Zulieferindustrie : Weiter auf Wachstums-Kurs

In Taicang geht es jetzt wieder auf die Wies’n. Im Oktober bleibt da keine andere Wahl. Die ostchinesische Industriestadt mit über 500.000 Einwohnern, nur 50 km landeinwärts vom 23-Millionen-Moloch Shanghai entfernt, ist so etwas wie ein zweites Mallorca: Es geht in der „Development Area“ ziemlich deutsch zu: Über 180 deutsche Unternehmen sind inzwischen dort ansässig: Taicang ist ein deutsches Gewerbegebiet mitten in China, eine kleine deutsche Musterstadt. Es gibt deutsche Restaurants, deutsches Weißbier und eben ein Oktoberfest. Die Straßen sind sauber, flache zweistöckige Wohnhäuser mit Holzfassaden erinnern an Fachwerksbauten und an den Hotelpools besetzen ausgelegte Handtücher die leeren Liegen.

Inmitten der deutsch-chinesischen Eintracht residiert an der Yangzhou Road ein Tochterunternehmen des Marchtrenker Silikonspezialisten Starlim-Sterner. Die Palette des Familienunternehmens reicht von Silikonkunststoffteilen für Autodichtungen über das mit Metallmolekülen beschichtete Audi-Lenkrad-Emblem bis zum superflachen Schnuller für den Baby-Spezialisten MAM.

Das 800-Mitarbeiter-Unternehmen unterhält seit 2011 ein kleines Vertriebsbüro für den chinesischen Markt. „Wir sind in Phase 1“, erklärt Geschäftsführer Thomas Bründl seinen China-Plan. Die Autoteile der Marchtrenker hätten „hohen Erklärungsbedarf“, außerdem würde „eine technische Betreuung vor Ort“ gebraucht, nennt Bründl die Gründe für den Einstieg 2011. Die Interessen der Oberösterreicher im Reich der Mitte sind stark mit den dortigen Wachstumspotenzialen verwoben: „Die Qualitätsansprüche der lokalen OEMs steigen. Für ausländische Anbieter unseres Zuschnitts eröffnen sich Chancen – aber nur, wenn wir vor Ort sind.“ Mit einem österreichischen und zwei chinesischen Mitarbeitern loten die Marchtrenker derzeit den Markt aus. Sie sind dabei, sich auf den Radar der in China produzierenden OEMs zu hieven.

Internationale Basis

In China pocht derzeit das Herz der globalen Autowirtschaft. In allen Prognosen und Analysen wächst der chinesische Automarkt überproportional: Der Absatz von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen soll sich zwischen 2012 und 2019 auf 27 Millionen Einheiten annähernd verdoppeln (PwC, „How to stay Number 1!“, 2013), was dem addierten Absatz von USA und EU sehr nahe kommt (31 Mio.). Der globale Trend gilt dabei aber nur teilweise für die regionalen Zulieferer, meint Rupert Petry, Berater bei Roland Berger und Mitautor der Zulieferstudie „Global Automotive Supplier Study 2013“: „Dem China-Hype der vergangenen Jahre folgt unter den Zulieferern derzeit eine Phase der nüchternen Bewertung.“ Für Tier-1-Lieferanten, die unmittelbar im Fokus der OEMs stehen, sei „eine Präsenz in China unverzichtbar“.

Tatsächlich sind viele der großen einheimischen Player im Autozuliefergeschäft, wie Magna, Miba oder List, bereits seit mehreren Jahren in China aktiv. Bei den Sublieferanten der dritten und vierten Stufe ergebe sich „ein differenzierteres Bild: Deren Kunden sind unverändert mehrheitlich in Europa.“

Internationalisierung im Gange

Die Internationalisierung der mittelständischen Zulieferer ist unter den heimischen Spielern seit vielen Jahren im Gange – mit unterschiedlicher Intensität. Ein innovationsgetriebener Getriebe- oder Motorenkomponentenfertiger unterliegt aus Gründen der „supply chain“ einem starken Druck, dem Hersteller an den lokalen Produktionsort zu folgen. Hersteller im „Interior-Bereich“ wie Sitzteile, Designapplikationen oder Innenauskleidungen sind hingegen eher preisgetrieben und müssen Standorte in sogenannten „best-cost-countries“ aufweisen, um in Ausschreibungen berücksichtigt zu sein. Das ist der Grund, warum Unternehmen wie der Tiefziehspezialist Mark aus Spital am Pyhrn mit 310 Beschäftigten einen Standort in Slowenien betreibt. Das Tochterunternehmen in Slowenien beschert Mark in den Augen der OEM die Fähigkeit, aus Mischkalkulationen Bestpreise zu liefern: „Sonst dürften wir bei bestimmten Konzernen und Projekten gar nicht anbieten“, seufzt Eigentümer Rudolf Mark. Internationalität wird verlangt. Aber es muss nicht immer China sein.

Stabile Befindlichkeit

Die globale Branchenausrichtung nach China und die europäische Absatzkrise der vergangenen Jahre haben Österreichs Zulieferern bislang wenig geschadet. „Die Stimmung ist verhalten optimistisch“, formuliert es Rudolf Mark für die mittelständischen Branchenkollegen, nebenbei auch Beiratssprecher im oberösterreichischen Automobilcluster. Sein Unternehmen habe seit der Krise 2008 den Umsatz verdoppelt und er wisse auch von niemandem, der „mehr als üblich jammere“. Im letzten Jahr sei beim Clustertreffen in Linz stets die erste Frage gewesen, „ob der Auftragseinbruch schon spürbar sei. Heuer war das kein Thema.“

Für Berater Rupert Petry sind die Gründe für das relative Wohlbefinden der heimischen Autozulieferer klar: „Die Stabilität der deutschen Autoindustrie stützt auch die österreichischen Zulieferer.“ Die Ausrichtung auf BMW, Audi und Mercedes und mit Abstrichen auf VW sowie deren globale Erfolge haben der österreichischen Autobranche über die Krise geholfen. Das potenzielle Klumpenrisiko, vor dem immer gewarnt wurde, hat sich als Segen erwiesen.

Düstere Klänge von Magna

Etwas düsterer sind die Klänge, die aus dem österreichischen Umfeld des Magna-Konzerns zu hören sind. Der Abzug der BMW-X3-Fertigung aus Graz mit 100.000 Stück pro Jahr konnte bis heute nicht kompensiert werden. Und mit dem Rückzug von Frank Stronach aus Oberwaltersdorf und der Einkehr an Österreichs Stammtischen fehlt die schützende Hand, die Magna-Chef Don Walker vor allzu harten Einschnitten in Graz abgehalten hat. Das Geraune, das Don Walker im Frühjahr in einem Interview mit der deutschen Wirtschaftswoche auslöste, hat bis heute nicht aufgehört: „Klar ist, wir müssen am Standort Graz effizienter werden. Österreich ist ein Hochlohnland.“ Unternehmen im Umfeld des Tier-1-Lieferanten Magna Steyr erwarten 2014 wichtige Entscheidungen.

Zulieferer verdienen gut

Dabei können sich die Zulieferer in den europäischen Hochlohnländern eigentlich nicht beschweren: Die globale Automobilzuliefererindustrie hat ihre durchschnittliche Profitabilität 2012 mit EBIT-Margen von 6,5 Prozent auf hohem Niveau halten können, heißt es in einer Studie von Roland Berger Strategy Consultants. Dabei kommen das Wachstum im Premiumsegment und die starke Technologieorientierung den österreichischen Zulieferern entgegen. Während Antriebs- und Fahrwerksspezialisten mit EBIT-Margen von rund 7 Prozent weiterhin besonders profitabel sind, leiden Zulieferer mit Interieur-Schwerpunkt 2012 unter einem weiteren Rückgang. Ihre Margen sanken auf 4,4 Prozent. Mit Blick auf die regionalen Unterschiede ist es Zulieferern aus Europa und der NAFTA-Region gelungen, die hohe Profitabilität der beiden Vorjahre aufrechtzuerhalten. Die Lage in Asien präsentiert sich hingegen etwas uneinheitlicher: Japanische Zulieferer hielten mit einer durchschnittlichen EBIT-Marge von 5,3 Prozent nicht Schritt. Zulieferer aus China (8,8 %) und Korea (7,2 %) erzielten die höchsten Margen. Doch der deutliche Rückgang um jeweils ca. 3 Prozent gegenüber 2010 belegt, dass der Wettbewerb rauer wird.

Für Starlim-Sterner steht der Einstieg im Fernen Osten trotz der stabilen europäischen Auftragslage fest am Strategieplan. Das China-Engagement sei keine Frage des Überlebens, wie es Thomas Bründl formuliert, „sondern der Chancen: Man muss das gut machen. Sonst sind alle Kostenvorteile weg.“ Denn das Preisschlaraffenland China gibt es nicht mehr: Die Lohnkosten haben sich seit 2005 viervierfacht, die Energiekosten sind in den vergangenen fünf Jahren um 50 Prozent gestiegen, die Logistikkosten um 60 %.

Die Entscheidung, ob und wie eine chinesische Produktion aufgebaut wird („Phase 2“), werde „in nächster Zeit fallen“. Der Fragenkatalog, den es noch zu klären gilt, ist lang: Wo soll der Standort sein? Ist eine Produktionshalle zu Miete eine Option? Im Raum steht auch die Entscheidung eines Alleinganges oder einer Joint-Venture-Partnerschaft. Und als ganz grundlegend erweist sich die Verfügbarkeit geeigneter Mitarbeiter – eine mittlerweile ausgesprochene Mangelerscheinung im Milliardenreich der Mitte. „In China haben viele ausländische Unternehmen teures Lehrgeld bezahlt“, begründet Thomas Bründl den bedächtigen Markteintritt von Starlim-Sterner. Für sein Unternehmen sei es in vielen Fällen günstiger, die Silikonteile von Europa aus anzuliefern als sie vor Ort zu produzieren. Aber – und hier liegt der Hauptgrund für die Investitionsneigung der Marchtrenker – „viele Kunden wollen lange Logistikwege vermeiden“.

Kurze Wege

Eine kurze „supply chain“ erleichtert die Liefergenauigkeit – im Zuliefergeschäft ein echtes K.o.-Kriterium. Seit Fukushima sind die OEMs und Tier-1-Lieferanten besonders sensibel: Viele Europawerke der Japaner sind damals im Zuge der Nachschubschwierigkeiten aus dem Mutterland logistisch ausgetrocknet. „Wir selbst sind bei einigen Werken als Lückenbüßer eingesprungen“, erzählt Bründl, „wenn man so will, profitieren wir heute noch vom Tsunami“. Die Erfahrungen aus der Katastrophenzeit wirken bei den Supply-Chain-Managern aller Konzerne nach. Das bedeutet, dass eine Lieferkonkurrenz aus Asien für europäische Autozulieferer wieder ein Stück erschwert wird, selbst wenn Preisvorteile geltend gemacht werden können. Short is beautiful, wenn es um Logistikwege geht. Auch im Reich der Mitte.