Landwirtschaft 4.0 : Aus der Cloud auf den Acker

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Zwei Zentimeter. So viel Toleranz darf sein. Aber nicht mehr, wenn sich das 20 Tonnen schwere Gespann über den Kartoffelacker zieht. Denn das Setzen der Erdäpfel ist Präzisionsarbeit. Sind sie nicht exakt in der Mitte des angehäuften Erdwalls, wachsen sie nicht so gut wie ihre Mitsetzlinge im Zentrum. Und jede verkümmerte Bodenfrucht senkt den Ertrag des Bauern. Damit das nicht passiert, erhält der Landwirt Unterstützung von oben. Anstelle des kirchlichen Segens regelt ein agrarisches Navigationssystem namens RTK die zentimetergenaue Aussaat. Moderne Traktoren fahren seit über Jahren zwar nicht autonom, aber immerhin weitgehend automatisch. Der stolze Traktorlenker muss zwar mit, hat aber, wenn das Feld einmal programmiert ist, nicht viel mehr zu tun, als seinem Arbeitsgerät bei der Arbeit zuzusehen.

https://youtu.be/CDy2_fJ2eLE Der serienmäßige Traktor fährt definitiv von selbst.

Präzisionspflanzung

Der Wettkampf um die Produktivität in der Landwirtschaft tobt nicht nur zwischen Saatgutherstellern und Düngerproduzenten. Auch in der Mechanisierung und Automatisierung ist noch Boden zu gewinnen, immerhin auf ökologisch weniger zweifelhafte Art. „Precision Farming“ nennen die amerikanischen Hersteller die Disziplin der Null-Fehler-Pflanzung. Und so heißt es statt Industrie 4.0 mittlerweile mindestens Bauer 4.5, vor allem wenn es nach dem weltweit zweitgrößten Traktorenhersteller CNH Industrial geht. Zu dem amerikanischen Konzern gehören Marken wie New Holland, Case ICH oder die in St. Valentin gefertigten Steyr-Traktoren. Kurz vor der Pariser Landwirtschaftsmesse SIMA will CNH mit seinem Demonstrationsmodell ACV (Autonomous Concept Vehicle) erstmals in Europa zeigen, dass bald noch mehr gehen wird, als ein bisschen automatisches Fahren. Das war bisher eigentlich schon erstaunlich ausgereift. Um die Unzulänglichkeit des aus militärischen Gründen relativ ungenauen GPS-Systems auszugleichen, wird mit einem Sendemasten die Position des Traktors zwischen Sender und mindestens fünf Satelliten exakt gepeilt. Mit solchen Systemen lässt sich fast schon jedes neue Agrarfahrzeug ausrüsten, von CNH ist bereits jeder verkaufte Mähdrescher „telematik-ready.“Um seine Scholle zu digitalisieren, fährt der Landwirt sie einmal ab. Das 3D-Modell lädt er in die Cloud hoch, und schon kann es mit dem fahrerlosen Ackerbau losgehen. Und nicht nur das: über Sensoren lassen sich auch Parameter wie Feuchtigkeit, Ertragskraft und Ernteerfolg messen. Was so entsteht, ist die beinahe hundertprozentig optierte Agrarfläche. Selbst bei diagonal aufeinandertreffenden Fahrstreifen wird die Saat so exakt gesteuert, dass keine Überschneidung entsteht.

Lasersensoren und Rundumkameras

„Hier sind wir schon ziemlich weit“, sagt Ulrich Sommer. Der Oberösterreicher ist bei Case IH für den Präzisionsackerbau in Europa zuständig. „nur mit autonomem Fahren hatte das bisher wenig zu tun, weil wir keine Hindernisse dynamisch erfassten.“ Mit einem Ziegelstein auf dem Fahrersitz konnte der Fahrer seinen Traktor auch mal alleine seine Runden drehen lassen – der dann jedes Hindernis niedergewalzt hätte. „Sensoren, die genau das verhindern und laufend die Umgebung vermessen, sind nun der nächste Schritt“, sagt Sommer. Das ACV ist mit Radar und der Lasertechnik Lidar ausgestattet. Zudem erfassen Kameras die Umgebung und übertragen die Aufnahmen auf den Tablet-PC des künftigen Technobauern. Der kann dann einen Bubentraum wahr werden lassen und einen riesigen 15-Tonner wie ein ferngesteuertes Auto fahren.

https://youtu.be/ZDgSQC9lPYg Der serienmäßige Traktor von CNH Industrial fährt einen abgespeicherten Parcours ab

Künftig doch mit Kabine

Um dem Demotrecker ein möglichst futuristisches Aussehen zu geben, durfte der Designchef von CNH ans Werk. Dort wo sonst eine geräumige Kabine des Bauern Thron umrahmt, hat David Wilkie kurzerhand einen geschwungenen Karrosseriedeckel platzieren lassen. „Natürlich werden Traktoren ohne Kabine in absehbarer Zeit nicht auf den Markt kommen, weil sie einfach nicht sinnvoll wären“, räumt Ulrich Sommer ein. „The project was great fun“, meint auch Chefdesigner Wilkie, zu seiner spacigen Traktorstudie. Nicht gar so viel zu lachen hat der „Head of Data Analysis“, Antonio Marzia – für ihn beginnt die Arbeit jetzt. Im Lauf des kommenden Jahres werde man mit ausgewählten Kunden erste Pilotprojekte starten. Das Interesse sei vor allem dort groß, wo riesige Flächen bewirtschaftet werden – etwa in Ostdeutschland, im Osten Frankreichs oder Ukraine. Irgendwann ab 2020 sei man dann so weit, dass man den Autotraktor in den Marktbetrieb nehmen kann. Zu der Aussage, ob der dann am Sonntag auch selbstständig zur Kirche fährt, wollte sich bei CNH niemand versteigen.