Digitalisierung : Wie digital ist die Baubranche?

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Eine Datenbrille zeigt dem Arbeiter ganz genau, wie er die Verbindung zwischen der Bodenplatte und der hier ansetzenden Wand herstellen muss. Mit dieser exakten Anweisung ist die heikle Aufgabe schnell erledigt. Da blendet das Gerät eine neue Nachricht ein: Ein zusätzliches Kabelrohr soll in die Wand eingezogen werden, das dafür nötige Material ist wenige Minuten später zur Stelle, weil es bereits automatisch im Vorfeld geordert wurde.

Zugegeben, das Szenario klingt utopisch. Auf Baustellen herrscht heute noch weitgehend die analoge Welt vor. Frühmorgens beugt sich der Bauleiter wie eh und je mit seinen Leuten über riesige Papierpläne und bespricht, was im Laufe des Tages zu tun ist. Kaum vorstellbar, dass statt Papier ein virtuelles Modell zum Einsatz kommt, aus dem sich nicht nur die gerade anfallenden Aufgaben ablesen lassen, sondern mit dessen Hilfe auch der Baufortschritt in Echtzeit überprüft werden kann. Und das auch automatisch die Einhaltung von Zeit- und Kostenvorgaben kontrolliert.

Quantensprung

Doch schon demnächst könnte der Baubranche in Sachen Digitalisierung ein Quantensprung bevorstehen. Vom nächsten ganz großen Ding sprechen Experten jedenfalls, wenn man sie nach den Chancen der Digitalisierung am Bau fragt.

Die Begründung, die sie dazu liefern, ist einleuchtend: Während die Produktivität pro Mitarbeiter in den letzten fünfzig Jahren in fast allen Industriezweigen rapide gestiegen ist, blieb sie in der Bauindustrie nahezu unverändert. Heute, wo mit sicheren Cloudlösungen und einer ausgefeilten mobilen Netzinfrastruktur eine Technologie vorhanden ist, um Digitalisierung nicht nur stationär in einer fixen Fabrikhalle, sondern an jedem beliebigen Ort der Welt zu betreiben, kann auch der Bau vom Produktivitätsturbo Digitalisierung profitieren. "Die digitale Transformation wird disruptive Veränderungen in der Art bringen, wie in Zukunft gebaut wird. Besonders betroffen wird die Zusammenarbeit zwischen Bauherrn, Architekten und Bau- und Subfirmen sein", sagt Günther Patterer, Head of Global Channels and General Business bei SAP Österreich.

Noch sind es Pioniere, die sich auf dieses Feld wagen, Start-ups, Neulandsucher. Wie zum Beispiel das junge Schweizer Unternehmen Swiss Property, das sich die ambitionierte Aufgabe gestellt hat, sein gesamtes Leistungsportfolio für den Bau digital abzuwickeln: von der Vermessung der Baugründe über die Kommunikation zwischen den einzelnen Projektbeteiligten bis zum Tracking und Tracing jedes einzelnen Bauteils und dem Betrieb des fertigen Gebäudes. Abgewickelt wird das Projekt auf der SAP-S/4Hana-Plattform, der Enduser nutzt die intuitiven selbsterklärenden Oberflächen von SAP Fiori. Ein Set-up, mit dem Swiss Property dem Ideal einer papierlosen Steuerung von Bauprojekten bereits ein deutliches Stück nähergekommen ist.

Steile Lernkurve

Das Schweizer Projekt könnte schon bald viele Nachahmer und Weiterentwickler finden. Denn während es in jenen Industrien, die sich als Erste auf das Gebiet der digitalisierten Produktion gewagt haben wie etwa dem Automotive-Sektor, am Anfang so manche Irrwege gab, kann die Bauindustrie nun von den Erfahrungen der Vorgänger profitieren. "Wir erwarten im Bausektor eine viel steilere Lernkurve bei den Unternehmen. Hier wird die Digitalisierung ab einem bestimmten Moment deutlich schneller gehen, als das in anderen Sektoren der Fall war", urteilt zum Beispiel Jürgen Röhricht, General Manager Service Industries bei SAP.

Was dabei möglich sein könnte, zeigen schon heute einige Leuchtturmprojekte, zum Beispiel eine 24 Kilometer lange Hochstraße, die in Mexico City von dem mexikanischen Unternehmen ICA gebaut wurde, ohne dass dafür der Verkehr je abgesperrt werden musste. Gebaut wurde nur nachts und aus industriell vorgefertigten Teilen, die dann vor Ort nur noch zusammengesetzt wurden. Wobei das natürlich dennoch deutlich einfacher klingt, als es war: Allein der Transport der gigantischen Bauteile stellte eine logistische Riesenherausforderung dar. Doch mit digitalisierten Baumodellen war sie lösbar.

Vorfertigung ist ohnehin einer der entscheidenden neuen Punkte, die die Digitalisierung von Bauprojekten mit sich bringen wird. Bisher vor allem aus dem Fertighausbau bekannt, kann sie in Zukunft in viel größeren Dimensionen eingesetzt werden. Schon heute gibt es in Deutschland Fabrikshallen, die zu rund siebzig Prozent aus vorgefertigten Elementen gebaut werden. Dabei hilft eine digitalisierte Baulandschaft solche Projekte abzuwickeln und zu beschleunigen, weil sehr viele Entscheidungen und Koordinationsarbeiten zwischen den einzelnen Projektbeteiligten wie Bauherren, Behörden, Architekten usw. nicht erst vor Ort, sondern bereits virtualisiert im Vorfeld getroffen werden können.

Digitalisierung für jedermann

"Solche virtualisierten Formen der Kooperation sind erst durch die jüngsten technologischen Entwicklungen möglich geworden", erklärt Michael Quadt, der als Solution Advisor Unternehmen aus der Baubranche bei der Implementierung von SAP-Lösungen unterstützt. "Früher konnte niemand von einem Planungsbüro mit vier oder fünf Leuten erwarten, dass es teure IT-Infrastruktur anschafft, um an solchen Projekten teilhaben zu können. Heute, wo diese Infrastruktur aus der Wolke kommt, kann praktisch jeder an digitalen Projekten teilnehmen."

Doch die Veränderungen, die die Digitalisierung in der Baubranche bringen wird, reichen noch weiter. Bei SAP sieht man einen der ganz großen Vorteile in der Möglichkeit, sehr komplexe Daten zu integrieren, zum Beispiel CAD-Pläne, die in rund 120 unterschiedlichen Formaten existieren. Und so besteht das Modell der Zukunft, das man in Walldorf für die Baubranche sieht, in einem digitalen Kern eines Unternehmens, um den die unterschiedlichen branchenspezifischen Anwendungen gruppiert sind: die digitale Baustelle mit der mobilen Anbindung und Verfolgbarkeit der dort eingesetzten Maschinen, der große Bereich der internen und externen Kommunikation und schließlich gewissermaßen als nachgeschalteter Teil der Betrieb, die Instandhaltung und gegebenenfalls auch die Vermietung bzw. Vermarktung der fertiggestellten Objekte.

Einen zusätzlichen, gerade für die Bauindustrie wichtigen Punkt gibt es auch noch: die Digitalisierung von Wissen. Mit Hilfe von entsprechenden Tools kann einerseits gewährleistet werden, dass der Erfahrungsschatz von langjährigen Mitarbeitern mit deren Pensionierung oder Weggang aus dem Unternehmen nicht verloren geht, andererseits kann die Digitalisierung von Wissen auch dazu beitragen, dass neue Mitarbeiter schneller in die Lage versetzt werden, Aufgaben zu bewältigen – etwa in dem sie bei schwierigen Montageschritten eben von einer Datenbrille unterstützt werden.

Wie weit die Branche für den großen digitalen Quantensprung nach vorne bereit ist, bleibt heute freilich von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Während manche Firmen noch nicht einmal ein integriertes ERP-System haben, probieren andere bereits digitale Lösungen auf ihren Baustellen aus. "Wir sehen hier ein steigendes Interesse. Viele Unternehmen sind derzeit dabei, zu überlegen, wie sie die anstehende Digitalisierung in ihre Geschäftsmodelle integrieren können und wie sehr sie diese Geschäftsmodelle allenfalls auch anpassen müssen", sagt Jürgen Röhricht.