Aufsichtsratskaiser : Wie gut sind Österreichs Aufsichtsräte?

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Mehr als drei Stunden diskutierte das oberste Kontrollgremium des Stahlkonzerns voestalpine ein einziges Thema: Ob der – erfolgreiche – Generaldirektor des mehrheitlich bereits privatisierten internationalen Unternehmens trotz Insiderhandels weiterhin an der Spitze stehen dürfe. Die einstimmige Bestätigung Franz Struzls durch die Aufsichtsräte führte zu einem Aufschrei in den heimischen und internationalen Medien und bei den Verantwortlichen des Wiener Kapitalmarktes: Von einem „Freibrief zum Insiderhandel“ war die Rede, von „nicht genug ausgeprägtem Unrechtsbewusstsein“, von fehlender „Kapitalmarkthygiene“. Struzls vorläufiger Sieg wird auch von Vorstandskollegen – freilich unter Bestehen auf Anonymität – nicht als solcher gewertet. Die beiden Vorsitzenden Rudolf Streicher und Rainer Wieltsch, so der Tenor, wussten schon seit einem Jahr vom Fehltritt Struzls und wollten diesen eigentlich hinter den Kulissen bereinigen. Im eigenen Interesse bestanden sie darauf, den General durchzutragen. Zudem sei einigen Kapital- und Arbeitnehmervertretern im Gremium ein geschwächter Vorstandsvorsitzender ganz recht. Dass sich drei Kapitalvertreter bei der wichtigen Aufsichtsratssitzung entschuldigen ließen, stößt auf Kopfschütteln. „Das ist inakzeptabel“, meint Richard Schenz, ehemaliger OMV-Generaldirektor und jetzt Kapitalmarktbeauftragter der Bundesregierung. „Wenn das nicht wichtig genug ist, zu kommen, was dann?“ „Weil die Optik nicht passt.“ Die allzu freundliche Behandlung eines Vorstandes mit Insider-Erfahrung warf freilich nicht das einzige negative Schlaglicht auf die Qualität heimischer Unternehmenskontrollore. Im Rahmen der voestalpine-Privatisierung wurden krasse Unvereinbarkeiten im Aufsichtsrat der staatlichen Industrieholding ÖIAG kritisiert: So zuckt Magna-Europe-Chef Siegfried Wolf mit keiner Wimper, wenn die Inkompatibilität seiner beiden Funktionen kritisiert wird. Als ÖIAG-Aufsichtsrat müsste er bei der Privatisierung der voestalpine an einem möglichst hohen Preis für das 34,7-Prozent-Paket der Republik interessiert sein, als potenzieller Käufer gerade am Gegenteil. Selbst wenn diese Unvereinbarkeit bei RLB-Oberösterreich-Boss Ludwig Scharinger nicht so hart ins Auge sticht, meinen Kritiker, auch er sollte sein voestalpine-Mandat als Interessent von Anteilen zurücklegen – sein Informationsvorsprung gegenüber Neuinteressenten ist schon jetzt erheblich. Und auch in anderen Unternehmen kennen die Kontrollore ihre Grenzen nicht wirklich. Im steirischen Energiekonzern Estag etwa hat der Aufsichtsratspräsident, der Grazer Rechtsanwalt Norbert Ertler, gemeinsam mit einigen Freunden ein Netzwerk von privaten Firmenbeteiligungen rund um das von ihm kontrollierte Unternehmen aufgebaut. Er ist als Investor etwa an einer Tiefgarage oder einer Fluglinie beteiligt – ebenso wie der von ihm überwachte Strom-, Gas- und Wärmeversorger, in dessen Kerngeschäft derartige Investitionen wohl nicht wirklich passen. Jetzt prüft der Rechnungshof, und Ertler will sich zurückziehen. Jedoch nicht aus Einsicht – sondern, wie Ertler es formuliert, „weil die Optik nicht passt“. Wirtschaftsdorf Österreich. Eine von der Arbeiterkammer Anfang August veröffentlichte Studie zum Umgang von 91 börsennotierten Unternehmen mit ihrer Corporate Governance ist ernüchternd. Gerade ein Drittel der AGs hat sich dem Kodex, der das Zusammenspiel zwischen Aufsichtsrat und Vorstand regelt, unterworfen, und selbst jene Unternehmen setzen nur einen Teil der Empfehlungen auch um. Lässt sich daraus schon auf eine schlechte Gesamtqualität der österreichischen Aufsichtsräte schließen? Nach einer bisher unveröffentlichten Studie des Beraterunternehmens Roland Berger sind selbst einige Vorstände dieser Meinung. Immerhin ein Drittel der Vorstandsvorsitzenden der heimischen Top-100-Unternehmen wurden darin befragt, und einigeder – anonymisierten – Antworten lassen nichts an Deutlichkeit vermissen: „Das eigentliche Problem sind die Aufsichtsräte“, analysiert einer der heimischen Lenker. „Zu viele von ihnen haben den Schwenk von einer rein formellen Funktion zu einer verantwortlichen Rolle nicht mitvollzogen.“ Ein anderer meint: „Meist fordern die Aufsichtsräte die Vorstände nicht genug. Vor allem beim kritischen Hinterfragen von Akquisitionen.“ Was sind also die wirklichen Aufgaben heutiger Aufsichtsräte? Lassen sich so etwas wie allgemein gültige Anforderungsprofile erstellen? Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Vorständen und ihren Kontrolloren in der Praxis? Und wie verändern langfristige Entwicklungen – Privatisierung, Internationalisierung, die Zersplitterung der Eigentümer – die Corporate Governance im Alltag?

„Mut haben, Dinge anzusprechen.“ Das österreichische Aktienrecht geht – anders als jenes in den USA oder manchen südeuropäischen Ländern – von einem „Two board system“ aus: Der Vorstand führt die Geschäfte, der Aufsichtsrat kontrolliert. So prüft der Aufsichtsrat – mit Hilfe einer von ihm bestellten Wirtschaftsprüfungskanzlei – den Jahresabschluss, er muss bei einer ganzen Reihe von größeren Geschäften, etwa Akquisitionen, Betriebsstilllegungen oder Kreditaufnahmen, seine Zustimmung geben. Und er ist für die Besetzung des Topmanagements verantwortlich. „Das ist die vornehmste Pflicht“, betont Wolfgang Leitner, Wiener Anwalt und als Anlegerschützer seit kurzem selbst im Aufsichtsrat der VA Tech. Sein Vorstandsvorsitzender Erich Becker, lange als ÖIAG-Vorstand in zahlreichen Aufsichtsräten aktiv, kennt die Problematik: „Ein gutes Vorstandsteam aufzubauen ist sehr schwierig. Das Problem dabei: Es wird immer zizerlweise nachbesetzt.“ Überdies geht es dabei auch um Vorsorge für akute Nachbesetzungen und um das Anlegen eines „Goldfischteichs“ auf der zweiten Managementebene. Die laufende Kontrolle des Vorstandes ist eine weitere Aufgabe sorgfältiger Aufsichtsräte. „Abweichungen von den Monats- oder Quartalszahlen gehören penibel analysiert“, so Böhler-Uddeholm-Generaldirektor Claus Raidl. Was gar nicht so aufwändig sei, wie der langjährige Wienerberger- Generaldirektor und jetzige Aufsichtsratspräsiden beim Verbund, Erhard Schaschl, meint. „Warnsignale bei den Summaries der Monatsberichte sieht man eigentlich sehr schnell“, so Schaschl. Doch mit der Analyse sei es nicht getan. „Man muss auch den Mut haben, Dinge anzusprechen, wenn etwas nicht so richtig läuft“, sagt Uddeholm-Chef Raidl. Schnelles Zusammenspiel. Die Zustimmung zu größeren Käufen oder Verkäufen verlässt eigentlich schon den Bereich klassischer Kontrolle. Denn hier geht es nicht mehr um die Überprüfung bereits getätigter Geschäfte, sondern eigentlich die Mitübernahme unternehmerischer Verantwortung – letzten Endes um die laufende, konkrete Umsetzung der Unternehmensstrategie. Raidl: „Zuerst einmal muss der Aufsichtsrat die Unternehmensziele kennen. Wo soll denn die Firma in fünf Jahren überhaupt stehen?“ „Der Aufsichtsrat sollte der Sparringpartner des Vorstandes sein“, so Ex-OMVGeneral Schenz. „Er hat die strategische Ausrichtung abzuklopfen.“ Auch Schaschl spricht von „strategischer Begleitung“ des Vorstandes, und vor allem müsse es im Konkurrenzumfeld möglichst unbürokratisch und schnell hergehen: „Wir haben in der Wienerberger bei unserer ersten große Akquisition in Deutschland schon die Verträge paraphiert gehabt, da haben die deutschen Konkurrenten erst die ersten Berichte an ihre Aufsichtsräte geliefert.“ Erhobener Zeigefinger. Deutet sich in der engen informellen Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat nun in Österreich trotz des geltenden Aktienrechts eine Tendenz in Richtung des USSystems an? In den USA gibt es im Gegensatz zu Österreich ein einziges „board“ und einen starken, individualistischen Chief Executive Officer (CEO), der seine Vorstandskollegen überragt und einsame Entscheidungen treffen kann. „Ich sehe so eine Tendenz“, meint Schaschl, bleibt mit dieser Position aber recht einsam. „Es wäre nicht gut, wenn hier eine Grauzone entstünde“, warnt Böhler-Uddeholm- Chef Raidl. Er erinnert sich noch an Austrian-Industries-General Hugo Michael Sekyra, der in einzelnen Unternehmen operativ eingreifen wollte, „und da hat es gekracht“. Laut Raidl muss der Aufsichtsrat informiert werden, aber der Vorstand hat ganz klar die alleinige Aufgabe, die Geschäfte zu führen. Und auch VATech- Generaldirektor Becker sieht „die Tendenz zum Systemwechsel nicht. Und ich will sie auch nicht sehen. Wir haben so mehr Kontrolle, es könnte sonst eine gewisse Willkür entstehen.“ Manfred Reichl von Roland Berger will bereits in manchen österreichischen Unternehmen ein „gelebtes CEO-Prinzip“ erkennen, ohne dass dies mit dem Aktienrecht kollidiert. Erfolgreiche Unternehmen, so Reichl in seiner Studie über Corporate Governance, schaffen eine delikate Balance zwischen Vorstandsvorsitzendem, Präsidenten des Aufsichtsrates und dem Finanzvorstand: „Der CEO muss das Unternehmen vorwärts treiben.“ Der Aufsichtsratspräsident sollte diesen neben der Kontrolle auch strategisch begleiten, „quasi als erfahrener, weitsichtiger und abwägender Vertrauter“. Dem Finanzvorstand schließlich komme die Aufgabe zu, mit „erhobenem Zeigefinger“ die Dynamik nicht allzu sehr ausufern zu lassen. „Urlaubsscheine ausstellen.“ Selbst in gut geführten Unternehmen ist Aufsichtsrat nicht gleich Aufsichtsrat. Auch wenn der einzelne Kontrollor laut Gesetz das Interesse des Unternehmens zu vertreten hat, hängt er doch weitgehend von dessen Eigentümerstruktur ab. Bei einem internationalenKonzern spielen etwa die lokalen Aufsichtsräte vor Ort eine recht geringe Rolle. „Die wirkliche Macht liegt beim Konzern“, erzählt Herbert Krejci über seine Erfahrung als Aufsichtsrat von Philips Österreich. „Dort haben wir alle etwas gelernt.“ Auch die Fragen seien nicht gerade hart ausgefallen. „Man erfüllt ein Formalerfordernis“, berichtet ein Banker über seine Zeit im Kontrollorgan eines globalenÖlkonzerns. „Aber da ist eben europaweit stark divisionalisiert. Auch der Vorstandsvorsitzende kann nicht viel mehr als Urlaubsscheine auszustellen. Der Rest kommt von oben.“ Ganz anders geht es in österreichischen Familienunternehmen zu. „Ich habe als Vorstandsvorsitzender eineGeschäftsordnung mit einem unglaublich großen Spielraum“, erzählt Norbert Zimmermann, Generaldirektor und Hauptaktionär der BerndorfAG. Sein Bruder, der ebenfalls Anteile hält, agiert als Aufsichtsratspräsident. „Ich stimme mich mit ihm trotzdem auch in kleineren Fragen ab.“ Die Beziehungen zum Aufsichtsrat verlaufen informell, laut Zimmermann „unverkrampft“, es gebe drei „Vollblutunternehmer“ im Gremium.

Im kleinen Kreis verstecken. „Mit dem früheren Amag-Generaldirektor Robert Ehrlich habe ich mir auch einen knallharten Frager in den Aufsichtsrat geholt“, so Zimmermann. „Er hat die definierte Rolle des Herausforderers. Wir tauschen nicht nur Freundlichkeiten aus.“ Ebenfalls informell, aber mit nüchterner Professionalität geht es in der Rosenbauer AG zu. Dieter Siegel, im Hauptberuf Vertriebsleiter Naher und Mittlerer Osten bei RHI, sitzt seit einem Jahr als Vertreter der Familie im Aufsichtsrat, „aber vor allem deshalb, weil ich lange als Controller gearbeitet habe“. Mit ihm kontrollieren zwei Techniker und ein weiterer Kaufmann im Gremium, in den jährlichen zehn Sitzungen des Managementkomitees und den fünf Aufsichtsratssitzungen wird „in einem positiven Klima hart gearbeitet, und da geht es schon auch kritisch zur Sache“. Quartalsmäßig werdenalle Regionalgesellschaften durchgecheckt, der Vorstand befasst auch mit nicht zustimmungspflichtigen Geschäften, etwa Immobilienkäufen, den Aufsichtsrat. Sollte es bei einer Tochter nicht nach Plan laufen, stellt man ad hoc ein „steering committee“ zur Überwachung oder zur Reorganisation zusammen. „Das ist durchaus anstrengend“, erzählt Stiefel, dem als Vorstandsvorsitzender ein entfernter Cousin, Julian Wagner, gegenübersitzt. „In so einem kleinen Aufsichtsrat kann man sich nicht verstecken. Und ich erinnere mich auch nicht, dass je einer gefehlt hätte.“ Terminator. In den größeren Industrie-AGs geht sich ein regelmäßiges, informelles Arbeiten gerade noch zwischen Vorstandsvorsitzendem und Aufsichtsratspräsident aus – zu groß sind die Gremien, zu unterschiedlich die Materien. VA-Tech- Chef Becker hat etwa zweimal im Monat informellen Kontakt mit seinem Präsidenten, ÖIAG-Vorstand Peter Michaelis. Raidl informiert Seinen Aufsichtsratschef Rudolf Streicher mindestens zweimal wöchentlich, und Verbund-Präsident Schaschl sitzt in seinem Büro in der Konzernzentrale und hält ebenfalls jede Woche Kontakt zum Vorstand. „Neben dem Vertrauen ist Geschwindigkeit ganz besonders wichtig“, betont er. „Bei Deals gibt es Zwischeninformationen, wenn Neues aufkommt, stimmt man das Wording für die Öffentlichkeit schon im Vorfeld ab.“ Herbert Krejci, Schaschls Vorgänger im Verbund, bemüht einen Satz von Herbert Turnauer, in dessen Constantia-Verpackungen er ebenfalls als Kontrollor Erfahrung hat: „Sitzungen sind mir nicht so wichtig, wichtiger ist mir, dass ich jemanden zum Reden habe.“ Das sei auch in familienfremden Konzernen nicht zu unterschätzen. „Die Luft für Manager ist schon sehr dünn, und oft müssen sie die Rolle des Terminators spielen. Da hat man auch eine psychologische Funktion.“ Stundenlohn eines Handwerkers. Jenseits des Menschlichen konzedieren auch die kritischen Geister, etwa Kleinanleger-Vertreter Wilhelm Rasinger, dass in österreichischen Aufsichtsräten „mit hoher Professionalität“ agiert wird. Er bestätigt den Gremien der beiden AGs, die er kontrolliert, Böhler-Uddeholm und Steiererobst, „dass da wirklich gearbeitet wird. Die Unterlagen und die Qualität der Berichte sind auf hohem Niveau, man bekommt einen umfassenden Einblick.“ Nachsatz: „Allerdings wird die Diskussion nicht von allen getragen.“ Altgediente Aufsichtsratsprofis argumentieren für kleine, straffe Gremien, aber gute Bezahlung. Schaschl: „Bei den Kosten gibt es zwei Faktoren: Die Anzahl der Kontrollore und deren Bezahlung. Sie bleiben gleich, wenn man einen großen Aufsichtsrat halbiert und dafür die Aufwandsentschädigung verdoppelt. Es sieht oft nach Anwesenheitsprämie aus und pendelt sich beim Stundenlohn eines Handwerkers ein.“ Für die praktische Arbeit insistiert Schaschl auf Disziplin: „Der Aufsichtsrat darf keine wertvolle Zeit vergeuden und muss nicht in jede Mauernische kriechen. Der Vorstand braucht auch eine Intimsphäre. Aber man sollte nicht zu angenehm sein. Und auch Nein-Sagen fällt leichter, wenn es ein Grundvertrauen gibt.“ Sein Wort in Merkurs Ohr. (Reinhard Engel)