IM-Expertenpool: Management : Der magische Trick: Wie man die Krise erfolgreich als Chance nutzt

Wir haben in einer empirischen Untersuchung 130 internationale Manager befragt, welche Faktoren während des Corona-Lockdowns entscheidend waren, um die Krise zu bewältigen. Dabei hat sich gezeigt, dass es vor allem zwei waren: die eigenen Mitarbeiter und innovationsorientierte Strukturen.

Doch eine kleine Geschichte vorweg: BüBa ist ein mittelständisches Büro- und Industriereinigungsunternehmen in Deutschland, das 2019 mit dem TOP-100-Innovationpreis ausgezeichnet wurde. Bedingt durch Corona gab es im März 2020 fast über Nacht eine riesige Nachfrage nach Desinfektionsmitteln. Unternehmen, Arztpraxen und private Haushalte: Plötzlich wollte alle Welt klein portionierende Spender, um sich die Hände wirksam desinfizieren zu können. Doch eine Gelegenheit zu entdecken, genügt nicht. Man muss sie auch nutzen.

Als Reinigungsdienstleister hatte das Unternehmen große Vorräte am Desinfektionsmitteln selbst – es ist ihr zentraler „Rohstoff“. Die Pumpspender dagegen fehlten ihnen für diesen völlig neuen Markt. Im ersten Schritt wandte BüBa sich an die üblichen Lieferanten. Doch deren Kapazitäten reichten bei weitem nicht aus. Was tun? Druck machen? Abwarten? Sich dem Schicksal fügen? Einem Mitarbeiter fiel eine Lösung ein: verkauft nicht auch Ikea Spender? Sofort wurden sämtliche Ikea-Filialen kontaktiert, in ganz Deutschland und auch im angrenzenden Frankreich.

BüBa kaufte alles, was zu bekommen war. Doch wie kann man die Massen an Spendern von dort schnellstmöglich zur Zentrale zu bringen? Klassische Logistik-Dienstleister waren nicht schnell genug. Erneut ließen sich die Mitarbeiter etwas Neues einfallen und nutzten die Mitfahrzentrale für den Transport. Auch für Abfüllung und Auslieferung musste BüBa neue Wege beschreiten – im Grunde wandelte sich das Unternehmen praktisch über Nacht von einem Dienstleistungsunternehmen zu einem erfolgreichen Produktionsbetrieb. Der neue Markt wurde durch ein hohes Ausmaß an Flexibilität erschlossen, getrieben durch die unternehmerische Herangehensweise der Mitarbeiter.

Der Schatz im eigenen Haus

Um dieses Muster systematisch zu untersuchen, haben wir 130 Manager aus dem Umfeld des Instituts für Entrepreneurship und Innovation der WU befragt, wie sie die Corona-Krise erlebt haben. Der Fall von BüBa erscheint dabei prototypisch. Es zeigte sich, dass bei den 130 Unternehmen die bestehenden Lieferanten nur bei 16 Prozent entscheidend für die unternehmerische Bewältigung der Krise waren. Auch die Kunden (24 Prozent), Kooperationspartner (29 Prozent) und Staat (20 Prozent) spielten eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Der eindeutige Schlüsselfaktor war auch hier mit über 70 Prozent die Innovativität der eigenen Mitarbeiter. Ihre Kreativität und ihr Einsatz war entscheidend für den Erfolg.

Auf den richtigen Nährboden kommt es an

Unsere umfangreiche Untersuchung bestätigt auch die Bedeutung von agilen und innovationsorientierten Strukturen. Gefragt nach den wichtigsten Lehren aus der Corona-Krise war dieser Faktor mit 66 Prozent der Antworten der mit Abstand am wichtigsten, weit vor Investitionen in IT (27 Prozent). Flache Hierarchien, Dezentralisierung und eine schnelle, lernorientierte und flexible Gestaltung von Prozessen ermöglichen es, sich verändernden Umweltbedingungen so anzupassen, dass eine Krise tatsächlich als Chance wahrgenommen werden kann.

Was die Ergebnisse für Unternehmen bedeuten (sollten)

Aus der hohen Bedeutung der Mitarbeiter und innovationsorientierter Strukturen folgt zweierlei:

Erstens sollten Unternehmen weiter in die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter investieren. Sie sind die Initiatoren und Treiber von Anpassungsreaktionen – oder eben die Verhinderer.

Um dieses Potenzial zur Entfaltung zu bringen, braucht es zweitens agile und innovationsorientierte Strukturen. Kommen diese Dinge zusammen, können Unternehmen die Krise tatsächlich als unternehmerische Chance nutzen. In unserer Studie haben tatsächlich 91 Prozent der Unternehmen neue Geschäftsmöglichkeiten identifiziert und knapp jedes zehnte sogar drastisch neue Möglichkeiten mit klarem Disruptionspotenzial entwickelt.

Nikolaus Franke ist wissenschaftlicher Leiter des Professional MBA der WU Executive Academy.