Nach dem Corona-Lockdown : So gelingt das Hochfahren in der Fertigungsindustrie

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© APA/HANS KLAUS TECHT

Der Leitfaden "Post COVID 19 – Back to the Future" der Unternehmensberatung Kearney soll Industriebetrieben exemplarisch aufzeigen, wo Chancen und Stolpersteine in den Bereichen Lieferketten, Produktion, Logistik und Absatzmärkte liegen. Dabei lohne sich beim Aufsetzen der passenden Strategie ein Blick nach Fernost, da sich dort die Industrie schon vor Wochen auf die Produktion in Post-Corona-Zeiten umstellen musste und damit über einen großen Erfahrungsschatz verfüge, den es zu nützen gilt, so Kearney. Im Folgenden werden die Maßnahmen Schritt für Schritt dargestellt.

Schritt 1: Set-up der Lieferketten - Lieferketten kürzen, Bullwhip (Peitscheneffekt) vermeiden

In einer Welt der multilokalen Märkte lohnt sich eine Prüfung, wie die Lieferkette kürzer gehalten werden kann. Doch für all diese Maßnahmen braucht es vor allem eines: die völlige Transparenz über die eigene Supply Chain, auch um dort frühzeitig Insolvenzen, Warenüberkapazitäten und -engpässe zu erkennen und beispielsweise zu erwartenden Bullwhip-Effekten entgegensteuern zu können. Wer noch immer nicht in täglichem Austausch mit seinen wichtigsten Lieferanten steht oder sie nicht als integrierten Bestandteil seines Erfolgs betrachtet, der sollte spätestens jetzt damit beginnen. Die Ende-zu-Ende-Optimierung ist hier das Zauberwort. Sie bietet analytische Entscheidungsunterstützung auf strategischer, taktischer und operativer Ebene. Robert Kromoser, Partner und Experte von Kearney für Einkauf, Digitalisierung und Risikomanagement: „Das Ende-zu-Ende-Konzept integriert die gesamte Wertschöpfungskette in ein mathematisches Modell und gleicht Freiheitsgrade in der Planung mit den Anforderungen des Unternehmens ab. So können Kosten eingespart, Planungssicherheit erreicht und Nachhaltigkeitsziele eingehalten werden. Einsparungen von fünf bis 15 Prozent, sowie eine robustere Wertschöpfungskette sind damit möglich.“

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Schritt 2: Advanced Technologie - Die KI und der Digital Twin als Schutzschild vor der „zweiten Welle“

Die sinkenden Infektionszahlen sind trügerisch. Virologen warnen bereits vor einer „zweiten Welle“ im Herbst. Vieles lässt sich via „Remote Work“ bewerkstelligen. Doch was ist mit Bereichen, die normalerweise die Anwesenheit vor Ort voraussetzen? Wie kann sichergestellt werden, dass Maschinen und Co. ohne Probleme weiterlaufen? Dass Lieferketten und Produktionsprozesse nicht unterbrochen werden – und zwar remote gesteuert? Die Industrie 4.0 hat da einige Antworten parat, denn sowohl die Überwachung als auch die Steuerung müssen nicht mehr zwingend vor Ort erledigt werden. So können Anlagenfahrer Maschinen via Tablet vom gesamten Werksgelände aus bedienen und müssen dank Künstlicher Intelligenz (KI) weniger Zeit im Kontrollraum verbringen, um die Anlage manuell zu steuern. „Die KI optimiert automatisch. In Zeiten von Social Distancing wohl einer der besten Kollegen. Erkrankt ein Mitarbeiter, können durch Cloud-Lösungen sogar Kollegen aus anderen Standorten die Vertretung übernehmen. Durch ein einheitliches Steuerungskonzept können diese Lösungen helfen, Arbeitszeiten zu flexibilisieren“, erklärt Kromoser. Eine weitere Errungenschaft der Industrie 4.0, die in der Corona-Krise produzierende Unternehmen unterstützt, ist der sogenannte „Digital Twin“. Dieses digitale Abbild der Anlage erlaubt es, diese virtuell zu bedienen. Das kann genutzt werden, um neue Mitarbeiter zu trainieren, auch wenn eine Anlage stillsteht – vergleichbar mit einem Flugsimulator für Piloten. Ein Digital Twin bietet sich aber auch dafür an, verschiedene Szenarien zu testen. Wie läuft es ab, wenn ich meine Anlage stilllege? Wie fahre ich meine Anlage, die vielleicht coronabedingt heruntergefahren war, wieder an? „In einem Digital Twin lassen sich ein Ausfall von Anlagen und die Wahrscheinlichkeiten hierzu simulieren. So können auch Reparaturen besser geplant und reduziert werden und zukünftige Pandemien verlieren etwas von ihren Schrecken“, so Kromoser.

Schritt 3: Betriebsmodell - Safety First

Wenn es in Fabriken heißt „Sicherheit geht vor!“, dann ist damit heute etwas völlig anderes gemeint als noch vor drei Monaten. Innerhalb kürzester Zeit müssen Hygienemaßnahmen gesteigert werden, Abstandsregeln in die Prozesse eingeplant und wiederverwertbarer Mundschutz aus Nachhaltigkeits- und Kostengründen organisiert werden. Oftmals werden hier pragmatische Lösungen vor Ort angestrebt, indem regionale Unternehmen der Textilindustrie angesprochen werden, um die Lieferkette möglichst kurz zu halten und die Qualität sicherzustellen. Immer öfter wird auch mit Fiebermessungen „on the fly“ die Gesundheit der Mitarbeiterinnern und Mitarbeiter überprüft. Klimaanlagen werden einem regelmäßigen Check unterzogen, isolierte Büroeinheiten geschaffen und Homeoffice angeordnet, wo immer dies möglich ist. Social Distancing wird nicht nur für die Produktionsweise zur Regel, sondern wirkt sich auch auf Pausen- und Kantinenkultur aus, Kantinenbesuche werden für die Mitarbeiter auf ein Minimum reduziert. Stattdessen wird Essen an die Arbeitsplätze geliefert oder durch zusätzliche Zelte mehr Platz geschaffen, um die Abstandsregeln auch in den Pausen einzuhalten. Dazu zählen auch Änderungen im Schichtsystem und Übergaben finden vermehrt virtuell statt oder gar als Podcast. Dabei gilt es durch versetzte Schichtzeiten größere Menschenmengen zu verhindern, und zwar auf dem Weg zu und vom Arbeitsplatz, im Unternehmen und auch in den sozialen Einrichtungen wie den Umkleideräumen oder den bereits erwähnten Kantinen. Werksbegehungen sind entweder ausgesetzt oder werden durch Virtual-Reality-Lösungen ersetzt.

Schritt 4: Wettbewerbsumfeld analysieren, Portfolio bereinigen, Kundengruppen differenzieren

In Zeiten von Corona scheint nichts „in Stein gemeißelt“. Wer gestärkt aus der Krise kommen will, muss zuerst das eigene Produkt-Portfolio hinsichtlich seines Kosten-Nutzen auf den Prüfstein legen. Das Gleiche gilt auch für den Kundenstamm. Mit Hilfe des „Customer Value Mapping“ kann zwischen werterzeugenden und verlustbringenden Kundengruppen differenziert werden. Letztendlich wird das gesamte Geschäftsfeld auf strategische und finanzielle Relevanz bewertet.

Auf eine neue Ebene kann auch die Beziehung zu den Lieferanten gestellt werden. Viele Unternehmen unterstützen diese durch Verlängerung der Zahlungsbedingungen und Unterstützungsprogramme. Dieses Entgegenkommen vertieft die Geschäftsbeziehungen, sorgt für Versorgungssicherheit und kräftigt die Lieferkette. Allerdings werden nicht alle Lieferanten COVID-19 überleben, viele stehen vor massiven Herausforderungen. Das können Unternehmen auch für Übernahmen nützen. Für Unternehmen bietet das die Gelegenheit ihre vertikale Integration entlang der Wertschöpfungskette zu erhöhen und damit eine bessere Kontrolle über wichtige Glieder in der Lieferkette zu erlangen. Darüber hinaus lohnt sich auch eine Analyse der horizontalen Integrationen, um neue Geschäftsfelder zu erschließen.