Logistik Oberösterreich : Gütertransport 4.0

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Linz, Science-Park 3, Zwischengeschoß, Institut für Wirtschaftsinformatik - Software Engineering der Johannes Kepler Universität (JKU). Der Vorstand heißt Gustav Pomberger.

Der 67-Jährige bezeichnet Software-Techniker als seinen "Brotberuf". Dass der verwaiste Lehrstuhl für "Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Produktions- und Logistikmanagement" interimistisch mit ihm besetzt wurde, könnte sich als Glücksfall herausstellen.Unter seiner Ägide hat die JKU den Zuschlag für eine Stiftungsprofessur des Infrastrukturministeriums erhalten, die wegweisenden Charakter hat: Es geht schlicht um nichts Geringeres, wie in Zukunft der Gütertransport organisiert sein soll. Durch das sogenannte Physical Internet.

Optimierung als Triebfeder

Aber der Reihe nach. Eigentlich konstruiert Pomberger große Software-Systeme. So, dass sie auch unter wirtschaftlich vertretbaren Kosten einsatzfähig sind. Und "grundsätzlich", schildert der Professor seine Arbeit, habe man sich dabei mit Optimierungsverfahren auseinanderzusetzen. Erst über dieses Thema fand Pomberger zur Logistik und für ihn schloss sich ein Kreis. "Optimierung ist eine permanente Triebfeder der Logistik", und "Software bildet das Rückenmark der Logistik. Ohne Software funktioniert ja kaum mehr ein Prozess." Ohne elektronische Datenverarbeitung bliebe das Physical Internet sogar völlig undenkbar.

Dass auch die andere treibende Kraft für ein Physical Internet Oberösterreicher ist, vereinfacht die hochgesteckten Ziele. Franz Staberhofer leitet die Studiengänge "Internationales Logistik Management" (ILM) und "Supply Chain Management" (SCM) am Logistikum der Fachhochschule OÖ in Steyr und ist Obmann des österreichischen Vereins Netzwerk Logistik. Das Logistikum beschäftigt sich bereits seit vier Jahren mit dem physischen Internet. "Mit Gustav Pomberger kam ein kongenialer Partner hinzu", freut sich Staberhofer.

Standardisierung von Transportmodulen

Nicht zuletzt lag es an den beiden Professoren, dass die Vision vom Physical Internet auf die politische Agenda kam. Das Land Oberösterreich ermöglicht im Rahmen seines Strategieprogrammes das Projekt ATROPINE, nachhaltige und wissensbasierte Innovationen zu fördern. ATROPINE ist eine Zusammensetzung aus Buchstaben des englischen Projektmottos "Fast Track to the Physical Internet". Die Steyrer FH-Professoren Horst Treiblmaier und Oliver Schauer untersuchen dabei die Möglichkeiten, die das PI bietet. Kollegen der FH Hagenberg wiederum arbeiten im Projekt an Simulationen und User-Interfaces. So wie Datenpakete im Internet über unterschiedliche Provider und Server durchs World Wide Web zu ihrem Empfänger geleitet werden, so könnten auch "richtige" Pakete in standardisierten Containern über Straßen, Schienen und Umschlaglager den Adressaten erreichen.

Die Standardisierung von Transportmodulen – im großen Maßstab durch Frachtcontainer seit Jahrzehnten Realität – in Kombination mit der Öffnung der Nutzung der bestehenden Infrastruktur von Logistikdienstleistern, Industrie- und Handelsbetrieben als Bedarfsträgern soll das System Gütertransport effizienter machen. Natürlich müssen die angesprochenen Frächter und Logistiker hier mitspielen, ihre Ressourcen für das System zur Verfügung stellen. Im Projekt ATROPINE jedenfalls sind sie an Bord. Der mögliche Nutzen für sie liegt auf der Hand: Auslastung. In Europa, erklärt Oliver Schauer, FH-Professor Logistikum, Motor der PI Initiative und Leiter des Atropine Projektes, wird nämlich zu 40 Prozent Luft transportiert. Durch das Projekt haben oberösterreichische Unternehmen die Möglichkeit, sich den Wissensvorsprung über neue Technologien, Geschäftsideen, Produkte und Lösungen im Bereich des physikalischen Internets zu sichern. Schauer ist überzeugt: "Die Projektergebnisse werden zeigen, wie Unternehmen die Transportkosten durch die Zusammenarbeit optimieren können und wie sie gleichzeitig die Produktivität steigern." Das Logistikum der FH OÖ ist dazu eine Forschungskooperation mit der Laval University in Kanada eingegangen. Dort hat Benoit Montreuil die Grundzüge des PI entworfen und lehrt heute an der Georgia Tech University in Atlanta/USA. Montreuil kam bereits mehrere Male über den großen Teich nach Steyr.

Ressourcenschonung

Die ökologischen Vorteile seiner Idee ergeben sich aus Ressourcenschonung und Schadstoffreduktion. Das führt indirekt zurück zu Professor Pomberger und seiner Expertise als Informatiker. Es gehe darum, erklärt er, die Systeme so zu synchronisieren, dass Transportwege verkürzt werden und dadurch wiederum weniger Schadstoffe in die Luft geblasen werden: "Klassische Optimierungsverfahren, wie wir sie aus der Mathematik kennen, dauern zu lange, um zum Beispiel bei einem Unfall auf der Autobahn die gewünschte Reaktion herbeizuführen." Ergo müssen über eine entsprechende Software Daten in Echtzeit generiert werden und das System muss sicher und zuverlässig arbeiten. "Irgendwann muss man es einfach ausprobieren", signalisiert Pomberger Tatendurst.

In greifbarer Nähe

Dass das Physical Internet erst in den Kinderschuhen steckt, ist eine große Chance für Linz. Weltweit gebe es erst "zwei oder drei Lehrstühle" zu diesem Thema. Genauer lasse sich das nicht beziffern, meint Pomberger, weil sie andere Bezeichnungen tragen. Wie die neue Stiftungsprofessur an der JKU betitelt wird, wird man in Kürze erfahren, wenn sie international ausgeschrieben ist. Dass das Infrastrukturministerium Linz den Zuschlag gegeben hat, liegt für Pomberger auf der Hand. Ausgeschrieben waren die Bereiche Industrie 4.0 und Transportlogistik 4.0, "wir haben uns im Antrag ausschließlich auf das Physical Internet fokussiert." Die Johannes Kepler Universität bringe hervorragende interdisziplinäre Voraussetzung für das neue Ordinariat mit: "Wir haben eine starke Informatik, einen starken Ast im Thema Logistik, hervorragende Leute im Bereich Automatisierung – und wir haben Soziologen, die die Auswirkungen im Auge haben, zum Beispiel für den Arbeitsmarkt." Die Stiftungsprofessur ist für fünf Jahre durch den Bund finanziert. Da bis zur Besetzung eines Lehrstuhles durchschnittlich neun Monate vergehen, wird, wenn alles optimal läuft, zu Beginn des Wintersemesters 2017 der Startknopf gedrückt. Dann soll sich an der JKU "nicht nur ein innovatives Zentrum etablieren, Forschung im internationalen Spitzenfeld betrieben werden und aus der Modellregion Patente entstammen. Das verstehen wir als unseren Auftrag."

Noch klingt vieles nach Zukunftsmusik. Franz Staberhofer glaubt fest daran, dass diese Zukunft unmittelbar vor der Tür steht. "Die Initiative hat inzwischen Kraft" und sie trifft auf eine Umgebung, die "Geist und Haltung" zeige: "Die Oberösterreicher nehmen ihre Themen ernst, sowohl die Unternehmen wie auch die Politik."