Serie Lieferkette optimieren : Arbeitsorganisation: Sauberer Schnitt

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Noch ist eine beliebte Kopfbedeckung im Paschinger Produktionswerk der Bauhelm. „Ja, wir sind mitten in der Erweiterung des Werks“, blickt Thomas Saiko, Werkleiter bei Trumpf Maschinen Austria, hinüber zu den Baggern und Arbeitern in Baumontur. Ab Herbst wird er schon anderes erspähen. Im Oktober soll dort, wo jetzt die Baumaschinen hämmern, bereits just in time gefertigt werden. Fast 30 Millionen Euro steckte der Maschinenbauer in den Ausbau – die Produktionsfläche für Biegemaschinen wächst durch zusätzliche Hallen allein um gut ein Fünftel. An extrem kurzen Durchlaufzeiten wird sich auch dieser Bereich der Trumpf-Fertigung messen lassen müssen – denn Auftragslage und Auslastung in Pasching sind gut. So gut, dass den Mitarbeitern der Fließlinien zuletzt eines ganz besonders in Mark und Bein überging – zu antizipieren. Nicht aus einer passiven Rolle heraus, wie es andere Fertigungen mit falschem Stolz zelebrieren. Um auf Kapazitätsänderungen frühzeitig planerisch einzuwirken, hat die Trumpf-Fertigung das Ohr am Verkauf. „Eine Holschuld der Produktion, keine Bringschuld des Verkaufs“, sagt Saiko dogmatisch.

Der Klassiker seien Industriemessen: Hier seien Spitzen bei der abgefragten Maschinenzahl noch „am zuverlässigsten vorhersagbar“, so Saiko. Auch von anderen Aktivitäten und Ereignissen am Markt erfährt die Produktion von Vertriebskollegen frühzeitig. Das bringt die Oberösterreicher in eine komfortable Lage: Dank „multiqualifizierter Mitarbeiter“ (Saiko) können sie abteilungsübergreifend jederzeit Kapazitäten verschieben, wenn irgendwo Not am Mann ist. Selbst dass Büroleute in die Fertigung beordert werden, ist gelegentlich schon vorgekommen. Für andere undenkbar – in Pasching der Normalzustand: Mitarbeiter, die sonst ausschließlich für Verbesserungsmaßnahmen zuständig sind, springen etwa „bei der Inbetriebnahme ein“, erklärt Saiko.

Marktschwankungen glätten

Erst waren Rezepte gegen die Krise gefragt. Jetzt welche gegen Volatilität, Lieferdruck und Hyperwettbewerb. In Pasching nennt man das Kind beim Namen: Die Herausforderung sei, „Marktschwankungen so weit wie irgend möglich zu glätten“, sagt Trumpf-Maschinen-Austria-Werkleiter Thomas Saiko. Eine konkrete Handlungsanweisung, die auf jeden Betrieb passt, kann es jedoch nicht geben: „Eine Fabrik atmet über Fertigbestände, die andere über Lieferzeiten“, sagt Saiko. Die angestrebte Zielgröße ist in beiden Fällen aber eine höhere Flexibilität. So gab in einer Studie der Großteil der 76 befragten Betriebe wenig überraschend an, bereits Methoden der schlanken Fertigung anzuwenden, um dem Marktdruck standzuhalten. Allein: Nicht jedem gelingt das derart erfolgreich, dass er damit zum Best-Practice-Beispiel taugt. Zu kurzer Atem bei der Führungsebene, eine Mentalität des „Drüberfahrens“ über Mitarbeiter, dubiose Produktionsgurus, die das Blaue vom Himmel versprechen und sich dann mit vollen Taschen aus dem Staub machen – vielfältige Gefahren lauern auf Betriebe, die ihre Arbeitsorganisation umkrempeln wollen.

„Der richtige Methodenset ist definitiv zu wenig“, bestätigt Thomas Wallner, Professor für Systemtheorie und SCM an der FH Steyr. Er ist einer jener, die eine „Kulturdiskussion“ unter Produktionsprofis angestoßen haben. INDUSTRIEMAGAZIN begab sich auf Spurensuche: Wer in der heimischen Industrie beim Kapitel Lean mitzieht, wer Vorreiter ist – und was eine gute Unternehmenskultur wirklich ausmacht.

„Heute weiß ich, was den Unterschied ausmacht.“ Werner Freilinger, Personalchef beim Wälzlagerhersteller SKF, kann auf eine bewegte berufliche Vergangenheit zurückblicken. Er arbeitete jahrzehntelang in der Automobilbranche, war langjähriger Mitarbeiter an der Akademie der Führungskräfte – und sieht jetzt alles klarer: „Sämtliche ‚Gurus‘ sind von Haus aus mit Vorsicht zu genießen, denn sie übernehmen keine konkrete Verantwortung“, meint er. 2009 begann man im Werk in Steyr mit dem Aufbau einer Unternehmenskultur, die Prinzipien wie KVP (kontinuierlicher Verbesserungsprozess) oder die Standardisierung von Arbeitsabläufen unterstützt. Fehler, wie sie bei anderen – auch Konzernen – zu beobachten waren, „versuchten wir tunlichst zu vermeiden“, so Freilinger.

Workshops in St. Gallen für das Topmanagement, günstigere externe Kurse für das mittlere Management und Inhouse-Schulungen für den Rest der Belegschaft – davon hält Freilinger heute wenig. „Wer sich dann wundert, dass die Mitarbeiter die Sprache des Managements nicht verstehen, ist selbst schuld“, meint Freilinger. Im SKF-Werk in Steyr lief es gleich vom Start weg anders. „Alle Mitarbeiter – bis hinauf zum Vorstand – erhielten 2009 idente Schulungen für Business-Exzellenz“, erzählt der SKF-Mann.

Der Betriebsrat war einbezogen – und trotz des branchenweiten Produktionseinbruchs 2009 gab es für die Etablierung der Kultur aus der Zentrale in Göteborg „keine ziffernmäßigen Vorgaben“, sagt Freilinger. Konkrete Zielvorgaben aber freilich schon – die da lauten: ständige Verbesserung von Prozessen, Produkten – unter Rücksichtnahme der Mitarbeitertugenden. Und so war die Auftaktschulung 2009 bei SKF eben genau das – ein Auftakt. Tägliche Verbesserungsmeetings in der Produktion, wöchentliche Meetings in den administrativen Bereichen sowie monatliche Besuche der „Practice Grounds“ durchs obere Management sorgen in Steyr seither dafür, dass diese Kultur nicht nur am Leben erhalten wird. „Sondern sich auch noch weiterentwickelt“, so Freilinger.

Thomas Wallner, Professor an der FH Steyr, der SKF als „Model of Good Practice“ beforscht hat, half auch im LKW-Werk von MAN in Steyr mit, innovative Führungs- und Arbeitskonzepte aufzusetzen. Heute gibt es dort ein ziemlich lebendiges Ideenmanagement, „das nicht mehr Einzelkämpfer, sondern die innovativsten Teams belohnt“, erzählt Wallner. Das Individuum steht bei den neuesten Managementansätzen wie HPWS (High Performance Work Systems, Hochleistungsarbeitssysteme) aber trotzdem im Mittelpunkt. Das ist theoretisch folgendermaßen unterfüttert: Jeder Mitarbeiter ist ein potenzieller Kandidat für eine Effizienzsteigerung. „Den wirklich dummen Job gibt es heute ja nicht mehr“, sagt Wallner. Gefragt seien vielmehr Mitarbeiter, die mitdenken und im richtigen Moment entscheidend in die Prozesse eingreifen können. Ein Beispiel: „Qualitätsentscheidungen“, so Wallner.

Das Ende der Standardprozesse?

In der Komfortzone sind Betriebe angesichts der explodierenden Variantenvielfalt und einer Rekordvolatilität nachweislich schon seit einiger Zeit nicht mehr – die Optimierung der internen Arbeitsvorgänge scheint also das Gebot der Stunde. Betriebe hätten gar keine andere Chance mehr, „als ständig steuernd in der Produktion einzugreifen“, ortet FH-Steyr-Systemexperte Thomas Wallner massiven Druck auf Organisationen. Der Standardprozess? Hat, so scheint es, ausgedient. Insofern sieht der Forscher den reinen Methodeneinsatz – ohne dass er systematisch Werkzeug einer Unternehmenskultur ist – erst mal sehr positiv: „Schon einzelne Methoden wie etwa 5S führen zu einer strukturierten Interaktion im Betrieb und einem einheitlichen Begriffssystem“, sagt Wallner. Was ihm weniger gefalle: „Methoden einzuführen und auf einen Selbstläufer zu hoffen“, sagt er. Nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ laufe es einfach nicht, weiß Wallner.

Eine Erkenntnis, die sich nicht mehr bis nach Kienberg bei Gaming herumsprechen muss. Dort, tief im Niederösterreichischen, hat das Österreich-Werk des amerikanischen Druckbehälterherstellers Worthington als mit Abstand teuerster Konzernstandort nur deshalb Überlebenschancen, „weil wir die Preissituation durch Produktivität und Liefertreue wettmachen“, berichtet Personalchef Franz Puchegger. Eine funktionstüchtige Arbeitsorganisation lässt sich aber nicht von heute auf morgen auf die Beine stellen.

„Wir mussten die Kommunikation in den unterschiedlichsten Teamkonstellationen mit hoher Frequenz vorantreiben, sonst hätten sich die Inhalte sofort wieder verflüchtigt“, erzählt Puchegger. Sechs Mitarbeitergespräche pro Jahr für die ganze Mannschaft („keine Befehlsausgabe“), dazu Zufriedenheitsumfragen: Dass die Niederösterreicher ihr Pensum durchziehen, wird auch beim Methodeneinsatz – in dem Fall ist es die Managementmethode Six Sigma – überdeutlich.

Bei 70 ausgebildeten „green belts“ und 20 ausgebildeten „black belts“ halten die Niederösterreicher aktuell – angesichts der 330 Mitarbeiter „eine Riesenanzahl“, ist auch Puchegger klar. Für ihn sei das aber der springende Punkt: Einem Produktionsguru für kurzfristige Effizienzsteigerungen Geld in den Rachen zu werfen – damit sei nur dem Produktionsguru geholfen. Wichtiger sei: „Jeder spricht im Werk dieselbe Sprache. Und das Management steht dazu.“

Externe Expertise einzuholen, und zwar über Jahre: Dafür spricht auf der anderen Seite vieles. Fast ein Jahrzehnt schon „setzen wir auf japanische Berater“, schildert Michael Timmermann, Geschäftsbereichsleiter im Werk Vreden des Sattelaufliegerherstellers Schmitz Cargobull. Alle vier bis acht Wochen finden mit den „Sensei“ Workshops statt – das klar umrissene Ziel: „die weitere Durchlaufzeitreduzierung“, sagt Timmermann.

Dabei gelang tatsächlich schon ein schöner Satz nach vorn: Noch vor zehn Jahren vergingen im Segment Kühl-Sattelaufleger – der Spezialität des Werks Vreden – vom Auftragseingang bis zur Auslieferung sechs bis zwölf Wochen. Im Vorjahr waren es nur mehr sieben Tage – heuer sind es sogar nur noch sechs. Eine Schrittfrequenz, in der es weitergehen soll. Das ehrgeizige Ziel: „Ein halber Tag Zeitreduktion pro Jahr“, gibt Timmermann zu Protokoll. Alle zwölf Minuten verlässt bereits ein Sattelauflieger das Werk. Gelungen ist das nur dank „250 bis 400 Workshops“ jährlich. Und der Motivationsarbeit am Standort. Das Toyota-Produktionsprinzip sei – anders als extrem methoden- und kennzahlenorientierte Systeme – „eine gute Basis“, sagt Timmermann.

Der Betrieb habe erkannt, wie wichtig die „mitarbeiterintegrierende“ Komponente sei. So wurden – und werden – die Monteure in viertägigen Workshops etwa zur „Selbstgestaltung der Montageplätze“ animiert. Auch starres Abteilungsdenken ist mittlerweile passé. Deutsche seien wohl „eher faktenorientiert – und in Sachen Methodenkompetenz ziemlich begeisterungsfähig“, meint Timmermann. Das sei per se nicht schlecht – so lange eben nicht die betriebliche Kultur vergessen werde. Timmermann: „Ich beobachte gerade da jüngst einen Umdenkprozess."