Zertifikate-Handel : Zertifikate-Handel: Luftnummer

Letzten August brachte nicht nur die Sonne Erich Schneider ins Schwitzen. Der Vorstand der Breitenfeld Edelstahl kämpfte mit der Administration der vom Staat vergebenen CO2-Gratiszertifikate, galt es doch, alle Daten für die nächste Zuteilungsperiode von 2013 bis 2020 rechtzeitig beisammen zu haben. Was das Umweltbundesamt dazu vom Finanzvorstand des Mürztaler Stahlerzeugers wissen wollte, hielt diesen längere Zeit auf Trab: „Im Gegensatz zu großen Betrieben haben wir keine Umweltabteilung mit eigenen Juristen und Verfahrenstechnikern, die sich aus schließlich damit beschäftigen können“, ärgert sich Schneider. Was die betroffenen rund 200 energieintensiven Betriebe an Daten zu übermitteln hatten, ist nicht ohne: Der EU-weit vorgegebene Fragenkatalog umfasst 300 Seiten auf Englisch. „Für mittelständische Betriebe ist es kaum machbar, die geforderten Unterlagen ordnungsgemäß einzureichen“, klagt Stefan Pilz, Geschäftsführer der Sparte Industrie in der Wirtschaftskammer Steiermark. „Viele Unter-nehmen können diese Datenflut nur mit Hilfe externer Experten bewältigen.“ Klagewelle Klagen über die CO2-Bürokratie hört man auch von größeren Kalibern – voestalpine-Sprecher Peter Felsbach sieht das Zertifikate-Handling als teure Fleißaufgabe: „Der Aufwand hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen.“ Was die Zertifikate kosten, die extra zugekauft werden, lässt sich auch beziffern: „Wir rechnen für die Handelsperiode 2008 bis 2012 mit zusätzlichen Kosten von bis zu 50 Millionen Euro pro Jahr.“ Manfred Tisch, technischer Geschäftsführer des Kalk- und Zementherstellers Wopfinger Baustoffindustrie, braucht für die Emissionserfassung und die Verwaltung der CO2-Zertifikate einen Fulltime-Job extra: „In Summe beträgt allein unser jährlicher interner Aufwand rund ein Mannjahr.“ Schluss mit gratis War bisher vor allem die Verwaltung teuer, gab es zumindest die Zertifikate großteils zum Nulltarif. Das wird 2013 anders. Geht es nach dem Wil- len der EU-Kommission, müssen dann nicht nur die Stromversorger für ihren gesamten CO 2-Ausstoß bezahlen, sondern auch Industriebetriebe für zumindest ein Fünftel ihrer Emissionen. Bis 2020 soll der Anteil der kostenpflichtigen Industriezertifikate dann auf 70 Prozent ansteigen. Eine Milliarde Euro zusätzlich würde das neue Handelsregime die voestalpine von 2013 bis 2020 kosten. Basis der Mehrkostenberechnung des europäischen Stahlbranchenverbandes Eurofer ist allerdings ein angenommener Zertifikatepreis von 30 Euro pro Tonne emittiertem CO2 – derzeit dümpelt er bei 8 Euro dahin.

Trotz allem nicht eben förderlich für die Standortqualität, sagt voestalpine-Sprecher Felsbach: „Wir sehen die Festlegung von unrealistischen, teils unerreichbaren und rechtswidrigen Benchmarks für die Stahlindustrie als sehr kritisch an. Diese einseitige Belastung führt zu massiven Wettbewerbsnachteilen gegenüber außereuropäischen Mitbewerbern und damit zur langfristigen Gefährdung energieintensiver Industrien in Europa.“ Auch mit den Effizienzwerten, die ab kommendem Jahr für die Gratiszuteilung zu erreichen sind, hat der Stahlkonzern seine liebe Not, „da wir ohnehin bereits die Benchmark bei Energieeffizienz und Emissionen setzen“. Auch Manfred Tisch sieht hier wenig Luft: „Mehr als zwei Drittel unserer CO 2-Emissionen stammen aus dem Entsäuern des Kalksteins und können kaum beeinflusst werden.“ Auch ein Brennstoffwechsel bringe wenig: „Wir können teilweise CO2-ärmere Brennstoffe und Biomasse einsetzen. Aber das löst unser Problem wegen deren geringerer Energieeffizienz nur bedingt.“ Richtig teuer ab 2013. Bisher zahlen heimische Produktionsbetriebe allerdings nur selten fürs Verschmutzen. Immerhin 32,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr hält der österreichische Staat in der bis Ende 2012 laufenden Handelsphase für Industriebetriebe wie Kraftwerksbetreiber zum Nulltarif bereit. Ein Kontingent, mit dem die meisten Betriebe voraussichtlich auskommen werden. Wolfgang Aubrunner, Geschäftsführer des nationalen Zertifikateregisters ECRA und Leiter der Energiemarkt Services bei der Oesterreichischen Kontrollbank (OeKB), drückt es dezent aus: „Die Zuteilungen waren durchaus fair bemessen.“ Einige Betroffene sehen das nicht so: „Wir sehen die Zuteilung als viel zu gering an. Der voestalpine-Konzern wird von Österreich im Vergleich zu den europäischen Mitbewerbern, etwa in Deutschland oder Großbritannien, schon in der laufenden Handelsperiode bei der Zuteilung wesentlich strenger behandelt“, lässt voestalpine-Sprecher Peter Felsbach verlauten. Wopfinger-Geschäftsführer Manfred Tisch ist zwar 2010 mit den zugeteilten Zertifikaten ausgekommen: „Das war nur dadurch möglich, dass die CO2-Intensität der Produktion gesenkt werden konnte.“ Er denkt auch nicht daran, den Überschuss zu verkaufen, sondern spart ihn für schlechtere Zeiten auf: „Da ab 2013 mit viel weniger Zertifikaten zu rechnen ist, werden wir die überschüssigen Zertifikate zur teilweisen Abdeckung dieser Minderzuteilung verwenden.“ Dabei hat es der Baustoffhersteller noch vergleichsweise gut: Wegen des hohen Anteils der CO2-Kosten an der Bruttowertschöpfung und der damit verbundenen Verlagerungsgefahr in angrenzende Nicht-EU-Staaten bekommen die Kalk- und Zementhersteller eine Gnadenfrist eingeräumt. 2013 und 2014 gibt es Zertifikate für die „carbon-leakage“-gefährdete Branche noch überwiegend gratis. Die Zuteilung drei Viertel aller Zertifikate zukaufen, würde das die Produktionskosten für Kalk um 65 Prozent in die Höhe treiben, bei Zement wäre die Preissteigerung ähnlich. Das hätte fatale Auswirkungen auf die gesamte Baubranche.“

Spielwiese für Umsatzsteuerbetrug. Die Sorge um die Gratiszertifikate belegen auch die Handelszahlen: 2011 wurden an der heimischen Strombörse EXAA gerade für 50.000 Tonnen Kohlendioxid-Zertifikate gehandelt, so wenig, dass die EXAA mit Jahreswechsel aus dem mauen Geschäft ausstieg. Auch der wegen des nahenden Endes der laufenden Kyoto-Periode erfolgte Preisabsturz sorgte nicht eben für einen animierten Handel. Ein Zertifikat war im Jänner um 7 bis 8 Euro zu haben. Wegen der bisherigen staatlichen Zuteilungen hat sich der Handel mit Verschmut- zungsrechten bisher als Spielweise für Umsatzsteuerhinterzieher entpuppt. In einigen Staaten, schätzt die europäische Polizeibehörde Europol, hätten bis zu 90 Prozent des grenzüberschreitenden Zertifikategeschäfts ausschließlich dem Steuerbetrug gedient. Dadurch sei den Mitgliedsstaaten der EU zumindest „ein dreistelliger Millionen-Euro-Betrag“ entgangen, sagt Energiemarkt-Experte Aubrunner. Weil einige Staaten die Zertifikate als – umsatzsteuerfreie – Wertpapiere sehen, andere aber als schlichte – umsatzsteuerpflichtige – Ware, gibt es Schlupflöcher von Scheunentorgröße, die weidlich ausgenutzt werden. Mit einem „Reverse-Charge“-Modell, das die Herkunft der Zertifikate berücksichtigt, sollten diese jetzt geschlossen sein. Dass es keinen transparenten Markt gibt, vereinfacht die Sache nicht eben. Unternehmen, die CO 2-Scheine übrig haben oder kaufen müssen, tun dies in der Regel nicht über Energiebörsen, sondern over the counter, also direkt beim Ein- oder Verkäufer. Auslagern der Verwaltungsprozedur. Unternehmen, denen Do-it-yourselfHandelsprozedur zu mühsam ist, können sie auch auslagern, meint Aubrunner. „Eine Börsenmitgliedschaft für einige wenige Transaktionen im Jahr ist nicht sinnvoll.“ Die OeKB bietet ihre Dienste als Broker beim Zertifikatehandel an. Bisher machte gerade einmal eine Handvoll Unternehmen davon Gebrauch – „nur bekannte österreichische Firmen, um Umsatzsteuerbetrug hintanzuhalten“, wie Aubrunner betont. Zertifikate bekommt man nur gegen Vorauszahlung, verkauft wird nur gegen Vorablieferung. Die OeKB handelt auch nicht auf eigene Rechnung, sondern ausschließlich als Vermittler. Die Preise orientieren sich an denen für Zertifikate an der europäischen Strombörse EEX in Leipzig und der Pariser Bluenext. Dabei ließe sich durchaus Markt spielen, komplex genug sind die Produkte. Bestimmte CO2-Rechte können zumindest eine Handelsperiode lang gehortet werden („Grandfathering“) in der Hoffnung auf steigende Preise. Andere Zertifikate haben wiederum kürzere Laufzeiten und sind da- her potenziell nicht so renditeträchtig. Spart man selbst zusätzlich Emissionen ein, kann der Überschuss an Gratiszertifikaten verkauft werden – „das ist Sofortliquidität für die Unternehmen“, kommentiert Aubrunner.

Gute Idee, schlechte Umsetzung. Neu geregelt hat die EU auch den Wildwuchs der nationalen Register, die das EU-weite Handelssystem manipulationsanfällig machten. Sie sollen, weil ausfalls- und vor allem hackeranfällig (2011 knackten Betrüger unter anderem die Systeme von Österreich und Tschechien), ab Mitte des Jahres durch ein EU-weites „Gemeinschaftsregister“ ersetzt werden. Es soll unter anderem dem grassierenden Umsatzsteuerbetrug Einhalt gebieten. Aufwändig sei nur die Erarbeitung der mehrsprachigen Plattform, nicht die Anwendung, beruhigt Experte Aubrunner: „Das wird so ähnlich ablaufen wie Internet-Banking.“ Dabei hätte theoretisch 2012 das letzte Jahr sein können, in dem Zertifikate gezogen werden müssen – 2013 läuft das Kyoto-Abkommen aus, in dessen Rahmen sich die EU zur massiven CO 2-Reduktion verpflichtet hatte. Ein Nachfolgeprotokoll kam im vergangenen Dezember beim Weltklima-Gipfel in Durban nicht zustande, sondern wurde auf 2015 vertagt. Doch die EU lässt ihr Klimaschutzprogramm nicht ersatzlos auslaufen, sondern plant ein noch strengeres CO 2-Regime. Deshalb rät OeKB-Experte Aubrunner Unternehmen, „sich mit ihrem mittelfristigen Bedarf auseinanderzusetzen und sich bei den derzeit moderaten Preisen mit Zertifikaten einzudecken“. Viel Grund zu Freude haben auch die Unternehmen nicht, die zu klein für Pflichtzertifikate sind. Ab 2013 will die EU-Kommission von ihnen eine Energiesteuer einheben, die den Schadstoffausstoß des Energieträgers stärker als bisher berücksichtigt: Doch der Vollausbau (20 Euro pro emittierter Tonne CO 2) soll dank langer Übergangsfristen erst 2023 erreicht sein.

Den Großteil dieser Verschmutzungsrechte bekommt die Industrie gratis vom Staat zugeteilt, der die Treibhausgas-Reduktionsziele nach EU-Vorgabe zu erfüllen hat. Für Mehrverbrauch müssen Zertifikate zugekauft, ein Minderverbrauch kann verkauft werden. Administriert werden Zuteilung und Handel von ECRA (ein Gemeinschaftsunternehmen von Energieversorgern, Fachverbänden, Kontrollbank und Siemens/Atos) und dem Umweltbundesamt. Hier muss jedes Unternehmen für jede der rund 200 erfassten Anlagen ein Konto führen, das über zugeteilte, eingelöste, ge- und verkaufte Zertifikate Auskunft gibt. Bis Ende April jeden Jahres haben die Firmen Zeit, ihre Vorjahresemissionen einzumelden; vom Unweltministerium zugelassene Prüfer verfizieren dann die Werte, bevor abgerechnet wird. Wer die Frist verpasst, zahlt pro Tonne CO 2 100 Euro Strafe. Änderungen ab 2013 2013 ändert sich das Zertifikateregime. Die Verteilung wird jetzt auf EU-Ebene organisiert, ab dann läuft der Handel mit den Zertifi ka- ten auch vorwiegend über Emissionsbörsen. Produzierende Unterneh men erhalten weiterhin ein Frei-Kontingent – allerdings nur für Produktionsanlagen, die den Benchmark der jeweils zehn Prozent energieeffi zientesten Anlagen auf EU-Gebiet im Jahr 2008 erfüllen. Schafft eine Anlage diese Benchmarks nicht, müssen Zertifikate für sie ersteigert werden. 2013 sollen noch 80 Prozent der (Benchmark-)Zertifikate gratis verteilt werden, bis 2020 soll der Anteil stufenweise auf 30 Prozent sinken. Ein Problem der Neuregelung ist, dass es für energieintensive Großinvestitionen keine nationale Reserve mehr gibt. Unternehmen, die einen emissionsintensiven Betrieb in die grüne Wiese setzen wollen, müssen künftig in Brüssel statt in Wien Klinken putzen. Sie können Emissionszertifi kate nur aus einer unionsweiten, von der Europäischen Kommission verwalteten Reserve beantragen. Die ist mit 5 Prozent der Gesamtmenge nicht eben üppig bemessen. Ausnahmeregelungen für Unternehmen mit sehr hoher Belastung (rund 50 Branchen) existieren: 2013 und 2014 soll noch einmal eine größere Gratiszuteilung erfolgen.

Sie war im Jahr 2010 mit knapp 24,7 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalent der größte Treibhausgas-Emittent in Österreich, wie das Umweltbundesamt errechnete. Die Energieversorger legten ebenfalls zu und emittierten 2010 rund 1,4 Millionen Tonnen Treibhausgase mehr als im Jahr zuvor, insgesamt waren es 14,3 Millionen Tonnen. Der Anstieg wäre noch höher ausgefallen, weil der Energieverbrauch 2010 ein Allzeithoch erreichte – allerdings wurde er durch den Einsatz erneuerbarer Energieträger gedämpft. CO2 ist mit einem Anteil von 85,5 Prozent das in Österreich mit Abstand am meisten emittierte Treibhausgas, gefolgt von Methan (6,6 Prozent), Stickoxid (6,1 Prozent) und fluorierten Gasen (1,9 Prozent).