Wirtschaftspolitik : Deutschlands milliardenschweres Klimapaket im Überblick

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© Peter Martens

Mit einem milliardenschweren Maßnahmenpaket will die Große Koalition in Deutschland Bürger und Unternehmen zu klimafreundlichem Verhalten ermuntern. In einem gut 19-stündigen Sitzungsmarathon einigten sich die Spitzen der Koalition in Berlin auf ein Klimaschutzkonzept.

Seine Kernelemente: Massive Investitionen in den Klimaschutz, die Einführung eines nationalen Emissionshandels auch für Verkehr und Gebäude und die Einberufung eines Expertenrats, der jährlich die Umsetzung der Klimaziele überprüfen soll.

Finanzminister Scholz: Investitionen von 54 Milliarden Euro in den Klimaschutz

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich überzeugt, dass die Koalition damit "die Grundlagen dafür gelegt" habe, ihre Klimaziele bis 2030 umzusetzen - nämlich eine Verringerung des Ausstoßes an Treibhausgasen um 55 Prozent verglichen mit dem Stand von 1990. Bei ihren Beschlüssen hätten sich die Koalitionsspitzen von der Frage leiten lassen: "Wie kann man aus einem gut gemeinten Ziel eine gut gemachte Zielerfüllung machen?"

Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD) bezifferte die Höhe der geplanten Klima-Investitionen auf 54 Milliarden Euro bis 2023. Bis 2030 ist in dem Koalitionspapier ein Investitionsvolumen in dreistelliger Milliardenhöhe vorgesehen. Die Koalition will dennoch nicht von ihrem Ziel abrücken, keine neuen Schulden aufzunehmen. "Wir stehen zur schwarzen Null", sagte Merkel.

Scholz dankte ausdrücklich den jungen Klimaaktivisten von Fridays for Future: Diese hätten "uns alle aufgerüttelt". Die Beratungen wurden von Massenprotesten in zahlreichen Städten begleitet, an denen laut Fridays for Future allein in Berlin mehr als 270.000 Menschen teilnahmen.

Ein Preis für Abgase des Verkehrs, der Bauindustrie und jedes Hausbewohners

Die deutsche Kanzlerin hob zwei Instrumente hervor, die das Erreichen der Klimaziele sicherstellen sollen: Die Bepreisung des Ausstoßes von CO2 im Verkehrs- und Gebäudebereich und die Einführung eines Mechanismus, mit dem die Umsetzung der Klimaziele jährlich überprüft wird.

Die Einführung der CO2-Bepreisung stelle einen "Paradigmenwechsel" dar, sagte die Kanzlerin. Die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) sprach von einem "Neuanfang" in der deutschen Klimapolitik.

Zehn Euro je Tonne CO2

Das von der Koalition vereinbarte System eines Emissionshandels soll 2021 auf sehr niedrigem Niveau starten: Der Preis pro Tonne CO2 soll dann von zehn Euro im Jahr 2021 bis 35 Euro im Jahr 2025 ansteigen. Ab 2026 soll eine Versteigerung der Emissions-Zertifikate zunächst in einem Preiskorridor zwischen 35 und 60 Euro pro Tonne CO2 erfolgen.

Die Preise für den CO2-Ausstoß "fangen tatsächlich sehr niedrig an", räumte Merkel ein. Ziel sei es, "die Menschen auch mitzunehmen". Die CO2-Bepreisung war dabei einer der Hauptknackpunkte zwischen Union und SPD.

Als zweites Instrument des Klimapakets hob die Kanzlerin den geplanten Kontroll-Mechanismus hervor. "Dieser Mechanismus ist eine Art Garantie dafür, die Ziele zu erreichen", sagte Merkel. Bei der jährlichen Überprüfung lasse sich die Regierung von Experten unterstützen, sagte sie.

Eigenes Klimaschutzgesetz geplant

Das Klimakabinett der deutschen Regierung soll in den kommenden Jahren zu einer dauerhaften Einrichtung werden. Diese Mechanismen sollten in einem eigenen Klimaschutzgesetz festgeschrieben werde, das Teil der vereinbarten Klimapakets sei, sagte die Kanzlerin.

Das Maßnahmenpaket sieht zahlreiche weitere Punkte in unterschiedlichen Wirtschaftssektoren vor, unter anderem die Förderung von Elektromobilität und die Stärkung öffentlicher Verkehrsmittel sowie ein steuerliches Förderprogramm zur energetischen Gebäudesanierung.

Koalitionsvertreter werteten die Einigung als Beleg für die Arbeitsfähigkeit des rot-schwarzen Bündnisses. CSU-Chef Markus Söder sprach von einem "massiven Zurückmelden der Großen Koalition".

Die Umsetzung der von der Koalition beschlossenen Eckpunkte wird zahlreiche Gesetzesänderungen erfordern. Zum Teil wird die Koalition dabei auch auf die Zustimmung des Bundesrats angewiesen sein, weswegen sie auch bei Grünen und FDP um Akzeptanz werben muss. Diese Gespräche würden "sicherlich nicht einfach" werde, sagte Merkel.

Kritik von Umweltschützern

Umweltverbände und Oppositionspolitiker kritisierten die Klimabeschlüsse. Fridays for Future erklärte zu der geplanten CO2-Bepreisung: "Nochmal zwei Jahre warten ist skandalös." Der BUND sprach von einem "Stückwerk mit halbgaren Maßnahmen". Die Grünen sprachen von einer "historischen Pleite", die Linken kritisierten die Vereinbarungen als "unsozial und ineffektiv". (afp/apa/red)

Wichtige Weichenstellungen, aber kein großer Wurf - das deutsche Klimaschutz-Paket von CDU/CSU und SPD stößt in breiten Teilen der Wirtschaft überwiegend auf Kritik. Zwar sprachen Branchenverbände von wichtigen Beschlüssen. Das 50-Milliarden-Euro-Paket sei aber auch unausgewogen, ineffektiv und schädlich für den Standort Deutschland.

Die Spitzenverbände DIHK und BDI mahnten weitere Detailarbeit und schnelle Klarheit für Unternehmen an. Auch seien stärkere Entlastungen beim Strompreis nötig als bisher geplant.

Die deutsche Exportwirtschaft und Ökonomen warnten vor einem deutschen Alleingang bei der Energiewende. Wirtschaftsforscher sind uneins: Für das Kieler Ifw enthält das Paket "eine große Anzahl von Initiativen, die schlecht abgestimmt sind und daher mit hoher Wahrscheinlichkeit ineffektiv und teuer sein werden". Das Ifo-Institut machte zumindest Licht und Schatten aus. Vor einer Schwächung deutscher Fluggesellschaften warnte die Luftfahrtbranche.

Die Spitzen der deutschen großen Koalition hatten sich auf ein Maßnahmenpaket geeinigt, mit dem die Klimaschutz-Ziele für 2030 geschafft werden sollen. Als zentrales Element soll klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) einen Preis bekommen und Benzin und Diesel, Heizöl und Erdgas verteuern. Im Gegenzug für die CO2-Bepreisung über einen Handel mit Verschmutzungsrechten soll es Entlastungen und Anreize geben.

Der Industrie- und Handelskammertag (DIHK) mahnte eine Kosten-Nutzen-Rechnung der Maßnahmen an, "bevor das Paket in die Umsetzung geht". Mit der Einführung eines Handels mit Verschmutzungsrechten im Verkehr und bei Gebäuden sei zwar eine Entscheidung für "marktwirtschaftlichen Klimaschutz" getroffen worden. Die im Gegenzug geplanten Entlastungen bei den Stromkosten stünden allerdings in keinem Verhältnis zu den höheren Preisen für Diesel und Erdgas. Der Industrieverband BDI forderte rasch Klarheit über Belastungen, Entlastungen und Investitionsbedingungen. Das nationale CO2-Bepreisungssystem dürfe nur eine Zwischenlösung sein.

Für die Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ist das Gesamtpaket enttäuschend, der Einstieg in die CO2-Bepreisung und die Strompreis-Senkung seien zu zögerlich. Die Beschlüsse für Ökostrom reichten nicht, um das Ziel von 65 Prozent erneuerbarer Energien bis 2030 zu schaffen. Die Forderung nach einer Million Ladesäulen für E-Autos sei überdimensioniert. 350 000 öffentliche Ladepunkte für die geplanten zehn Millionen E-Autos seien vollkommen ausreichend.

Auch der Maschinenbauverband VDMA begrüßte den Einstieg in eine CO2-Bepreisung. Allerdings seien die vereinbarten Preise für die Tonne CO2 in den kommenden Jahren zu gering, und es gehe zu langsam. Kritisch sei, dass das Klimapaket immer noch aus einer Fülle von Einzelmaßnahmen und Subventionen bestehe: "Das birgt die große Gefahr, dass Gelder ineffizient eingesetzt werden."

Die kommunalen Unternehmen begrüßten, dass ein erster Schritt gemacht worden sei. Eine CO2-Bepreisung nun auch in Verkehr und Gebäude sorge für mehr Verursachungsgerechtigkeit, teilte der Verband VKU mit. Die geplanten Entlastungen beim Strompreis aber machten für einen durchschnittlichen Haushalt gerade einmal 20 Euro pro Jahr aus.

Auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) als Vertreter des öffentlichen Personen- und Schienengüterverkehrs sprach von einer für Wirtschaft und Verbraucher fairen CO2-Bepreisung. Sehr positiv sei die Stärkung des städtischen ÖPNV. Auch die Entlastungen beim Strompreis etwa für Schienenverkehr seien zu begrüßen.

Aus Sicht der Luftverkehrswirtschaft bringt die geplante Anhebung der Luftverkehrsteuer für den Klimaschutz gar nichts. Mit der Verschärfung des nationalen Alleingangs im wettbewerbsintensiven Luftverkehrsmarkt würden CO2-Emissionen nicht reduziert, sondern lediglich verlagert. Einnahmen aus der Luftverkehrsteuer sollten vielmehr für die Entwicklung nachhaltiger Kraftstoffe genutzt werden.

Die Meinungen führender Ökonomen fielen unterschiedlich aus. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) kritisierte, es fehle eine Strategie, Klimapolitik international voranzutreiben. "So ist zu befürchten, dass die deutschen Anstrengungen von höheren Emissionen im Ausland kompensiert werden und in Deutschland vor allem die Kosten hängen bleiben." Der Plan zur CO2-Bepreisung sei sehr defensiv und mutlos. Eine Ausweitung der Pendlerpauschale als Ausgleich für höhere Treibstoffpreise sei nicht zielführend und setze falsche Anreize.

Das Münchner Ifo-Institut sieht in der CO2-Bepreisung über Verschmutzungsrechte den richtigen Weg. Gleichzeitig sei es richtig, einen Ausgleich für diejenigen herzustellen, die überproportional betroffen seien. Problematisch am Klimapaket sei unter anderem, dass viele ergänzende Maßnahmen getroffen worden seien, die teuer seien und die Effizienzwirkungen beeinträchtigen könnten.

Aus Sicht des ZEW sind die Vorschläge "ein wichtiger Schritt hin zu einem effektiven Beitrag Deutschlands zur internationalen Klimapolitik". Jetzt sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass nicht nur der nationale, sondern auch der europäische Emissionshandel auf die Sektoren Verkehr und Wärme ausgeweitet wird.

Ähnlich äußerte sich der Außenhandelsverband BGA: "Um den beabsichtigten Klimaeffekt zu erzielen, wird es bei der konkreten Ausgestaltung nun darauf ankommen, dass sie auch von weiteren Ländern als vorbildlich bewertet wird - und nicht als abschreckendes Beispiel, wie der viel zu teure deutsche Alleingang bei der Energiewende." Der Handelsverband HDE warnte vor einer weiterhin hohen Kostenbelastung. Die Politik dürfe nicht immer mehr bürokratische Pflichten für die Unternehmen einführen. (dpa/apa/red)