Logistik : Brexit: Erste Zeichen für überparteilichen Kompromiss in London

Die EU demonstriert Gelassenheit vor einem möglichen "No Deal"-Brexit. Die EU-Kommission betonte in Brüssel, die Union sei darauf im Verkehrssektor ebenso vorbereitet wie im Gesundheitsbereich und bei der Lebensmittelsicherheit. Dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit der britischen Premierministerin Theresa May telefoniert habe, bestätigte ein Sprecher nicht.

Ein EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen am 12. April sei aus heutiger Sicht wahrscheinlich, erklärten Verkehrskommissarin Violeta Bulc und der EU-Kommissionsvizepräsident Jyrki Katainen. Die von der EU getroffenen Notfallmaßnahmen würden für einen begrenzten Zeitraum eine sichere Verkehrsverbindung über den Luftweg, auf der Straße und auf der Bahn garantieren, sagte Bulc.

Entsprechende Lizenzen und Zertifikate würden weiter anerkannt. Dies gelte unter der Voraussetzung, dass Großbritannien die Verkehrsunternehmen aus der EU genauso behandle. Zusätzlich sei die Transportinfrastruktur für Grenzkontrollen bei Verbindungen von Irland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden nach Großbritannien angepasst worden.

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Auch sei die Versorgung und die Sicherheit von Arzneimitteln in der EU im Fall eines "No Deal" gewährleistet, betonte die EU-Kommission nach zweijähriger Vorbereitung mit den EU-Staaten. Die EU-Staaten und die EU-Arzneimittelagentur würden die Lage permanent beobachten. Haustiere dürften weiter von Großbritannien in die EU einreisen, doch gebe es an der Grenze dafür neue Kontrollen.

Das britische Unterhaus will einen ungeregelten Brexit per Gesetz verhindern. Allerdings ist Großbritannien bezüglich eines weiteren Aufschubs über den 12. April hinaus von der EU abhängig. Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen darüber bei einem Gipfel am kommenden Mittwoch in Brüssel entscheiden. (apa/red)

Zu den aktuellen Entwicklungen im innenpolitischen britischen Tauziehen um den Brexit schreiben internationale Tageszeitungen:

"La Repubblica" (Rom):

"Gestern noch hat Mark Carney, Gouverneur der Bank of England, betont, dass das Risiko eines No Deals immer noch "sehr hoch" sei und dass es unmöglich sei, seine Folgen zu kontrollieren. Einige Stunden später änderte sich das Szenario radikal. Jetzt gewinnen die hektischen Verhandlungen (...) des seltsamen Paars May-Corbyn noch mehr an Bedeutung. Die britische Premierministerin und der Labour-Chef trafen sich gestern zum ersten Mal, um diese schwere Krise zu überwinden. Sie werden sich heute morgen wieder treffen, doch da es sich um zwei Dickköpfe handelt, gibt es nicht allzu viel Grund für Optimismus."

"Süddeutsche Zeitung" (München):

"Es ist Mays Schicksal, dass sie den richtigen Weg einschlägt - und ihr doch zugleich alle Welt vorwirft, sie habe diesen Schritt viel zu spät gemacht. Es ist ja auch zweifelsohne gut und überfällig, dass über Parteigrenzen hinweg geredet wird. Aber das allein wird nicht reichen. Letztlich wird vor allem May noch radikaler werden müssen bei ihrer späten Suche nach einem Konsens. Sie wird ertragen oder sogar befördern müssen, dass die Brexiteers, die sich in der European Research Group organisiert haben, die Tories verlassen. Das wäre dann die Spaltung der Partei, vor der sie alle gewarnt haben. Aber einen Kompromiss, der auf einen weichen Brexit zuläuft und Zustimmung im ganzen Unterhaus findet, wird sie nur ohne die unversöhnlichen Leaver zustande bringen; die Hardliner sind für eine nationale Einigung verloren."

"Frankfurter Allgemeine":

"Besser eine späte Kehrtwende als auf Dauer in der Sackgasse festzustecken. Premierministerin May ist also auf den Labour-Führer Corbyn zugegangen, nachdem Brexit-Ultras ihr die Gefolgschaft verweigert hatten. Was sollte sie auch sonst tun? Aus der EU ohne Abkommen austreten und Chaos anrichten? Oder die Sache auf die ganz lange Bank schieben? May hat wiederholt bekräftigt, dass der von ihr ausgehandelte 'Deal' die Grundlage für die Trennung sein müsse; das Unterhaus hat ihn drei Mal abgelehnt, doch andere Möglichkeiten auch verworfen. Und so beginnt jetzt kurz vor Ultimo die Suche nach einem überparteilichen Kompromiss. Klar, dass das den 'harten' Brexiteers missfällt. Denn jetzt bewegt sich die Suche nach einem Ausweg hin zu EU-freundlichem Terrain."

"Tagesspiegel" (Berlin):

"Für Brexit-Ultras wie den ehemaligen Außenminister Boris Johnson ist ein solcher 'soft Brexit' natürlich Teufelszeug. Doch May sollte sich vom Maulheldentum der Brexiteers nicht kirre machen lassen. Ihre Chance liegt jetzt darin, die politische Erklärung zum künftigen Wirtschaftsverhältnis zwischen der EU und Großbritannien im Sinne der Labour-Partei mit Blick auf eine enge Anbindung Großbritanniens an die EU nachzuschärfen. Sie ist Teil des von May mit der EU ausgehandelten Trennungsvertrags. Im Gegenzug könnte dann Labour helfen, diesen Deal über die Ziellinie zu bringen."

"Die Welt" (Berlin):

"Endlich kommt Theresa May zur Vernunft. Endlich denkt sie an das Wohl ihres Landes und nicht länger an die Interessen ihrer degenerierten Tory-Partei. Durch Mays Bereitschaft, zusammen mit Oppositionsführer Corbyn den Weg für einen sogenannten weichen Brexit - also eine enge Anbindung Großbritanniens an die EU - frei zu machen, gefährdet sie nicht nur ihre eigene politische Zukunft, sondern auch den Fortbestand der Tories. Dort wüten die Brexiteers, sie wittern Verrat und sinnen auf Rache. Gut möglich, dass die Parteienlandschaft in Großbritannien demnächst kräftig durcheinandergewirbelt wird."

"L'Union" (Charleville Mézières):

"(...) Sie beharrte darauf, ein Abkommen durchzusetzen, das ebenso konsequent vom Parlament abgewiesen wurde, sie gab, zumindest bisher, den Beziehungen zu ihrer eigenen Partei den Vorzug, statt mit der Opposition über einen Kompromiss zu verhandeln, und sie ging mit dem Paradox so weit, dass sie ihren Rücktritt in die Waagschale warf, wenn die Abgeordneten für ihren Text stimmen. (Politiker, die für den Fall ihres Erfolgs ihren Rücktritt versprechen, sind selten: Entweder haben sie ein Problem mit der Politik oder eine schwere psychische Krankheit.) Wenn die Politik unvorhersehbar ist, dann ist es die Wirtschaft ebenso. Während Experten, Ökonomen und Schamanen aller Länder das Schlimmste vorhersagen, ist die Arbeitslosigkeit auf dem niedrigsten Stand seit 40 Jahren und das Wachstum auf demselben Stand wie in Frankreich. Versuche das einer zu verstehen..." (dpa/afp/apa/red)