Interview : „Das Karussell wird schneller“

INDUSTRIEMAGAZIN: Was macht Industriemanager „mächtig“?

Harald Katzmair: Die Grundfrage lautet: Wer ist in dieser Welt strategie- und handlungsfähiger als andere? Wer besitzt die Ressourcen und hat auch die Fähigkeit, sie auf die Straße zu bringen? „Macht“ ist in dieser Betrachtungsweise also das Produkt aus Ressourcen mal Beziehungen. Als beste Annäherung an den Faktor Ressourcen hat sich der Umsatz jener Unternehmen erwiesen, in denen die Person eine Führungsposition besetzt.

Und welche Beziehungen machen Manager einflussreich?

Katzmair: Netzwerke sind nur dann entwicklungsfähig, wenn sie schnelle und langsame Kräfte in Verbindung bringen. Schnelle Kräfte sind etwa Medien oder Events: Hier kann man in kurzer Zeit etwas bewegen. Langsam sind zum Beispiel die politischen Verbindungen, bei denen es ja letztlich darum geht, gesetzliche Rahmenbedingungen mitzugestalten. Die Standfestigkeit und die Entwicklungsfähigkeit eines Managers ergeben sich aus dem Portfolio dieser Kräfte. Ein breites Portfolio verringert auch die Risiken, welche die sich immer schneller verändernde Umgebung mit sich bringt. Es ist eine Risikovorsorge.

Dieses Modell spiegelt sich auch empirisch?

Katzmair: Ja, die mittel- und langfristig wirklich Erfolgreichen weisen genau dieses Portfolio auf. Dies gilt übrigens nicht nur für Manager – man kann es eins zu eins auf Unternehmen anwenden.

Inwiefern?

Katzmair: Die stark Customer-orientierten Unternehmen unterliegen dem Risiko, dass die Zyklen und die damit einher gehenden Beziehungs-Zyklen so schnell werden, dass die Leute ausbrennen. Teilweise herrscht eine unglaubliche Rastlosigkeit, alles wird sofort entwertet, nichts wird erinnert. Es ist eine Art Kurzzeitgedächtnis – das ist die Burnout-Welt.

Auf der anderen Seite sehe ich Firmen, die nur in den langsamen Bereichen tätig sind, im Business-to-Government und in manchen B2B-Segmenten – Bereiche also mit hohem Sachkapital und langen Diskontierungs-Zeiträumen. Hier besteht das Risiko, so langsam zu werden, dass man nur mehr das „Langzeitgedächtnis“ behält – man kann zwar nichts mehr vergessen, steht aber still und entwickelt sich nicht mehr. So, als hätte man alle Ressourcen bereits investiert und nichts mehr übrig für Forschung oder Exploration. Solche Netzwerke können sich nicht erneuern, weil sie zu langsam sind. Die anderen können sich nicht entwickeln, weil sie zu schnell sind. Lesen Sie weiter ...

Verschieben sich in Ihren Augen die Portfolio-Anteile der Manager? Gerhard Roiss etwa sagt ganz offen, dass er für Vereine und Verbände einfach keine Zeit hat.

Katzmair: Allerdings. Es wird immer schwieriger, dieses Portfolio zusammenzuhalten, weil sich tendenziell alle Beziehungen im schnellen Bereich aufzulösen beginnen. Immer mehr Adhoc-Aktionen verhindern, dass man die längeren Wege gehen kann. Für langsame Zyklen bleibt immer weniger Zeit. Das ist ein reales Problem: Niemand hat mehr Zeit und Raum. Die Zyklen der Technologie greifen die Beziehungs-Infrastruktur immer stärker an, sie wird destrukturiert und destabilisiert.

War das denn früher wirklich anders?

Katzmair: Ludwig Scharinger hat einmal gesagt, er stecke ein Drittel seiner Energie in das Tagesgeschäft, ein Drittel in die Planung der nächsten ein oder zwei Jahre – und ein Drittel in die Frage: Was machen wir eigentlich in zehn Jahren? Das ist großbäuerliche Resilienz-Kultur im besten Sinne.

In zehn Jahren werden wir an der durchschnittlichen Verweildauer in den Aufsichtsräten gut ablesen können, dass sich das Karussell immer schneller dreht. Die Verstetigung der Karriere und der Aufbau von Sozialkapital, das alles wird immer schwieriger. Viele Manager lassen das auch bewusst beiseite. Aber was heißt das für die Beziehungen, und was heißt das für das Gefüge? In der neuen Generation gibt es immer mehr, die so agieren. Die wissen, dass sie am stündlich an der Börse ablesbaren Erfolg ihres Unternehmens gemessen werden. Zivilgesellschaftliches Engagement hat hier immer weniger Platz. Die Folge ist allerdings, dass diese Menschen an Resilienz verlieren – und mit ihnen das gesamte System. Die klassischen Rituale der Macht mögen einem dubios vorkommen, aber sie haben die Kräfte des Systems in gewisser Form übersetzt und zusammengehalten. Wenn statt strategischem Verhalten das taktische Verhalten überhandnimmt, geht auch Kultur verloren.

Genau aus diesem Grund ist es so wichtig, geschäftliche Beziehungen strategisch zu verstehen. Netzwerke haben nichts mit „Networking“ zu tun – wer mit jemandem auf einen Kaffee geht, hat noch keine Beziehung geschaffen. Die Manager, die in Österreichs Industrie langfristig erfolgreich sind, haben das genau verstanden – sie alle verfügen über ausgeglichene, breite Beziehungs-Portfolios.