Logistik bei Agrana, Miba, Palfinger, Rosenbauer : Lieferketten in der Industrie: Back to normal?
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Troubleshooting. Solche und ähnliche Begriffe verwenden Einkäufer und Supply-Chain-Manager, wenn sie die letzten drei Jahre beschreiben. Viel mehr war durch die Pandemie, den Ukraine-Krieg und deren Folgen und anderen, kleineren und größeren Verwerfungen in den internationalen Lieferketten nicht möglich, heißt es mehr oder weniger unisono aus der heimischen Industrie.
„Der Aufgabenbereich hat sich in den letzten drei Jahren stark verändert. Waren wir vorher sehr stark kostenorientiert, weil Verfügbarkeit und Risiko nicht die bestimmenden Themen waren, so ging es in den letzten drei Jahren eher um kurzfristiges Troubleshooting, darum, Lösungen zu finden und die Versorgung der Werke sicherzustellen“, erklärt etwa Volker Reulein, Vice President Purchasing bei Miba.
„Generell war das letzte Jahr geprägt von vielen Störungen in den Lieferketten, und es war auch durch viel Improvisation gekennzeichnet. Wir gehen davon aus, dass diese Situation noch in den ersten Monaten des Jahres anhalten wird“, ergänzt Markus Schallaböck, Head Of Supply Chain Management bei Rosenbauer.
Auch wenn etwa China nun von seiner Zero-Covid-Politik, die ein starker Treiber für viele Engpässe in der Lieferkette war, Abstand genommen hat, ist die Unsicherheit nach wie vor groß. Rosenbauer habe kein großes Volumen, das aus China gesourct werde, und dieses habe man gut organisieren können. „Ich erwarte mir aber dennoch eine Verbesserung der Situation in China – auch wenn das aufgrund des verlangsamten Wachstums schwer einzuschätzen ist“, fährt Schallaböck fort.
China als Sourcing-Quelle verliert an Bedeutung
Grundsätzlich lasse sich aber beobachten, dass die Nachfrage bei regionaleren Lieferanten im mitteleuropäischen Raum steigt und Kapazitäten aus Fernost abgezogen werden, so der Rosenbauer-Manager. „Bei einigen Produkten profitieren wir natürlich von unseren langjährigen Partnerschaften im regionalen Bereich. Aber wir benötigen auch gewisse Produkte, die wir in Fernost beziehen, und die nicht so leicht bei uns zu erhalten sind. Das heißt nur weil man es sich wünscht, kann man nicht einfach auf Nearshoring umstellen. Das ist durchaus ein längerer Prozess, aber ich orte hier schon Tendenzen, dass das bei der Lieferantenauswahl wieder mehr eine Rolle spielt“, antwortet Schallaböck auf die Frage nach regionalerem Sourcing.
Der Nahrungsmittel- und Industriegüterkonzern Agrana arbeitet schon seit längerem daran, das Sourcing aus China zu verringern – bzw. ganz abzustellen, wie Michael Frey, Geschäftsführer bei Agrana Fruit, erklärt: „China war noch vor zehn Jahren ein bedeutender Rohstofflieferant, war preislich sehr kompetitiv, die Frachtraten waren niedrig - das war ein sehr großer Rohstoffmarkt. Dann haben sich die Arbeitskosten erhöht, der Frischmarkt boomte, das heißt es blieb weniger Ware für die Industrie übrig. Wenn wir früher vielleicht ein Drittel unserer Erdbeeren aus China gekauft haben, spielt China mittlerweile außer für den lokalen Markt eigentlich für Europa und sonstige Destinationen überhaupt keine Rolle mehr. Dieser Trend wird sich auch weiter fortsetzen. Wir haben in unserer strategischen Planung inkludiert, die Abhängigkeit von China Richtung Null zu bringen.“
Sourcing: vom Schiff zur Eisenbahn und wieder zurück
Auch Palfinger sourct, ähnlich wie Rosenbauer, keine große Mengen aus China – es sei eine kleine Menge im Vergleich zu dem, was man in Europa beziehe – aber hier musste man „balancieren“, wie es Gernot Harm, verantwortlich für das Global Supply Chain Management bei Palfinger, beschreibt. Schon in den Jahren vor Corona hat Palfinger begonnen, Güter vom Seefracht-Transport auf die transsibirische Eisenbahn zu verlagern.
„Das haben wir bereits vor Jahren als Alternative zum Seetransport immer wieder ausprobiert, es war finanziell aber nie wirklich interessant. 2021 und 2022 haben wir das aber stark forciert - und das hat uns während und nach des Lockdowns in Shanghai sehr geholfen. Der Hafen war zwar blockiert, aber der Zug ist weitergefahren. Jetzt allerdings nutzen wir auch den Seeweg wieder, weil er günstiger ist. Wir versuchen, das je nach Situation zu balancieren und entscheiden uns auch manchmal für die teurere Variante, um schneller switchen zu können“, so Harm.
Bei Agrana war es nicht möglich, die Transportmittel zu wechseln: „Wir haben natürlich geprüft, ob wir aus China zum Beispiel auch mit der transsibirischen Eisenbahn Richtung Europa fahren können. Das wäre theoretisch möglich, aber nicht für Gefriergüter. Hier gab es keine Alternativen. Das heißt wir waren auf den See-Containertransport angewiesen. Es war für mein Team eine große Herausforderung, die Versorgung der Werke aufrecht zu erhalten, die waren mehr als zwei Jahre nicht mit dem Einkauf beschäftigt. Im Prinzip ging es nur darum, den Transport zu organisieren“, erklärt Frey.
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Das Lieferantennetzwerk im Fokus
„Was man dabei gesehen hat: Es ist sehr wichtig mit strategischen Partnerschaften zu arbeiten. Es ist uns gelungen, keines unserer Werke jemals out of stock zu setzen“, so der Agrana-Manager. Es habe sich bezahlt gemacht, in den letzten zehn bis 15 Jahren nicht über Händler oder auf dem Spotmarkt zu kaufen, sondern mit strategischen Partnerschaften zu arbeiten. „Damit war es uns am Ende des Tages auch möglich, die Waren zu erhalten. Verspätet und mit sehr viel Aufwand – aber es hat funktioniert.“
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Auch vor allem der Ukraine-Krieg hat für Agrana zusätzliche Herausforderungen gebracht: „Wir konnten zwar die Rohstoff-Versorgung aus der Ukraine sicherstellen, ein product flow wie vor dem Krieg war aber nicht möglich – speziell was Transportkapazitäten betrifft. Aber auch hier muss man sagen: strategische Partnerschaften haben massiv geholfen, diese Herausforderungen zu bewältigen“, erklärt Frey. Man habe auch gemerkt, mit welchen Lieferanten Agrana in Zukunft nicht mehr arbeiten werde.
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Palfinger hat mit Beginn der Corona-Pandemie begonnen, den Fokus auf strategische Partnerschaften zu legen. „Wir forcieren eine Strategie, mit der wir versuchen die Lieferanten zu bündeln und mit diesen intensiver und langfristiger zusammenzuarbeiten. Wir setzen auf lange, strategische Partnerschaften, bei denen wir uns gegenseitig systemtechnisch voll integrieren, Planungen austauschen und auch gemeinsam über Investitionen diskutieren. Dadurch können wir sowohl die Größeneffekte nutzen, als auch die Zusammenarbeit weiter vertiefen“, erklärt Harm.
Miba wiederum durchleuchtet seine Lieferanten in Sachen CO2-Emissionen. Bis 2040 will der Konzern emissionsfrei arbeiten – „und im Zuge dessen gehen wir auch auf unsere Lieferanten zu und fangen step by step an, sie auch in unsere CO2-Reduktionspläne mit zu integrieren. Wir haben die großen CO2-Verursacher in unserer Lieferkette identifiziert und beginnen zukünftig, mit unseren Hauptverursachern zu sprechen, was denn deren Maßnahmen sind, wo sie heute stehen, und welche konkreten Pläne sie haben“, erklärt Reulein.
Flexibilität bei Material und Lieferanten
Rosenbauer hat in der Krise den Ansatz verfolgt, den Materialeinsatz zu fokussieren. „Wir haben bewusst dort analysiert, wo Engpässe sind und geprüft, ob wir alternative Bauteile verwenden oder etwa den Einsatz von neuen Komponenten vorziehen können, weil es bei einem bestehenden Produkt Probleme gibt“, so Schallaböck. „Wir haben auch nach alternativen Lieferanten gesucht, die uns beliefern können oder das Produkt gewechselt.“
Rosenbauer hat im Jahr 2022 ein Projekt zu Materialkosten aufgesetzt, die sich „unvorteilhaft entwickelten“. Hier werde sowohl die Lieferantenseite durchleuchtet, als auch bezüglich der Werthaltigkeit analysiert, was konkret in den Produkten verbaut sei oder ob man Dinge vereinfachen könne.
Ausblick
Auch wenn die Pandemie aktuell für kaum Verwerfungen in der Lieferkette sorgt und die meisten Unternehmen die Herausforderungen, die der Ukraine-Krieg mitbringt, wohl bereits zu einem großen Teil gelöst haben, wird das Jahr 2023 wirtschaftlich herausfordernd. Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo und das Institut für höhere Studien (IHS) prognostizieren, dass die Wirtschaft in den ersten Monaten 2023 noch schrumpfen wird, ehe sie langsam wieder auf einen Wachstumspfad einschwenkt. Unterm Strich sagen beide Wirtschaftsforschungsinstitute für 2023 eine Stagflation für Österreich - also so gut wie kein Wirtschaftswachstum bei weiterhin hoher Inflation – voraus.
Und vor allem die Energiepreise werden die Unternehmen weiterhin beschäftigen: „Wenn man den Wirtschaftsweisen glauben mag, dann schaut es so aus als würde zumindest Europa und Teile der USA in den ersten beiden Quartalen in eine Rezession hineinlaufen. Wie immer haben die Rohmaterialmärkte diese Entwicklung letztes Jahr schon vorweggenommen, das heißt die Preise für Rohmaterialien wie Stahl oder Kupfer sind schon gesunken, genauso wie die Transportkosten. Aktuell sehen wir auch am Energiemarkt eine leichte Entspannung auf Basis des milden Winters. Das heißt wir sehen günstigere Preise, man darf aber bitte eines nicht verwechseln: Wir reden beim Gas immer noch vom Faktor 4 des Preises, den wir vor der Ukraine-Krise hatten. Es ist also wirklich teuer“, fasst Miba-Manager Reulein zusammen.
Für Agrana stellen sich „alle Anzeichen als durchaus positiv dar, dass wir die Krisenjahre 2020/21 und teilweise 2022 bewältigt haben. Wir haben ein ständiges Monitoring an allen wichtigen Rohstoffmärkten, sodass wir rechtzeitig auf Verschiebungen oder Disruptionen in der Supply Chain reagieren können. 2022 war definitiv ein peak in der Rohstoff-Kostenstruktur an sich. Für die zweite Jahreshälfte 2023 erwarte ich mir deshalb doch eine Erholung – zwar nicht in sämtlichen Bereichen, denn speziell bei Produkten, die Getreide als Rohstoffbasis haben, wie zum Beispiel Stärken, besteht nach wie vor ein Engpass“, erklärt Frey.
Rosenbauer-Manager Schallaböck erwartet durch die Disruptionen der letzten Jahre für die Zukunft ein Umdenken, dass neben der breiten Palette an Produkten noch mehr Standardisierungen vorgenommen werden, damit diese Produkte rasch verfügbar sind. „Hier spreche ich nicht nur über unseren Bereich. Es wird auch in anderen Branchen so sein, dass es nicht mehr unbedingt 50 verschiedene Waschmaschinen gibt, sondern drei oder vier, die schnell verfügbar sind.“
Und Reulein ergänzt: „Die letzten drei Jahre haben uns Demut gelehrt, sowohl was das Thema Volatilität der Preise, als auch die Versorgung angeht. Wir müssen flexibel sein um auf alles antworten zu können, was kommen mag.“
3 Trends für das Lieferketten-Management 2023
Obwohl es schwer ist, zeichnen sich drei Trends ab, die die Planung von Lieferketten im nächsten Jahr prägen werden, meint Transporeon-Geschäftsführer Stephan Sieber.
1. Von resilienten Lieferketten zu Optionalität
Unternehmen müssen in der Lage sein schon zu handeln, bevor sie sich anpassen und konsolidieren müssen. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist das Multi-Shoring. Nur eine einzige Beschaffungsstrategie zu verfolgen – eventuell aus Asien – wird schwieriger. Um sich mehr Handlungsspielraum zu verschaffen, bedarf es außerdem umfassender Echtzeiteinblicke in Märkte und Prozesse. Außerdem muss die Interoperabilität mit digitalen Systemen von Geschäftspartnern gewährleistet sein.
2. Zusammenarbeit steht im Mittelpunkt
Stärkere Zusammenarbeit zwischen Unternehmen wird von einem „Nice to have“ zum „Must have“. Die größten Hindernisse auf dem Weg zu mehr Kooperation sind schlecht integrierte IT-Systeme, nicht aufeinander abgestimmte Messgrößen und zu wenig Austausch von Daten. Anstatt sich nur auf die Digitalisierung zu konzentrieren, wird ein hybrider Ansatz erforderlich sein, der Technologie und Menschen zusammenbringt.
Logistik-Trend: "Es geht eher um eine Diversifizierung der Lieferketten"
3. Umwelt vs. Wirtschaft
Auf dem Weg zur Klimaneutralität wurden Fortschritte erzielt: 59 Prozent der Spediteure und 54 Prozent der Verlader sind nun in der Lage, ihre transportbezogenen CO2-Emissionen zu berechnen (gegenüber 45 Prozent bzw. 37 Prozent im Jahr 2021). Trotz der jüngsten Medienaufmerksamkeit und neuer Investitionen gibt es jedoch auch Herausforderungen. Da die Inflation den höchsten Stand seit Jahrzehnten erreicht hat und eine Rezession droht, müssen wir damit rechnen, dass sich einige Initiativen zum Klimaschutz verlangsamen werden.