Startups : Speedinvest-Partnerin Ametsreiter: "Die Fundamentaldaten von Startups müssen passen"

Marie Helene Ametsreiter Speedinvest

"Gestaltungsfreiraum und die direkte Beteiligung am Erfolg sind attraktiv - auch nach der Krise."
Marie-Helene Ametsreiter, Partnerin Speedinvest

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INDUSTRIEMAGAZIN: Frau Ametsreiter, die Kumulation von Krisen zwingt Organisationen einen Sparkurs auf. Die Zeiten für Startups waren schon einmal rosiger. Wie kommt man als aufstrebendes Unternehmen jetzt an eine Finanzierung?

Marie-Helene Ametsreiter:
In den USA schlägt hochfliegenden Unternehmen der Startup-Szene seit geraumer Zeit Skepsis entgegen. Das begann bei späteren Finanzierungsphasen und hat nun auch die Frühphasenfinanzierung erreicht. Auch Europa bleibt davon nicht verschont. Das heißt nicht, dass es einen Stillstand im Investitionsbereich und keine Finanzierungsrunden mehr gibt. Aber eine gewisse Ernüchterung bei der Bewertung junger Unternehmen ist offenkundig. Auf einmal schenkt man Umsätzen und betriebswirtschaftlich zugrundeliegenden Metriken mehr Beachtung als einer exzellenten Vermarktung. Die Fundamentaldaten müssen passen. Wer gesundes Wachstum nachweisen kann, kann sich auch weiterhin einer Finanzierung recht sicher sein.

Wie gehen Gründer mit diesem Druck um?


Ametsreiter:
Es ist die Zeit des Überlebens und nicht des Hyper-Wachsens. Die Kräfte werden darauf gebündelt, eine Durststrecke - also einen Zeitraum ohne zusätzliche Finanzierung - überwinden zu können. Wird Kapital zugeschossen, geht es nicht um die nice to haves. Es geht um die must haves. Aber am Ende sind Startups die Lösung auf viele Probleme, die wir nur durch Innovation und Technologie lösen können. Ich bin daher sehr positiv, dass viele Startups auch hinkünftig erfolgreich sein werden.

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Zu welchen Schlüssen gelangen Industrieunternehmen bei der Repriorisierung? Startup-Aktivitäten dort, wo es kurzfristig der Lieferfähigkeit nützt? Oder vielmehr dort, wo man sich von mittelfristigen Zwängen, etwa der eigenen Energieversorgung, loslöst?

Ametsreiter:
Der Krieg in der Ukraine verschiebt natürlich die Gewichte, wie schon die Pandemie. In den Lieferketten sind die Herausforderungen groß. Vielfach geht es um Logistik- und Preisintrasparenzen. Die Bewältigung der Klimakrise erfordert ebenfalls Antrieb und Mut. Angesichts des drohenden Damoklesschwerts einer Verknappung der Gasversorgung werden Lösungen zur größeren Autarkie händeringend gesucht. Der Hunger, diese Probleme zu lösen, ist in der Gründerszene und in den Corporates größer geworden.

In Österreich punkten Unis und außeruniversitäre Forschungsdienstleister mit einem erstaunlichen Ideenrepertoire. Man ist versucht zu fragen, wie Startups diese mangelnde Nähe zum Shopfloor, zum Logistikprozess wettmachen.


Ametsreiter:
Eine Reihe von Uni-Ausgründungen hat ja sehr nachdrücklich bewiesen, erfolgreich in ihrer spezifischen Nische zu sein wie etwa Celonis, Remberg oder Twaice. Der Individualisierungsgrad - und damit oft hohe Integrationsaufwand in Fabriken stellt Gründer aber vor grosse Herausforderungen. Ich würde mir hier eine engeren Zusammenarbeit zwischen Startups und etablierten Unternehmen wünschen, um gemeinsam die digitale Transformation nach vorne zu bringen.

Mit dem Climate & Industry Opportunity-Fonds investiert man in Unternehmen, die sich der Bekämpfung der Klimakrise verschreiben. Der Kunststoff- und Schaumstoffhersteller Greiner ist Ankerinvestor. Welche Technologien finden sich auf der Shortlist?


Ametsreiter: Software zur strukturierten Erfassung und Berichterstattung der Emissionen sind oft der erste Schritt. Dann folgt die Datenanalyse zur Energieeffizienzverbesserung in der Produktion, aber auch die Herstellung und Speicherung grüner Energie ist klar im Fokus. Ein riesiges Thema sind natürlich auch neue biologisch abbaubare Materialien, die CO2 intensive Stoffe ablösen und die Zirkularität ermöglichen.

Investment-Schwerpunkte kommen in Zyklen. In welchem befinden wir uns gerade?


Ametsreiter:
Fintechs haben, wenn wir uns den Reifegrad der Digitalisierung ansehen, den Gipfel erreicht. Industrial tech ist in der Wachstumsphase angekommen. Kaum ein etabliertes Industrie-Unternehmen hat noch keinen CDO oder Innovationsofficer ernannt. Oder treibt die Startup-Kollaboration voran. Und was uns freut: Rund die Hälfte der Investoren unseres Industriefonds sind auch bei der Neuauflage Climate & Industry Opportunity Fonds an Bord. Da haben sich die Anschlussthemen wie von selbst ergeben. So wird nun CO2-Verursachern in der Produktion nachgespürt. An neuen Verpackungsmaterialien geschraubt. Oder das Recycling von Zirkulärstoffen vorangetrieben. Übrigens nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland, wo wir uns mit Investoren wie Stihl und Startups wie Schüttflix einen Namen machen konnten.

Leiden Innovationsmanager unter den Härten des Tagesgeschäfts? Bleibt überhaupt Zeit zum Screenen von zwei, drei vielversprechenden Unternehmen pro Monat?


Ametsreiter:
Innovationsabteilungen sind im günstigsten Fall vom Tagesgeschäft freigespielt. Natürlich bindet das Evaluieren von Startups und deren Ideen Ressourcen. Aber Speedinvest selektiert vor. Wir arbeiten so schlank wie möglich. Müssten Unternehmen die Suche auf dem Markt alleine bestreiten, wäre der Aufwand ein Vielfaches größer.

Angesichts der fragilen Weltlage: Wie attraktiv erscheint heute die Gründung eines Startups?


Ametsreiter:
Mein Eindruck: Der Karriereweg als Gründer gewinnt nach wie vor an Attraktivität. Vor vielleicht zehn Jahren wollten die hippen Jungen doch eher bei bekannten Brands oder Beratungsunternehmen arbeiten als ein Startup zu begründen. Diese Phase wurde von einer Zeit, in der das Geld sprichwörtlich auf der Straße lag und mit einer Powerpoint-Präsentation nur einzusammeln war, abgelöst. Es folgte die notwendige Phase der Bereinigung. Durchgesetzt haben sich unfassbar gute Tech-Startups mit wirklich tollen Talenten. Selbstverantwortung, Gestaltungsfreiraum und die direkte Beteiligung am Erfolg sind attraktiv - auch nach der Krise.



ZUR PERSON
Marie-Helene Ametsreiter, 52


Als Lead Partnerin des Speedinvest Industrial Tech-Teams investiert Marie-Helene Ametsreiter in europäische Startups, die die Digitalisierung der etablierten Industrie vorantreiben. Investoren, vorrangig deutsche und österreichische Industrieunternehmen, erhalten neben einer finanziellen Rendite auch Zugang zu relevanten Startups aus dem Bereich Logistik, Fertigung, Bauwesen und Climate Tech. Zuletzt hat sie im Dezember 2021 für den neuen Climate & Industry Opportunity Fonds 55 Millionen Euro an Kapital eingesammelt. Vor Speedinvest war Marie-Helene Ametsreiter CEO eines Mobilfunkanbieter, sowie verantwortlich für das Corporate Sustainability Program bei OMV.