Digitale Plattformökonomie : Der Maschinenbau erfindet sich neu

Plattformen

Auswirkungen der Plattformökonomie auf die Industrie unter Berücksichtigung digitaler Vernetzung und Geschäftsmodelle: Es werden Herausforderungen, Chancen und Zukunftsperspektiven im Kontext des digitalen Wandels sowie der IoT-Plattformen und Industrie 4.0 analysiert.

- © Industriemagazin Grafik

Vor acht Jahren hießen Plattformen noch „virtuelle Einkaufszentren“. Am 1. Januar 2010 startete in Dortmund das Forschungsprojekt: Logistics Mall, „ein virtuelles Einkaufszentrum, in dem Software-Anbieter und -Anwender sowie Logistik Dienstleister zusammenkommen“, hieß es damals in der Pressemitteilung des Fraunhofer IML. „Die Software wird individuell und anbieterunabhängig zusammengestellt und aus der Steckdose bezogen“, schrieben die Initiatoren. und die Idee ist heute aktueller denn je: Die Plattform - das Einkaufszentrum - aus Dortmund ist mittlerweile kommerzialisiert und digitale Influencer, Journalisten und Analysten schwärmen von der Plattformökonomie à la Amazon oder Alibaba. Allein viele Industrieunternehmen tun sich noch schwer, in Plattformen zu denken und damit neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Und auch viele Kunden müssen noch überzeugt werden.

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Die Evolution digitaler Plattformen

Plattformen sind heute mehr als reine Malls oder App Stores. Das Fraunhofer IAO hat zehn Merkmale einer Plattform definiert und nicht alles, was dem Anwender als Plattform verkauft wird, ist es am Ende auch. Eine saubere Definition fehlt, die digitale Plattformwelt dreht sich zu schnell, Mitarbeiter hüpfen von einem Unternehmen zum anderen, die Experten sind überall gefragt.

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Das Fraunhofer IAO hat aber einige Funktionen definiert, die, auch wenn nur in Teilen, von Plattformen erfüllt sein sollten: Plattformen müssen Geräte managen, Kommunikation der Geräte bieten, eine Dateninfrastruktur vorweisen, ein Informationssystem – auch extern – bieten, Analytics Services vorweisen, Delevoper Services anbieten, Sicherheit und Qualität gewährleisten, Geschäftsprozesse abbilden können und neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Nicht jeder Anbieter kann das und nicht jeder Kunde will das, aber die ersten Unternehmen starten bereits.

Revolution im Stahlhandel: Klöckner als Vorreiter der Plattformökonomie

Wer Stahl bestellt, der tut das meistens noch per Telefon, Fax oder E-Mail, hieß es vor drei Jahren bei Klöckner & Co. aus Duisburg. Das Unternehmen zählt zu den größten Stahlhändlern der Welt und forcierte damals den Plattformgedanken. Die Verantwortlichen sehen sich als Vorreiter der Digitalisierung der Branche. „Ein durchgängig digitales Order- und Produktionsmanagement ist nicht vorhanden. Der dadurch mehrfach unterbrochene Informationsfluss und die damit zusammenhängenden Intransparenzen führen dazu, dass auf allen Ebenen der Supply-Chain von zu vielen Marktteilnehmern viel Stahl gelagert wird.

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Darüber hinaus sind die Prozesskosten zu hoch“, heißt es in einer Analyse des Konzerns. Eine Plattform soll helfen. Und Gisbert Rühl geht sogar noch einen Schritt weiter. Der CEO kann sich vorstellen, kleineren Händlern seine Plattform anzubieten, um Prozesskosten zu minimieren. Ein „Amazon des Stahlhandels“ will das Unternehmen sein – immerhin 17 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet Klöckner mittlerweile online.

Trumpf's Axoom: Innovatives Konzept für die Zukunft der Blechbearbeitung

Klöckner bleibt die Ausnahme. In Ditzingen bei Trumpf plante man Ähnliches. Vor zwei Jahren kursierte der Begriff „App Store der Blechbearbeitung“ in den Medien. Wenig später war Axoom geboren, Store und Partner standen schnell bereit. Beispiel Gühring KG: Das Unternehmen stellte einen Schnittkraftrechner in den Store. In Entwicklung ist eine Navigator-App: Der Kunde gibt einen Werkstoff samt Bearbeitung ein. Die App schlägt vor, welches Werkzeug geeignet ist und ermöglicht zudem eine schnelle Bestellung. Darüber hinaus plant Gühring, Axoom auch intern als Plattform einzusetzen. Das Unternehmen fertigt auf selbst hergestellten Schleifmaschinen Präzisionswerkzeuge, und zwar in verschiedenen vollautomatisierten Werken. Von der Vernetzung dieser Maschinen verspricht sich Gühring großen Mehrwert, heißt es.

Was ist die Zukunft des Axoom-Stores?

Wer im Axoom-Store stöbert, findet auch den Stahlhändler Klöckner wieder. Die Duisburger bieten für Kunden eine App für einen Euro pro Monat an. Auch Linde Gase ist vertreten – Bulk Management ist das Stichwort. Dazu kommen Planungstools von kleineren Anbietern und sogar der Trumpf-Wettbewerber WiCAM. Neun Apps sind Stand Mitte Januar für die Redaktion verfügbar, einsehbar, da ist noch viel Luft nach oben und der Link im Shop zu „häufig gestellten Fragen“ führt ins Leere. Auch Analysten fragen sich im Gespräch mit der Redaktion, wie sich die Plattform zukünftig positioniert. Und Axoom verändert sich. Der Geschäftsführer Florian Weigmann, vor Axoom für die Cloudtechnologie bei Trumpf verantwortlich, verließ das Unternehmen im Dezember – eine offizielle Mitteilung gab es nicht.

Weigmann ist jetzt Chief Digital Officer bei Axxelia, ein Beratungs- und Softwarehaus für Quick Response Manufacturing in Freiburg. Eine Presseanfrage zu der Anzahl der Apps, der Zukunft und Strategie des Stores ließen Axoom und Trumpf bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Auch im Pressebereich finden sich seit April 2017 keine aktualisierten Informationen. Der Firmen-Blog mit dem Titel „Explore our Community“ endet auch im Mai 2017. In der Studie des Fraunhofer IAO zu IoT-Plattformen ist Axoom nicht vertreten.

60 Millionen für die Plattform

Neben der Axoom GmbH, verantwortlich für den Store, existiert auch eine Axoom Solutions GmbH, denn das Unternehmen legt einen anderen Schwerpunkt. Das Ziel: eine zentrale Plattform, um Informationen aus verschiedenen Systemen zu transportieren und diese zu vernetzen, heißt es. Man könnte auch sagen ein Betriebssystem. In einer Werbebroschüre schreiben die Verantwortlichen: „Mit der Axoom-Plattform haben Sie die Möglichkeit, alle relevanten Informationen Ihres Betriebs zu erfassen und zu verwalten – vom Auftragsmanagement bis zu Maschinenstatus-Informationen. Leistungskennzahlen sowie der Fortschritt der aktuellen Aufträge sind jederzeit zugänglich und transparent. Auf diese Weise kann Ihr Betrieb optimal gesteuert werden.“ Das hört sich nach einem anderen Geschäftsmodell als der App Store an.

MindSphere-COO Ralf Wagner spricht mit IM-Redakteur Robert Weber über Nutzen und Pläne von Mindsphere World.

MindSphere World

Vielleicht kommt alles aber auch ganz anders: Trumpf ist prominentes Mitglied in der neuen Nutzerorganisation MindSphere World – ein Verein, den 18 prominente Maschinen- und Anlagenbauer – darunter Rittal, Festo und Kuka – gegründet haben. Der Verein versteht sich als Community, um über Technologien, Standards und Anforderungen an Siemens MindSphere-System zu beraten und zu entscheiden und Stärken zu bündeln, um auch im internationalen Wettbewerb eine wichtige Rolle zu spielen. Beispiel: Kommunikationsstandard habe man, es fehle an der Semantik von Daten, wenn in Zukunft Apps aus verschiedenen Maschinen laufen oder sich Maschinen von unterschiedlichen Herstellern Informationen austauschen. Daran werde der Verein arbeiten, berichtet Ralf Michael Wagner, COO MindSphere. Bilaterale Abkommen gehören der Vergangenheit an.

Man könne auch in mehreren Plattformen aktiv sein, das schließe sich nicht aus, heißt es von den Unternehmen. Trotzdem: „Jeder geht davon aus, dass es zu einer Konsolidierung bei den Plattformen kommt“, erklärt Wagner im Interview. Wie viele bleiben? Vielleicht eine Handvoll.

Adamos: Eine eingehende Analyse der Industrie 4.0-Plattform

An Apps denken aber die Plattformbetreiber von Adamos – eine der jüngsten Industrie 4.0-Plattformen, die es zwar auch nicht, aus Zeitgründen, in die Analyse des Fraunhofer IAO geschafft hat, aber deren Unterstützer in der Untersuchung immerhin vertreten sind. Die FAZ schrieb, die Unternehmen DMG Mori, Dürr, Zeiss, Software AG und ASM wollten Siemens mit seiner Mindsphere Plattform, dem Platzhirsch, trotzen und einen Seitenhieb gab es auch für Trumpf und Axoom – man starte nicht bei null, sondern bringe 200 Mitarbeiter, 30 Applikationen auf fünf digitalen Marktplätzen (beispielsweise Celos, Tapio, Loxeo, Zeiss Apps) ein.

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Dazu kommen 60 Millionen Euro als Investment der Partner. Die Plattform stelle 80 Prozent aller Funktionen bereit, die eine anwenderspezifische App braucht, sagt Karl-Heinz Streibich, Vorstandsvorsitzender der Software AG. Der App-Anbieter gestaltet die restlichen 20 Prozent, vor allem seine individuelle Nutzeroberfläche und spezifische Anwendungen für seine Kunden zur vorausschauenden Wartung, zur Steuerung, zur Organisation der Fertigung oder zur Auswertung der Daten, heißt es in einem Bericht der FAZ. Daneben wollen die Partner auch den kleineren Unternehmen beratend zur Seite stehen. Und: IT-Talente müssen in Zukunft nicht mehr alleine von Dürr oder DMG rekrutiert werden.

Rolle der Messtechnik in der Industrie 4.0-Plattform

DMG und Dürr waren erstmal keine Überraschungskandidaten für eine Plattform. Doch was will Zeiss mit der Messtechnik bei Adamos? Ein mögliches Szenario: Bei DMG Mori fertigt ein Ingenieur einen digitalen Zwilling, der dann auf einer Maschine real produziert und im Anschluss von einer Zeiss-Maschine genau vermessen wird. Die Informationen aus der Messung speist das System dann wieder zurück in die Entwicklungssoftware aus der Plattform und dadurch lernt die Lösung, welche möglichen Fehler in der Konstruktion des digitalen Zwillings entstanden sind. Ist das dann schon Machine Learning, sammelt die Messtechnik vielleicht sogar Messdaten, die dann für neue Geschäftsmodelle aus der Plattform genutzt werden können oder anderen Anwendern zur Verfügung gestellt werden? Das gleiche Prinzip könnte auch bei Dürr-Lackiermaschinen in der Automobilindustrie gelten – die Anwendungen von Zeiss-Messtechnik sind eben vielfältig.

Plattformökonomie 2.0

Es geht nicht mehr nur um das Herunterladen von Applikationen ode Verbindungen von Geräten, sondern um den Austausch, die Rückmeldung von Informationen, Wissen auf der Plattform, um damit auch anderen Anwendern oder Anbietern einen Mehrwert zu verschaffen. In Zukunft könnte es dann heißen: „Ein anderer Maschinenbauer mit dem ähnlichen System hat neben der App X auch die App Y gekauft“ – bewertet hat er sie auch, Fragen zum Produkt oder zur App beantwortet die Maschinenbau-Community und App C wird gerne mit App D zusammen gekauft. Weitere Szenarien: Die Maschine ordert auf der Plattform selber Ersatzteile, sie lernt aus allen Unternehmensdaten der Plattform oder zieht sich ein Update oder, oder, oder. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Klingt bekannt?

Vielleicht ist es unrealistische Zukunftsmusik. Denn damit tun sich Unternehmen oft noch schwer – Stichwort Datenabfluss und Wettbewerbssorgen. Aber vielleicht wird das Preisgeben von Daten zukünftig auch auf einer Plattform neu vergütet – in Form von Geld vielleicht, früheren Updates oder Bonusapplikationen. Die Industrie steht noch am Anfang der Plattformökonomie, muss aber aufholen – wer hätte jemals gedacht, dass Amazon B2B-Cloud-Dienste anbietet oder Video on Demand-Bibliotheken entwickelt, die individuelle Vorschläge für den Filmabend machen. Der Charme der Plattform ist doch am Ende vor allem der neuer Erlösmodelle - oder geht da noch mehr?

Drei Szenarien für Plattformen

Ja, meinen Forscher. Perspektivwechsel: „Plattformen sind Enabler neuer Automationsarchitekturen“, meint Prof. Dr. Thomas Bauernhansl vom Fraunhofer IPA und skizziert drei Szenarien für die Zukunft.

Die Evolution der Automatisierung

Die Struktur ist statisch und weiterhin lokal. Es existieren reale, nicht-virtuelle Strukturen mit Plattformanbindung. Die Steuerungen sind mit IoT-Gateways ausgestattet oder werden direkt über OPC-UA verbunden. Die Daten gehen in die Cloud – ohne harte Echtzeit. Die Transparenz- und Überwachungsfunktionen basieren auf historischen Daten.

Das progressive Szenario

Die Struktur ist teilweise dynamisch, lokal verteilt und virtualisiert. Die Plattform ermöglicht eine virtualisierte Konfiguration. Es existieren softwaredefinierte Funktionalitäten unabhängig von der Steuerung. Harte Echtzeit ist Voraussetzung für den Software Service to Data-Ansatz. Erweiterte Funktionen aus der Plattform sind nutzbar – Stichwort: Informationsaustausch.

Das revolutionäre Szenario für die Plattformen

Die Struktur ist dynamisch und instanziiert auf der Plattform. Die vollständige Virtualisierung aller nicht prozessrelevanten Komponenten gehört dazu. Und eine vollständig softwaredefinierte Steuerung verändert vieles in der Fabrik. Es entsteht ein hartes Echtzeitbetriebssystem auf Plattformbasis. Und die Teilnehmer der Plattformen bieten intelligente Dienste auf Basis von Echtzeit-Kommunikation an.

Bauernhansl sieht die Plattform im Zentrum, nicht nur als Vertriebs- oder Einkaufskanal, sondern als Betriebssystem mit intelligenten Diensten auf Echtzeitbasis – eine Vision für die Fabrik der nahen Zukunft? Eines darf auf jeden Fall nicht passieren und die Gefahr ist durchaus real: Plattformen dürfen nicht zu Monopolisten in den Fabriken werden, die Industrie braucht auch einen Plattformmarkt.