Analyse : Wie der Verbund dem widrigen Markt trotzen will

Noch 2014 wählte Wolfgang Anzengruber recht drastische Worte, um bei einer Rede in Berlin den Zustand seiner Branche zu beschreiben. Vor dem versammelten Management der deutschen Energiewirtschaft sprach der Chef des Verbund von einer "Blutspur der Energiewende, die sich auch in unseren Bilanzen niederschlägt." Vor wenigen Tagen trat Anzengruber wieder an die Öffentlichkeit, um am Konzernsitz in Wien gemeinsam mit Vorstandskollegen die jüngste Verbund-Bilanz zu präsentieren. Diesmal klangen seine Worte deutlich bedächtiger. "Selbstverständlich ist die Energiewende ein ganz wichtiges Rahmenprogramm", sagte Anzengruber, und verwies dann auf das Engagement des Versorgers bei der Ökoenergie.

Doch der radikale Wandel des gesamten Energiesektors hat auch in der neuesten Bilanz des Verbund seine tiefen Spuren hinterlassen. Der Umsatz ging um 13 Prozent auf 2,835 Milliarden Euro zurück. Das Konzernergebnis brach von 580 auf 126 Millionen Euro ein – also ein Rückgang von 78 Prozent. Hier sollte man allerdings die Sondereffekte des Jahres 2013 mitrechnen. Damals verkaufte der Verbund seine türkischen Aktivitäten an den deutschen Energiekonzern Eon und kaufte von diesem gleichzeitig Wasserkraftwerke in Süddeutschland zu, was sich positiv auf die Ergebnisse ausgewirkt hat. Aber auch um diese Sondereffekte bereinigt steht beim jüngsten Konzernergebnis ein deutlicher Rückgang – nämlich von 384 auf 216 Millionen Euro. Für das laufende Jahr kündigt Finanzvorstand Peter Kollmann ein Konzernergebnis von 180 Millionen Euro an.

500 Arbeitsplätze werden nicht nachbesetzt

Diesen Einschnitt spüren auch die Mitarbeiter. Vor zwei Jahren kündigte Konzernchef Anzengruber an, den Abgang von etwa 80 Mitarbeitern pro Jahr nicht mehr nachzubesetzen. Auf diese Weise sollen bis 2020 insgesamt 500 Arbeitsplätze verschwinden. Zugleich sollen die Aktionäre des teilstaatlichen Versorgers für das Vorjahr eine Dividende von 29 Cent je Aktie ausgezahlt bekommen, also insgesamt 100,5 Millionen Euro.

Der wichtigste Grund für roten Zahlen in der Bilanz ist der weiter fallende Strompreis. An der Leipziger Energiebörse EEX, dem zentralen Handelsplatz für den deutsch-österreichischen Markt, kostete Strom für die Lieferung im Folgejahr noch 2013 rund 49 Euro/MWh. 2014 betrug dieser Wert im Schnitt bereits 39 Euro. Und am heutigen Dienstag ist die Megawattstunde mit Lieferung im nächsten Jahr gerade einmal 31,75 Euro wert. Der Trend zeigt also weiter nach unten – für heuer rechnet der Verbund mit einem durchschnittlichen Preis knapp über 34 Euro pro Megawattstunde. Das ist gut für Großkunden, an die der Strom praktisch ohne Aufschläge auf den Börsenpreis weitergereicht wird. Was das allerdings für den Verbund bedeutet, ist schnell erklärt. "Ein Minus von einem Euro pro Megawatt an der Börse schlägt sich mit 25 Millionen Euro in unserer Bilanz nieder", so Finanzvorstand Kollmann.

Konzentration aufs Kerngeschäft und Kernmärkte

Entsprechend umfangreich sind die Schritte, mit denen sich Österreichs größter Stromerzeuger gegen den Druck des Marktes stemmt. Schritt eins: Ein stufenweiser Rückzug aus Kohle und Gas und die Konzentration auf Wasserkraft, die traditionelle Stärke des Verbund. Inzwischen liefern Wasserkraftwerke 31.188 GWh, also rund 92 Prozent der Stromproduktion des Unternehmens. Zugleich will der Verbund die thermischen Kraftwerke in Österreich massiv restrukturieren, was die Verluste heuer um rund 50 Millionen Euro reduzieren soll.

Konkret werden mehrere thermischen Kraftwerke schrittweise weiter zurückgefahren oder ganz dicht gemacht. So geschehen mit dem Ölkraftwerk Neudorf/Werndorf II in der Steiermark. Beim Steinkohlekraftwerk Dürnrohr ist der Verbund gerade mitten in den Schließungsarbeiten, Ende April geht es vom Netz. Auch das nagelneue und mit einer Milliardeninvestition gebaute Gas-Kombikraftwerk Mellach will der Verbund einmotten, was bisher ein Rechtsstreit mit der Stadt Graz verhindert. Die Absurdität der aktuellen Situation auf dem Energiemarkt zeigt das direkt daneben stehende Steinkohlekraftwerk Mellach, das wegen der billigen Kohle noch bis mindestens 2020 noch viele Tonnen an Kohlendioxid in die Luft blasen soll.

Verkauf von zwei Gaskraftwerken

Schritt zwei: Raus aus verlustbringenden Märkten und Konzentration auf die stabile Region Österreich und Süddeutschland. Schon heute verkauft der Verbund über 45 Prozent seines Absatzes in Deutschland. In beiden Ländern will das Unternehmen heuer 870 Millionen investieren, davon die Hälfte für "Wachstumsinvestitionen" wie den Ausbau des Hochspannungsnetzes.

Zugleich schließt der Versorger gerade den Verkauf von zwei Gaskraftwerken in Frankreich ab, Käufer ist überraschenderweise die berüchtigte US-Finanzfirma KKR. Ebenfalls kurz vor Abschluss steht der Verkauf der glücklosen italienischen Beteiligung Sorgenia. Beide Verkäufe werden die Verluste verringern. Dagegen will der Verbund die gemeinsam mit der niederösterreichischen EVN gehaltenen Anteile in Albanien und seine Windparks in Rumänien und Bulgarien vorerst halten – trotz jüngster Wertberichtigungen.

Der dritte Schritt ist der Aufbau neuer Absatzmodelle auf dem heimischen Markt. Von den Moderatoren Stermann und Grissemann fleißig beworben, beträgt der Marktanteil bei Kleinkunden heute sieben Prozent. Im Bereich der Industriekunden hält der Verbund inzwischen einen Marktanteil von 20 Prozent. In diesem Segment versucht der Versorger gerade, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Dem neuen Energieeffizienzgesetz gerecht zu werden und gleichzeitig mehr Kunden aus der Industrie zu generieren.

Denn einerseits setzt dem Verbund wie der gesamten Branche das neue Energieeffizienzgesetz ordentlich zu. Zum Hintergrund: Wie berichtet ist das EEffG seit Jänner in Kraft. Die Vorgabe: Bis zum Jahr 2020 jedes Jahr 0,6 Prozent und insgesamt 310 Petajoule einzusparen. "Diese Menge entspricht dem 1,2-fachen Jahresstrombedarf von Österreich", erklärt Anzengruber. Von dieser Menge müssen die Energielieferanten 159 Petajoule einsparen. Genau deshalb wird der Verbund jetzt aktiv.

Andererseits sorgt das immer weiter schwindende Geschäft mit der Stromproduktion dafür, dass neue Geschäftsmodelle her müssen. Hier nimmt der Verbund mit zwei maßgeschneiderten Angeboten gezielt die Industrie ins Visier.

Ein Angebot heißt "Eco-Net" und widmet sich der Energieberatung. Dazu vernetzen sich acht bis zwölf Industriebetriebe – und zwar keine direkte Konkurrenz – untereinander und verfolgen zusammen ein konkretes Einsparungsziel. Dabei werden sie von Beratern des Verbund begleitet. Das Ganze basiert auf einem Konzept des Fraunhofer-Instituts. Das erste Netzwerk dieser Art startete im Herbst 2014. An Bord sind die Industriebetriebe Andritz, Magna, Hammerer Aluminium, Schirnhofer, Ochsner, Coreth, PC Electric und Verbund Hydro Power.

Maßgeschneidete Kraftwerke neben der Werkhalle

Das andere Programm ist eine Kooperation mit der ostdeutschen Firma Getec. Im Mittelpunkt steht dabei Energiecontracting – also Entwicklung, Planung, Finanzierung, Bau und Betrieb von kleinen und mittleren Kraftwerken beim Industriekunden vor Ort. Hier wirbt der Versorger damit, dass die Effizienz massiv steigen kann, während die Kosten für den Hersteller deutlich sinken.

Der Clou für den Verbund: Beide Schienen erschließen dem Unternehmen nicht nur neue Geschäftsfelder. Sondern die Maßnahmen lassen sich auch im Rahmen des EEffG anrechnen.

Fazit: Der Kurs stimmt – doch der Weg bleibt hart

Was in den offiziellen Strategiepapieren glänzt, dürfte freilich in der Praxis deutlich zäher ablaufen – schließlich muss der Verbund das Kunststück bewältigen, die einst so üppig sprudelnden Einnahmen aus der Stromproduktion gegen das Magerbrot der Beratung und Flexibilisierung einzutauschen. Wie lukrativ diese Schiene sein wird, ist derzeit völlig offen. Ein führender Energiemanager aus Österreich meint dazu: "Alle reden zur Zeit von Energieberatung. Ein Geschäftsmodell ist es derzeit aber bei niemandem."

Der Ausblick fällt daher zwiespältig aus – doch von der Weltuntergangsstimmung wie bei den deutschen Energieversorgern ist der heimische Stromriese meilenweit entfernt. Während Eon und RWE Rekordverluste in Milliardenhöhe verkünden, macht der Verbund das, was nötig ist: Konzentration auf Wasserkraft und auf seine Kernmärkte Österreich und Deutschland.

Warten auf die nächste Wende

Spätestens ab 2020 soll es wieder bergauf gehen. Weil dann in Deutschland weitere Atomkraftwerke abgeschaltet werden, verweist Konzernchef Anzengruber auf Prognosen, die übereinstimmend einen starken Anstieg der Strompreise erwarten. Der Verbund könnte davon mit seinem riesigen Anteil an erneuerbarer Energie plus den Pumpspeicherkraftwerken massiv profitieren.

Der Weg dahin ist allerdings sehr weit. Das macht nicht zuletzt der heutige Kurs der Verbund-Aktie im ATX sichtbar. Der Preis für das Papier, der zur Zeit bei 16 Euro liegt, bewegt sich seit Anfang März steil nach unten. Der Vergleich zum Wert vor genau einem Jahr ergibt dagegen einen Zuwachs von über neun Prozent.