Interview : "Wir sind krisenresistent"

Helmut Struger Brenntag CEE
© Helene Waldner

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Struger, große Chemiehersteller wie Wacker oder BASF kündigen für diesen Herbst Preiserhöhungen auf breiter Front an. Muss sich die Industrie auf eine Preislawine wie schon 2008 einstellen? Helmut Struger: Das ist in der Tat eine sehr spannende Situation. Ich bin sicher, dass es nicht zu einer Dynamik kommt wie 2007 und 2008. Ich erinnere mich, dass damals jeder Besuch eines meiner Lieferanten mit einer Preiserhöhung zu tun hatte. Da wurde nach dem Motto „Fünf Prozent Preiserhöhungen sind im Vorquartal durchgegangen – probieren wir’s mal mit 15 Prozent“ vorgegangen. Unsere Kunden, die Sparmaßnahmen treffen müssen bis hin zur Freisetzung von Mitarbeitern, um über diese Krise zu kommen, sind, glaube ich, nicht bereit, Preiserhöhungen auf breiter Front mitzutragen. Was bleibt denn den Kunden übrig? Im Spezialitätenbereich diktieren die Marken-hersteller ihre Preise. Und selbst im Bereich für austauschbare Produkte, so genannte Commodities, existieren weltweit oft nur noch drei, vier Anbieter ... Struger: Das ist richtig. Konnten wir bei simplen Produkten wie Salzsäure oder Aceton vor zehn Jahren noch aus fünfzehn oder zwanzig Anbietern auswählen, gibt es jetzt für manche Produkte aufgrund der Globalisierung weltweit nur noch zwei, drei Anbieter. Es ist aber auch so, dass der Absatzrückgang der letzten Monate um bis zu 30 Prozent den Chemieherstellern schwer zu schaffen macht. Die Frage ist, ob eine Preiserhöhung angesichts der weitaus geringeren Volumina von den Kunden auch aufgenommen wird. Oder ob ein Produzent ausschert und versucht, über geringere Preise Marktanteile zu gewinnen. Eine solche Vorgehensweise ist aber in der Chemiebranche eher selten, oder ...? Struger: (Lacht) Ich weiß, worauf Sie anspielen ... Letztes Jahr war es für geschickte Verhandler möglich, am Jahresende wirkliche Schnäppchen zu machen – mal sehen, ob es nicht heuer genauso sein wird. Vor fast einem Jahr war die Sorge, wie die gestiegenen Rohstoffpreise weitergegeben werden können, vorherrschend. Damals wurde angekündigt, Langfristkontrakte mit Kunden zu kündigen. Ist das passiert? Struger: Wir standen damals vor der Situation, dass wir von Lieferanten, also den Herstellern, nur noch Tagespreise bekamen. Ich bin wirklich lange im Geschäft, aber eine solche eine Überhitzung der Preise auf Lieferantenseite habe ich noch nicht erlebt. Langfristkontrakte mit Fixpreisen für unsere Kunden waren in dieser Situation für uns nicht mehr möglich. Wären Sie heute nicht glücklich über einen Jahresabnahmekontrakt zum Preis vom Juni 2008? Struger: (Lacht) In der Tat. Aber man muss schon auch sehen, dass eine Reihe von unseren Kunden dann, wenn die Preise nach oben gehen, auf Fixpreisen bestehen – und wenn die Preise nach unten gehen, zu uns kommen und nachverhandeln. Wir haben daraus gelernt und versuchen, Abnahmeverträge mit Klauseln zu versehen, die eine gewisse Flexibilität erlauben. Einerseits die Verfügbarkeit garantieren, aber die Preise auf Basis Hausse/Baisse gestalten. Eine Garantie, die Waren auch liefern zu können, war ja 2008 bei vielen Produkten nicht so selbstverständlich. Wie haben sich denn die Preise für Industriechemikalien angesichts der weltweiten Produktions- und Absatzkrise genau entwickelt? Struger: Der Preis für organische Chemikalien, besonders Commodities, ist am Beginn des Jahres dramatisch eingebrochen. Da waren wir in einer Situation, in der die Kunden sagten: Wenn ich morgen kaufe, kaufe ich billiger. Etwa bei der Phosporsäure, bei der wir Anfang vergangenen Jahres auch im Großeinkauf einen Anstieg auf bis zu 1600 Euro pro Tonne gesehen haben – heute liegt der wieder bei 450 Euro im Großeinkauf. Die gesamte Lösungsmittelsparte, wie Xylol, Tolol, Methanol, ist deshalb extrem eingebrochen. Kostete Methanol Mitte vergangenen Jahres noch 600 Euro die Tonne, in Großmengen, ist heute die Tonne für 200 Euro zu haben. Ist der Rückgang der Preise auf das Niveau vor der großen Übertreibung im Jahr 2008 eigentlich schon genug? Immerhin befinden wir uns mitten in der immer wieder zitierten größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit ... Struger: Ich glaube, dass die chemische Industrie mit dem derzeitigen Preisniveau pro Tonne eigentlich nicht schlecht fährt, da ja die Rohstoffpreise, allen voran Öl, Gas und Energie, sich erheblich reduzieren – was noch fehlt, ist die Auslastung. Aber ich frage mich persönlich oft, wo der teilweise erhebliche dramatische Preisrückgang, den wir in den letzten Monaten gesehen haben, eigentlich stecken geblieben ist. Wir liefern Chemikalien in wirklich so ziemlich jeden Wirtschaftszweig – vom der Lebensmittel- bis zur Reifenindustrie, von der Glasindustrie bis zur Dispersionsfarbe und zum Autoreifen. Wirklich billiger geworden ist allerdings, wenn ich mich so im Supermarkt umsehe, nichts geworden ... Wie spürt Brenntag selbst die derzeitige Wirtschaftslage? Struger: Nach acht Monaten kann ich das vorsichtig sagen – wir sind nicht unzufrieden mit unserer Entwicklung gegenüber dem Vorjahr. Wir werden heuer wahrscheinlich weder vom Volumen noch vom Ertrag her unter dem vergangenen Jahr liegen. Wie das? Struger: Einerseits haben wir, als im Oktober die Nachfrage eingebrochen ist, Maßnahmen getroffen, um unsere Marktanteile zu erhöhen. Das ging zugegebenermaßen in relativ neuen Märkten mit niedrigerem Marktanteil, wie der Türkei oder Russland, viel einfacher als hierzulande. Aber wir haben auch ein massives Effizienzprogramm auf die Beine gestellt, massiv an den Kostenschrauben gedreht, fixe und variable Kosten gesenkt, das Cash- und Warenbestandsmanagement optimiert. Sie haben insgesamt 120 Ihrer 1450 Mitarbeiter abgebaut – bei, wie Sie sagen, annähernd gleich bleibendem Umsatz und Ertrag. Wie viele davon waren heimische Mitarbeiter? Struger: Rund 30 der 120 Mitarbeiter wurden in Österreich abgebaut, sowohl in der Logistik und Administration als auch in der Produktion in unseren Werken in Traun, Judendorf, Berg, Wiener Neustadt und Guntramsdorf. Herr Struger, man erfährt auf der Webpräsenz von Brenntag eigentlich nichts über ihren Eigentümer, den Finanzinvestor BC Partners. Weshalb ist das so – und an wen berichten Sie eigentlich? Struger: Es ist kein Geheimnis, dass BC Partners seit Jahren – wie ich hoffe, glücklicher – Eigentümer von Brenntag ist. Ich persönlich berichte an das Management der Brenntag-Gruppe, unser weltweites Headquarter ist in Mülheim bei Düsseldorf. Mit dem Eigentümer habe ich eigentlich nur selten zu tun. Die quälen, wenn Sie so wollen, den Vorstand der Gruppe, nicht mich. Kann gut sein, dass das auch zum Erfolg des Unternehmens beigetragen hat. Es gibt ja viele Beispiele, in denen Finanz-investoren ins Geschäft dreingeredet haben – und die dann pleitegegangen sind. Ihr Eigentümer BC Partners ist deutschen Medienberichten zufolge auf der Suche nach Investmentbanken, die einen Börsegang vorbereiten. Was bedeutet das für Sie? Struger: Das ist Sache des Eigentümers. Als derjenige, der die Region CEE zu verantworten hat, weiß ich, dass wir sicherlich zu den Schwerpunktregionen bei Brenntag in Europa zählen. Mit einem Umsatzanteil von rund 10 Prozent und reichlich Fantasie, was das Wachstum anbetrifft. Zudem sind wir, da bin ich durchaus stolz, eine Art Ideenspender für andere Teilbereiche. Wir managen von hier aus 16 Länder mit 16 Sprachen und 14 Währungen, und das ist so komplex, dass wir hier nicht bestehen könnten, wenn wir mit unserer Organisation nicht gruppenintern top wären. Viele Tools, die wir in den letzten 15 Jahren geschaffen haben, haben ihren Siegeszug quer durch Europa erlebt. Zum Abschluss eine persönliche Einschätzung. Die viel zitierte Talsohle der industriellen Produktion scheint erreicht, darüber sind sich fast alle einig. Wann werden wir wieder gesunde Wachstumsraten von zwei Prozent plus X sehen? Struger: Ich bezeichne unser Geschäft gerne als Fieberthermometer der Industrie, denn es gibt keinen Bereich, in den wir nicht hineinliefern – von der Automobilindustrie und der Bauindustrie bis hin zur Genussmittel- und Lebensmittelindustrie. Da habe ich in den letzten Wochen wirklich spannende Erfahrungen gemacht. Das Produkt Titandioxid, also das Weißpigment, das in allen Farben, Dispersionen oder Lacken ist und dem Bau und der Kunststoffindustrie zugeschrieben wird, ist derzeit extrem gefragt. Wir bekommen in diesem Bereich und für viele andere Produkte, die klare Konjunkturbarometer sind, mittlerweile sogar wieder Mengenbeschränkungen. Das ist für mich ein Indikator, dass die Konjunktur wieder anzieht.

Helmut Struger, 55, ist Geschäftführer der Brenntag CEE. Die Osteuropatochter des Chemiedistributeurs unterhält heute von Wien aus weitere Werke in Traun, Judendorf, Berg, Wiener Neustadt und Guntramsdorf sowie über 50 Standorte in 14 Ländern in Zentral- und Osteuropa. Brenntag CEE setzte 2008 mit rund 1.450 Mitarbeitern 816 Millionen Euro um.