Management : 5 Thesen zur Digitalisierung der Industrie

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© Sergey Nivens - Fotolia

Sie sind so etwas wie Vorreiter in ihrer Branche: Getreu dem Leitsatz "Dienstleistung vor Produkt" hat sich das Salzburger Unternehmen Hagleitner vom Anbieter von Handtuchspendern zum Lösungspartner im Sanitärbereich gewandelt. Intelligente Spender beim Kunden übermitteln in Echtzeit ihren Füllstand an die Software in der Salzburger Hagleitner-Zentrale – und sorgen dafür, dass die Handtücher rechtzeitig ausgeliefert werden. Sensoren steuern die gesamte Logistik und spielen die Daten in die Rechnerwolke ein.

Ein prozesstechnisches Husarenstück, wie auch Oliver Loisel, Managing Partner bei ATLAS, findet: "Immer öfter kommt die Vernetzung von Technologien und Geschäftsprozessen mithilfe der IT in unserer Wirklichkeit an", beobachtet der Experte. Auch selbst war der in Wien ansässige Spezialist für Prozess- Consulting und -Design sowie Softwareentwicklung mit Niederlassungen in Deutschland und Dubai nicht untätig: Als Bereitsteller von Interim Management und Industrie 4.0-Lösungen war ATLAS von Start weg an der Ausgestaltung des großen Zukunftsentwurfs Industrie 4.0 beteiligt – unter anderem mit einer eigenen Car-2-Cloud-Software. Im Gespräch mit INDUSTRIEMAGAZIN legen Oliver Loisel und Gert Keuschnigg, Gründungsgesellschafter von ATLAS, ihre Kernthesen zu den Auswirkungen der vierten industriellen Revolution dar.

1: Supply-Chain-Management ist Schlüsselfaktor

Warum effizientes Lieferketten­management zur wichtigsten Größe der vollvernetzten Wirtschaft wird.

Es ist ein rauer Wind, der Supply-Chain-Management(SCM)-Leitern derzeit um die Nase weht: Ständig abnehmende Prognostizierbarkeit durch immer stärker fragmentierte Absatzkanäle, kürzere Produktlebenszyklen bei rasant wachsender interner Komplexität infolge steigender Variantenvielfalt und der Trend zur Losgröße 1 auf bestimmten Kundenwunsch beschreiben das Bild. Eine Kehrtwende ist nicht in Sicht. Somit kann der zentrale Ausgangspunkt von Industrie 4.0 in Unternehmen in der Produktion gesehen werden, ausgelöst durch die Kundennachfrage, die sich durch alle Unternehmensprozesse zieht.

Je stärker Unternehmen den Leitsätzen der Prozessautomatisierung zugunsten einer größeren Flexibilität auf volatilen Absatzmärkten folgen müssen, desto größer wird naturgemäß auch der Komplexitätsgrad. Das muss jene, die bereits ein IT-gestütztes Lieferkettenmanagement betreiben und den Schritt zur system- und organisationsübergreifenden Industrie 4.0 nicht verpassen wollen, nicht sorgen

– sie sind längst auf gutem Weg: "Für Unternehmen, die bereits State of the Art SCM betreiben, ist Industrie 4.0 alter Wein in neuen Schläuchen", nimmt Oliver Loisel, Managing Partner bei ATLAS, dem Thema etwas von seinem hartnäckig anhaftenden Mythos. Immerhin wurde der unmittelbare Austausch von Informationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette bereits vor mehr als 15 Jahren als wichtigste Zielgröße von SCM definiert – und einige Unternehmen haben seither nachweislich ihre Hausaufgaben gemacht: Der Automobilzulieferer Bosch gestaltet seine Wertströme seit Jahren nahezu verschwendungsfrei – dank elektronischer Plattform sogar unternehmensübergreifend. Fakt ist: Die Zahl extrem verzahnter, digitaler Lösungen wird dank Industrie 4.0 weiter zunehmen "als Antwort auf die steigende Komplexität, aber auch, um die Grundlage für künftig neue Geschäftsmodelle zu schaffen", sagt Loisel.

2: Unternehmen sind intellektuell gefordert

Wieso die Auseinandersetzung mit Industrie 4.0 nicht technologisch, sondern intellektuell geführt werden muss.

Die gute Nachricht: Selbst tief in wertschöpfenden Liefer- und Leistungsverflechtungen verwurzelte Informationen können heute in digitalisierter Form jederzeit verfügbar gemacht werden. Die Verzahnung dieser nunmehr zugänglichen Daten setzt fast reflexhaft neues kreatives Potenzial in den Unternehmen frei. Österreich ist zudem in einer hervorragenden Ausgangsposition: "Aufgrund seiner Industriestruktur hat das Land beste Voraussetzungen für Industrie 4.0", kommentiert Christian Helmenstein, Vorstandsmitglied des Economica Instituts für Wirtschaftsforschung. In sechs von sieben Schlüsseltechnologien – darunter Big Data oder Cyber Security – weisen die Bundesländer Top-Platzierungen in europaweiten Erfinderrankings auf. Doch Experten mahnen zur Weitsicht. "Der Charme von Big Data in und mit Industrie 4.0 liegt nicht darin, so viele Daten wie möglich zu sammeln", streicht ATLAS-Managing- Partner Gert Keuschnigg hervor. Vielmehr gehe es darum, die entscheidenden Daten "sehr selektiv miteinander zu verknüpfen." Eine vorderhand intellektuelle Herausforderung, die nach Fokussierung verlangt. Ein Grundsatz, den der 2001 gegründete Interim-Management-Pionier und mit 2009 um Consulting und Softwareentwicklung erweiterten ATLAS bei einem Automotive-Projekt zur effizienteren Nutzung von Elektrofahrzeugen strikt befolgte: Sämtliche in Echtzeit erhobene Parameter wie Fahrzeugzustand oder Fahrerverhalten können nutzbringend im Flottenmanagement einfließen und so zu Energieeinsatz-Minimierungen führen.

3: Der Produzent von heute ist der Dienstleister von morgen

Warum nur wandlungsfähige Unternehmen langfristig überleben können

Was ehemals hochinnovative Unternehmen wie Polaroid, Grundig oder Commodore Computers eint? Sie alle haben es verabsäumt, mit der Zeit zu gehen. Oder direkter: ihre Geschäftsmodelle rechtzeitig und nachhaltig auf neue Beine zu stellen. Kfz-Werkstätten werden von Versicherungen übernommen und in das Geschäftsmodell integriert; Automotive OEMs bekommen ernsthafte Konkurrenz von IT-Unternehmen, da Mobilität neu definiert wird; im Consumer Bereich wird das Hundehalsband mit GPS-Funktion und Facebook-Anbindung – ATLAS entwickelt gerade ein solches – das herkömmliche verdrängen. Alles Beispiele eines künftigen Innovationsmanagements, gekennzeichnet durch eine noch stärkere Änderungsbereitschaft zugunsten eines dienstleistungsorientierten Ansatzes: Produzenten physischer Produkte werden mehr und mehr zu Dienstleistern, die intelligente Services anbieten. Technologisch werden dafür gerade die letzten Weichen gestellt: "Das Internet der Dinge liefert laufend und häufig in Echtzeit Informationen", gibt ATLAS- Managing-Partner Gert Keuschnigg zu Protokoll. Damit würden etwa Betriebszustände und Beanspruchung "in einer Granulierung messbar, die bisher ihresgleichen suchte", sagt er. Beispiele dafür, dass auf Kunden zugeschnittene Problemlösungskompetenz zur unternehmerischen Hartwährung wird, sucht man nicht vergeblich: Kompressorenhersteller etwa rechnen vom Kunden konsumierte Druckluft bereits per Kubikmeterpreis ab – der Zustand der Anlagen wird von den Betreibern mittels Cloud-Technologie effizient aus der Ferne überwacht.

4: Vorausschauenden Analysen gehört die Zukunft

Weshalb aktuelle Daten eigentlich schon heillos veraltet sind – und Unternehmen den Blick in die Zukunft richten müssen

Die Sorge vor dem Ungewissen hält die Industrie im Klammergriff. Ein mehrstündiger Produktionsausfall ist das Schreckgespenst jedes Shopfloors. Nur so lässt sich verstehen, warum Unternehmen immer noch enorme Summen in die Wartung und Inspektion von Anlagen stecken, ohne dabei bedarfsorientiert vorzugehen: Vielfach sind die strikt nach Wartungsplan vollzogenen Inspektionen, wie sie noch immer gelebte Praxis sind, schlicht ineffizient. Das Internet der Dinge ermöglicht es Unternehmen in noch stärkerem Maße, den eigenen Produkten zuzuhören und zu lernen – "egal, wo diese sind, und zu jeder Zeit", weiß ATLAS-Experte Oliver Loisel. Eine Chance, die ergriffen werden sollte. Ein simples Beispiel: Wer Anlagenwartung unter Zuhilfenahme digitaler Auswertungen von Nutzungs- und Sensordaten betreibt, wird mit effizienterem Ressourceneinsatz belohnt – etwa bei der personellen Kapazitätsplanung.

5: Industrie 4.0 ist kein Selbstzweck

Wieso Industrie 4.0 jeden angeht – aber nicht jeder im selben Ausmaß profitiert

Große Brocken wurden zuletzt aus dem Weg geräumt: Die Preise von Sensoren und Funkmodulen sanken weiter, technische Standards wie OPC-UA werden Anbindungen einfacher machen und erschwingliche Clouddienste befreiten Unternehmen von der Bürde, die Datenflut im eigenen Rechenzentrum bewältigen zu müssen. Auch für kleine und mittelständische Unternehmen sind die Zugangsbarrieren deutlich gesunken. Und auf Anwenderseite gibt man sich neuen Nutzermodellen gegenüber überraschend aufgeschlossen: So stimmten Kunden eines Druckluftanbieters widerspruchslos der Weitergabe der für die Messungen erforderlichen Daten zu. Über einen Kamm scheren lässt sich die Industrie deshalb nicht. Der Return on Industry 4.0 sei "höchst individuell und hänge davon ab, wie weit der Kundennutzen gesteigert oder ein Prozess oder Bauteil optimiert werden kann", betont Gert Keuschnigg. Klar sei aber auch: Der Startschuss, sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung eingehend auseinanderzusetzen, müsse "jetzt erfolgen", so der Experte. Fazit: Für all jene Unternehmen, in deren DNA die kontinuierliche Verbesserung festgeschrieben ist, ist Industrie 4.0 vor allem eines: eine Holschuld.