaesers Adresse, der sich anschließend dagegen auf Twitter verwahrte.

Finanziell und geschäftlich steht Siemens derzeit gut da: Das Unternehmen habe im dritten Geschäftsquartal "netto mehr verdient als seine drei Hauptwettbewerber zusammen", schrieb Kaeser kürzlich auf Twitter. Die Zeiten, in denen US-Konkurrent General Electric dem als träge verschrienen Ingenieursverein Siemens als Vorbild vorgehalten wurde, sind längst vorbei.

Doch ob Kaesers Strategie wirklich erfolgreich war, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Siemens ist seit Jahrzehnten eine Art unternehmerische Dauerbaustelle. Im vergangenen Jahrzehnt wurde die Grundsatzentscheidung getroffen, sich von sämtlichen Verbraucherprodukten zu verabschieden und sich auf das Industriegeschäft zu konzentrieren. Telefone, Waschmaschinen, Computer oder Glühbirnen stellt Siemens längst nicht mehr her.

Kaeser hat diese permanente Umstrukturierung nicht angestoßen, aber weiter forciert. Der eigentliche Siemens-Konzern wird immer kleiner. 2018 wurde die Medizintechniksparte ausgegliedert und an die Börse gebracht. Im kommenden Jahr soll nun die Energiesparte - "Powerhouse" genannt - mit knapp 90.000 Beschäftigten folgen. Unter dem Dach der Münchner Siemens-Zentrale verbleiben zwei Kerngeschäftsbereiche "digitale Industrien" und "intelligente Infrastruktur". 2007 hatte Siemens weltweit noch 475.000 Mitarbeiter, Ende nächsten Jahres werden es wohl weniger als 300.000 sein. (dpa/apa/red)