Digitalisierung : Wien Energie, Engie, Energie AG: So abgedreht sind die digitalen Konzepte der Energiebranche

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Ihr Lieblingssport ist die Algorithmik. Hängen sie nicht in der Blockchain, experimentieren sie mit Mini-Kraftwerken oder Drohnen zur automatisierten Kraftwerkswartung. Ein gemeinsames Ziel eint sie: Das der smarten Energienetze, in denen neben klassischen Energieformen auch neue – womöglich in virtuellen Kraftwerken produzierte – für Angebot und Nachfrage sorgen. INDUSTRIEMAGAZIN begab sich auf die Suche nach den digitalen Vordenkern der heimischen Energieszene.

Werner Steinecker, Energie AG OÖ: Der Hochtourige

Radikale Öffnung zu neuen Technologien und Geschäftsmodellen: Werner Steinecker, Generaldirektor der Energie AG Oberösterreich, sieht im Wandel die Chance für Wachstum.

Mini-Kraftwerke auf Brennstoffzellenbasis für die eigenen vier Wände oder die eigene Firmenabteilung, mit unter 10.000 Euro Neupreis noch dazu einigermaßen erschwinglich – sieht so die Zukunft der dezentralen Energieversorgung aus? In der Glaskugel lesen will Werner Steinecker, Generaldirektor der Energie AG Oberösterreich, natürlich nicht. Seine Einschätzung abgeben kann er schon.

„Bei tausendfacher Installation würden klassische Netzbetreiber dann natürlich ein Riesenproblem bekommen“, meint er. Sehr nahe sei man der Vision virtueller Kraftwerke – tausendfach zusammengeschalteten Klein- und Kleinstkraftwerken – heute schon gerückt. Mit einem Kontrakting-Modell, bei dem der Versorger künftig zum Betreiber solcher Mini-Kraftwerke wird, wäre der Fortbestand in der Erzeugerkette sicher: „Der Kunde nutzt die Wärme, wir tragen als Dienstleister das Anlagenrisiko“, sagt Steinecker.

Selbst charakterisiert sich Steinecker – jahrelang Technikchef des Unternehmens – als vehementen Rufer nach alternativen Energieformen wie etwa der Wasserstofftechnik. Heute sei vieles bereits „knallharte Realität“ sagt er. Zugleich brauche es gerade beim Thema Digitalisierung ein hohes Maß an Geduld. Und Neugier, wie sie heute so manches Start-up an den Tag legt: „Wir müssen für Neuentwicklungen maximal offen sein“, so Steinecker.

Michael Strebl, Wien Energie: Der Valley-Heimkehrer

Mit Valley-Spirit in die Zukunft: Michael Strebl digitalisiert den Energiedienstleister Wien Energie mit Drohnen, Datenbrillen und Bots.

Er ist seit frühesten Tagen Verfechter der Idee liberalisierter Energiemärkte. Hält den Einsatz smarter, digitaler Infrastrukturen als Antwort auf konventionellen Netzausbau für alternativlos. Und im Silicon Valley schaute er sich von Start-ups schon in seiner Zeit bei Siemens USA die eine oder andere Innovationsmethode ab. Das kann nicht verkehrt sein: Michael Strebl, seit dem Vorjahr Chef der Wien Energie, steht vor Herausforderungen, vor der die ganze Branche steht:

Bloß als Versorger aufzutreten – so können Energiedienstleister ihre Rolle in immer dezentraler organisierten Systemen künftig nicht mehr interpretieren. Und so schickt der 52-Jährige Technologien auf den Weg, die mehr nach Produktionslabor klingen: Drohnen, Datenbrillen, Chatbots.

Windkraft- und Photovoltaikanlagen, Fernwärmeleitungen oder Schornsteine: Sie alle könnten künftig automatisiert durch intelligente Drohnen inspiziert werden. Im Anlagenservice könnten smarte Brillen auf Basis sogenannter Augmented Reality für Fachkräfte Hilfestellungen in Form von Wegbeschreibungen oder Echt- zeitdaten liefern. „Es muss erlaubt sein, Dinge auszuprobieren“, ist Strebl überzeugt. Innovationsmanager würden Innovationsmethoden wie etwa Design-thinking in die Abteilungen bringen.

Innovations-Scouts dagegen die weiten Felder der Energiewirtschaft nach Ideen abgrasen. Schon in Erprobungsstatus: Blockchain. Strebl: „Wir werden die Chancen dieser Technologie nutzen.“

Sven Ortmann, Schneider Electric: Der Vernetzer

Diskurs ausdrücklich erwünscht: Intelligentes Energiemanagement erfordert Informatiker, Techniker und Kybernetiker, sagt Schneider Electric- Softwarechef Sven Ortmann.

Der Weg zu einem Unternehmen, das sich wie Schneider Electric als Spezialist für Energiemanagement positioniert, schien vorgezeichnet: „Erneuerbare Energieformen und Wasserkraftwerke“ lautete schon Sven Ortmanns Matura-Abschlussarbeitsthema, und es war natürlich selbstgewählt. Energiesysteme und deren optimale Auslegung interessieren Ortmann seit Jugendtagen – für ihn mindestens ebenso reizvoll:

Die Arbeit in gemischten Teams aus Informatikern und Elektrotechnikern, die beim Energiethema alle etwas beizutragen haben. Nach seiner Mechatronik-biomedizinischen Informatikausbildung heuerte Ortmann bald als Software-Applikationsspezialist – Schwerpunkt: natürlich Energiemanagement – bei Schneider Electric Austria an, seit April ist er Softwarechef der IT-Division. Damit taucht er tief in Kundenprojekte ein – derzeit auffälligster Trend: Der Wandel in Richtung Asset-Management, etwa beim Thema vorbeugende Wartung. „Immer öfter nehmen wir Kun- den zu großen Stücken die Planung ihrer Energiemanagementsysteme ab“, sagt Ortmann.

Da ist es gewiss kein Fehler, dass Ortmann, 30, mit der technologischen Innovation nicht auf Kriegsfuß steht: Für Blockchain, Smart Grids, Big Data oder das Internet der Dinge kann sich Ortmann sichtlich begeistern. Mit Hingabe spricht er vom jüngst gelaunchten Produkt, einem vernetzbaren Leistungsschalter („Masterpact MTZ“), der etwa Stromqualitätsmessungen am Smartphone möglich macht. Schnittstellen sucht Ortmann aber auch im Unternehmen selbst: „Wir wollen Digital Natives und Mitarbeiter mit langjähriger Erfah- rung zusammenspannen“, sagt er.

Klaus Reisinger, Engie Gebäudetechnik: Der Daten-Jongleur

Einst Klimaschutzforscher, heute Chef der Gebäudetechnik-Sparte des Energiespezialisten Engie: Klaus Reisinger will Daten zirkulieren lassen.

Drohnen, die Baustellen ganz von allein anfliegen und Monteuren zur Hand gehen. Gewerke, die im richtigen Moment beordert werden. All das soll auf Baustellen bald kein Zukunftsszenario mehr sein. „Schließlich soll der Obermonteur ja nicht ständig mit der Annahme von Kleinstteilen beschäftigt sein“, sagt Klaus Reisinger, seit dem Vorjahr Geschäftsführer bei Engie Gebäudetechnik.

Der 48-Jährige, auch für das Innova- tion Management bei den heimischen Schwestergesellschaften verantwortlich, kann einer digitalen Zukunft, die auch vor der Baustellenlogistik nicht Halt macht, einiges abgewinnen. „Der Anlieferprozess soll so digital wie möglich sein“, sagt er. Das sei die Vision, dafür screent man derzeit auch gerade eine Reihe von Serviceprovidern für Baustellenlogistik, die künftig in die Partnerrolle schlüpfen könnten.

Von BIM, der optimierten Bauwerksdatenmodellierung, ist es nicht weit zur Energieeffzienz weiß Reisinger, der Technische Chemie, Studienzweig Verfahrenstechnik, in Wien studierte und in dieser Zeit aktiv in der Klimaschutzforschung tätig war.

„Natürlich ist Energieeffizienz heute längst Querschnittsmaterie“, sagt Reisinger. Gebäudetechnik, Beleuchtung, Zutrittssysteme, Verkabelung – überall würden Einsparpotenziale liegen. Reisingers Zugang ist trotzdem ein pragmatischer: Gibt es etwa in Spitälern riesige Potenziale, die auch gehoben wer- den sollten, „muss nicht unbedingt jede Lagerhalle smart sein“, sagt er.

Um Potenziale nicht bloß abzuschätzen, sondern exakt zu bemessen, habe man heute Digitaltools. Engie Gebäudetechnik arbeitet mit einer Lösung des Konzerns ("Engie Maps"), die Energieströme in Häusern visualisiert und dadurch Optimierungspotentiale einfach und effektiv aufdeckt. Dass Daten heute viel stärker abteilungsübergreifend in Unternehmen zirkulieren müssten, unterschreibt Reisinger sofort. Er selbst hat unlängst an einem mehrmonatigem „Think Tank“ der Engie-Konzernzentrale zum Thema „Management der Zukunft“ teilgenommen. Mitgenommen hat er so manches. Unter anderem auch die Erkenntnis: "Es braucht Offenheit, Vertrauen und Transparenz, sonst erlahmt die Kommunikation".

Michael Ruthensteiner, Ruvi: Der KMU-Versteher

Familiär vorbelastet landete der Politologe und Ruvi-Gründer Michael Ruthensteiner mit der Entwicklung eines intelligenten Algorithmus zur Analyse von Energiesystemen einen Volltreffer.

Technikbegeisterung liegt bei Michael Ruthensteiner in der Familie. Als 2009 die Renovierung des elterlichen Wohnsitzes in der Wienerwald-Gemeinde Eichgraben ansteht, fackelt Ruthensteiner senior nicht lange: Auch eine Solaranlage, so entschließt er sich, komme aufs Dach. Rasch, so geht die Legende, bekommt die beauftragte Installations rma von unerwarteter Seite Unterstützung:

Sohn Michael, eigentlich ausgebildeter Politikwissenschaftler, hilft bei der optimalen Auslegung der elterlichen Anlage. Schon damals hat er eine Software entwickelt, mit der sich Energiesysteme visualisieren lassen, sie ringt auch dem Installateur Staunen ab. Mehr brauchte es nicht: Eine Geschäftsidee war geboren.

Heute vertreibt Ruthensteiner mit seiner Firma Ruvi die auf dem Prototyp basierende und um Open-Source-Funktionalitäten erweiterte Software-App („Solar“) österreichweit. An den Solarregler angeschlossen, zeichnet sie an Ort und Stelle Daten auf. Im Hintergrund analysiert ein intelligenter Algorithmus den Echtzeitzustand und -betrieb der Anlage.

„Der Algorithmus ist in der Lage, eine theoretisch unendlich große Anzahl von Einflussfaktoren mitzuberücksichtigen, auf deren Basis die Steuerung optimiert wird“, schildert Ruthensteiner. Er ist überzeugt: Kaum eine Solaranlage da draußen ist wirklich optimal ausgelegt, die Ausfallsquote entsprechend hoch.

Mit der Lösung hat Ruthensteiner deshalb viel Branchenlob eingeheimst, Lieferanten solarthermischer Gesamt- systeme setzen auf seine Software und Beratungsdienste. Nach dem Einbruch 2010 ist die Solarbranche aus dem Gröbsten heraus, das sei zu spüren. Und neuerdings klopfen auch große internationale Player aus dem Heizungsgeschäft bei Ruthensteiner an. Bisher ist Ruthensteiner der Versuchung einer ungleichen Partnerschaft nicht erlegen, wohler fühlt man sich mit KMU: „Das sind Kooperationen auf Augenhöhe“, sagt Ruthensteiner.