Interview : Digitalisierung bei Evva: "Nachgelagerte Prozesse gehen nach Krefeld und Tišnov"

Stefan Ehrlich-Adam, geschäftsführender Gesellschafter, Evva

"In Wien wird künftig die Rohteilfertigung, in Krefeld und Tišnov nachgelagerte Teilfertigungsschritte abgewickelt."
Stefan Ehrlich-Adam, geschäftsführender Gesellschafter, Evva

- © Bernhard Schramm

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Ehrlich-Adam, Sie fuhren zu Jahresbeginn mit einem Zubau in Wien die Kapazitäten hoch. Vor dem Hintergrund der neuen geopolitischen Lage: Macht sich der Schritt bezahlt?

Stefan Ehrlich-Adam:
Das ist jedenfalls der richtige Schritt, wenn man die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens, die Produktentwicklungen entlang eines strategisch ausgerichteten Pfades sieht. Natürlich war die heutige geopolitische Lage zu dem damaligen Investitionsentscheidungszeitpunkt nicht absehbar. Schon gar nicht in dieser Tragik und Weite. Nichtsdestotrotz gehen wir den Weg weiter und hoffen, dass diese Verwerfungen nicht allzulange dauern werden.

Mit dem Neubau kam auch die Optimierung bestehender Produktionslinien mithilfe von Digitalisierung. Würden Sie sagen, kein Prozess bleibt dabei unangetastet?

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Fabrik2022: Haben Sie das Zeug zur Fabrik des Jahres 2022?

Ehrlich-Adam: Wir stehen erst am Anfang. Die Entscheidung, hier in einen Neubau zu investieren, war getrieben durch den Bedarf und die Notwendigkeit neuer Maschinen mit höherem Automatisierungsgrad, die wir für die zukünftig neuen Systeme benötigen. Dafür benötigen wir Platz. Unser Werk steht in Wien. Wir wollen keinen Erweiterungsschritt auf der grünen Wiese setzen. Wir fühlen uns mit der Stadt verbunden. Diesen Moment nahmen wir deshalb zum Anlass, alle Abläufe im Unternehmen neu zu denken. Wir haben auch einen Prozess gestartet, der anderthalb Jahre dauern wird. Hier werden wir viele Maschinen umstellen, den Arbeit- und Produktionsfluss neu definieren. Heute, ein dreiviertel Jahr nach Bauende, sieht man die Fortschritte: Alte Hallen sind leergeräumt, und das ist erst der Anfang.

Fertigen Sie jetzt nicht nur ein größeres Produktsprektrum, sondern tun dies auch um einiges schneller?


Ehrlich-Adam:
Die Entscheidung im vergangenen Jahr, in diese neue Produktwelt zu gehen, war auch eine Weichenstellung für künftige Produktfamilien.

Evva
setzt auf eine Powerplant-Strategie mit drei Hauptproduktionsstätten und Fertigungs-Satelliten an den internationalen Niederlassungen. Wie krisensicher ist eine solche Strategie?


Ehrlich-Adam:
Es ist mit ein Ausdruck dessen, das wir hier die Produktionsabläufe optimieren wollen. Das Unternehmen ist über die vergangenen 20 Jahre gewachsen. Wir produzieren in Europa, das ist nicht der günstigste Standort. Umso mehr müssen wir darauf achten, dass wir effizient sind. Deshalb haben wir uns an vielen Standorten von Teilfertigungsprozessen verabschiedet, vielmehr definierten wir drei Standorte für Fertigungsprozesse: In Wien wird die Rohteilfertigung, im deutschen Krefeld und im tschechischen Tišnov werden nachgelagerte Teilfertigungsschritte abgewickelt. Aus diesen drei Werken wollen wir Vertriebsniederlassungen beliefern, die am Ende des Tages ein Nachschlüsselgeschäft betreiben und kleinere Reparaturarbeiten bei Bedarf machen. Die sollen sich künftig fast ausschließlich mit Vertriebsagenden beschäftigen und nicht mit Fertigungsagenden. Es wird natürlich eine logistische Herausforderung, die Marktnähe zu sichern und erfolgreich umzusetzen.

In Tschechien haben Sie auf die grüne Wiese gebaut. Wie stark kann man das Werk schon auslasten?

Ehrlich-Adam: Wir haben vor vielen Jahren die älteste tschechische Zylinderfertigung übernommen. Und haben hier viele Jahre am alten Standort gefertigt. Vor mehr als einem Jahrzehnt erwarben wir das Grundstück in Tišnov und wollten dort neu bauen. Dann kam die Krise 2008, 2009, und wir schoben das Projekt auf. Mit unserer Powerplant-Strategie ist nun der richtige Zeitpunkt gekommen: Wir stellten eine Fertigungshalle auf die grüne Wiese, in der wir nun nach und nach Prozesse, teils aus Wien, hierher verlagern und einen optimierten Fertigungskreislauf schaffen wollen. Es liegt noch einiges vor uns, aber das Werk steht. Alle Mitarbeiter sind übersiedelt.

Könnten Sie auch Kapazitäten unter den Ländern switchen, also wenn etwa ein Standort doch einmal unterausgelastet ist?


Ehrlich-Adam:
Grundsätzlich ja. Voraussetzung dafür ist eine funktionierende IT-Infrastruktur. Daran arbeiten wir. Da wir uns das Leben ja nicht grundsätzlich leichter machen wollen, sind wir auch in einer ERP-Neuausrichtung. Ich bin optimistisch, diese in zwei bis drei Jahren umgesetzt zu haben. Dann werden wir uns viel leichter tun, zu switchen.

Tipp der Redaktion: Vertiefungen zum Thema Künstliche Intelligenz und Robotik lesen Sie in unserem Industriemagazin KONTEXT.

Wie krisensicher ist denn das 1919 gegründete Unternehmen insgesamt in Zeiten von Pandemie und Kriegswirren? Wirtschaften Sie stabil?

Ehrlich-Adam:
Wir bemühen uns zumindest (lacht.) Es ist immer die große Herausforderung, das Erforderliche und Notwendige zu tun, und dennoch diesen Extraschritt zu gehen, der notwendig ist: In neue Technologien zu gehen und etwas auszuprobieren. Das ist die eigentliche Herausforderung. Auch wenn die Rahmenbedingungen es erschweren. Wir werden es verzögert zu spüren bekommen. Es kommt eine Wirtschaftsverlangsamung und wir wissen alle nicht, wie lange diese andauern wird. Das spannende ist, uns die Zeit zu nehmen, neben dem Tagesgeschäft eben doch auch neue Sachen auszuprobieren.

Wie unabhängig kann sich Evva von russischem Gas machen?


Ehrlich-Adam:
Wir brauchen Gas zum Glück lediglich zum Heizen. Unser Produktion ist nicht von Gas abhängig, da tun wir uns leichter. Aber pro futuro müssen wir hier natürlich danach streben, gute Lieferverträge für Energie zu erhalten. Hinsichtlich Metallpreise hat sich der Messingpreis fast verdoppelt, die Preisexplosion bei Stahl trifft uns weniger.

Worüber sind Sie mehr enttäuscht? Dass europäische Ausstiegsszenarien auf sich warten lassen oder über die nationalen Versäumnisse bei Gas?


Ehrlich-Adam:
Es gibt ein schönes Sprichwort. Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Wir dürfen nicht vergessen, dass Europa über viele Jahrzehnte gut mit den Gaslieferungen gelebt hat. Heute zwingt uns die Situation, umzudenken, was auch sein gutes hat. Denn Abhängigkeiten sind nie gut. Es ist natürlich herausfordernd, Europas Industrie ist zeitgleich mit der Transformation zur grünen Wirtschaft konfrontiert.

Evva Produktion Wien
Evva-Produktion in Wien: "Die Entscheidung, hier in einen Neubau zu investieren, war getrieben durch den Bedarf und die Notwendigkeit neuer Maschinen mit höherem Automatisierungsgrad, die wir für die zukünftig neuen Systeme benötigen." - © www.bernhardschramm.com
Zühlke Talk: Nachhaltige Produktentwicklung in der Industrie. Es diskutierten Markus Stelzmann, Geschäftsführer und Miteigentümer von Tele Haase, Eveline Pupeter, CEO und Eigentümerin Emporia Telekom, Johann Notbauer, Leiter des Konzernbereich Marktinnovation und Technologie EVVA und Bernhard Zimmermann, Director Business Development beim Beratungsunternehmen Zühlke

Digitalisierung: Automatisierter Werkzeugwechsel inklusive

2019 waren die Problemfelder mit Ausbildung und Digitalisierung noch relativ überschaubar. Jetzt sind die Herausforderungen vielfältig. Wie kann das der Staat bewältigen?

Ehrlich-Adam:
Der Staat ist gefordert, mit allen gesellschaftlichen Partnern zu reden. Wir kommen nur im nationalen Schulterschluss aus der Krise. Es ist nicht die Zeit, aus parteipolitischen Partikularinteressen Positionen zu ergreifen. Es wird zu wenig geredet. Das geht von der Gasbelieferung bis zur Strompreisbeobachtung bis zur Inflationsbekämpfung, bei der jeder auf etwas andere Konzepte setzt. Wobei schon die Frage berechtigt ist, ob der Staat auf alles eine Lösungsantwort liefern muss. Österreich lebt in einem Wohlstand, der vor 50 Jahren nicht vorstellbar war. Wenn es jetzt eine Wohlstandsdelle geben wird, müssen wir das auch zur Kenntnis nehmen. Wir müssen in die Zukunft schauen. Dazu ist die Politik aufgerufen.

Wieweit hält denn Ihre Fertigung mit der Digitalisierung Schritt?


Ehrlich-Adam:
Das ist eine Herausforderung. Wir müssen Digitalisierung in die Fertigung bringen. Das tun wir auch. Wir sind Gesellschafter beim CDP, dem Comet-zentrum für Digitale Produktion. Es bringt uns viele Inputs, wie Digitalisierung stärker voranzutreiben ist. Digitalisiert haben wir im Unternehmen freilich immer schon, jedoch in geringerem Tempo, nicht derart abrupt. In einem künftigen Idealszenario werden Fertigungsdaten aus dem CAD in die Maschinen gespielt, in der automatisiert Werkzeugwechsel erfolgen - hierzu haben wir auch einen ersten Prototypen erstellt. Künstliche Intelligenz und Kollaborierende Roboter sind weitere Technologien, die wir stetig integrieren werden.

Stimmt es, dass Sie auch am elektronischen Türschloss, das ohne Stromversorgung auskommt, arbeiten?


Ehrlich-Adam:
Es gibt erste Produkte, die energieautark funktionieren. Ich denke weniger an das mechanische Schloss, das aufsperrt und verschließt. Sondern an Lösungen, wo womöglich zeitgesteuert, in Richtung Zutrittskontrolle gedacht wird, und in irgendeiner Form eine Energieversorgung gegeben sein muss. Eine spannende Entwicklung.

Ihr Familienunternehmen entwickelt mechanische und elektronische Zutrittssysteme.
Wird es eigentlich irgendwann knapp für die mechanischen Varianten, weil die meisten Menschen doch lieber Digitalos sind?

Ehrlich-Adam:
Nein. Ich bin überzeugt, dass die Mechanik für die nächsten 20 Jahre immer einen hohen Stellenwert haben wird. Wenn man einen Verschlussmechanismus betrachtet, gibt es am Ende der Kette immer ein mechanisches Element. Das wird immer da sein. Wir können es elektromechanisch ansteuern, den Komfort erhöhen, aber wir brauchen die Mechanik. Mein Credo ist: Die Welten intelligent zu vernetzen und an jenen Einbauorten, wo eine höhere Kontrollmöglichkeit erforderlich ist, Elektronik in der Welt des Zutritts eine größere Rolle einnehmen zu lassen. Da sind wir gut aufgestellt mit unseren Lösungen.

Muss man ein Sicherheitsfanatiker sein, wenn man bei Zutrittssystemen wie Akura 44 den optionalen Kopierschutz mitbestellt?


Ehrlich-Adam:
Fanatiker würde ich nicht sagen, das klingt zu negativ. Aber es ist natürlich ein zusätzliches Sicherheitselement. Es gibt seit jeher leichter kopierbare mechanische Schlüssel und andere, die sich nicht so leicht kopieren lassen. Manche ältere Systeme eignen sich perfekt, 3D-kopiert zu werden. Oft reicht eine Fotoaufnahme und ein 3D-Drucker. Ein Magnet-Kopierschutz verhindert diese 3D-Nachdruckmöglichkeit. Wenn man ein zusätzliches Schutzniveau erreichen will, macht es also Sinn.

Wo bekommen Sie eigentlich die Ideen für neue Produkte her?


Ehrlich-Adam:
Ich bin seit 1993 im Unternehmen. Damals gab es die Anekdote, unser Chefentwickler sei von einem Wochenendspaziergang mit einer genialen Idee zurückgekommen. Und diese Idee wurde schnell umgesetzt. Das war zu einer Zeit sicherlich möglich, als die Systeme am Markt noch nicht derart ausgefeilt waren. Das hat sich natürlich drastisch geändert. Es gibt nicht nur Evva, sondern viele große potente Firmen, die an solchen Systemen arbeiten. Heute muss man die Entwicklungsarbeit viel systematischer und konditioneller gestalten: In gesteuerten Innovationsprozessen erschließt man über Ideensuchprozesse und Patentscreenings Lösungen, die dann auch fertigbar sind.