IM-Expertenpool: Management : Was tun in der „agilen Krise“?
Die Konjunkturdaten verdüstern sich. Das globale Wirtschaftswachstum fällt, so prognostizieren Institute, auf das Niveau aus Zeiten der Finanzkrise zurück. Für Österreich rechnen die Wirtschaftsexperten heuer nur noch mit einem Plus von 1,3 Prozent. Vor diesem Hintergrund haben wir 100 Entscheidungsträgern aus der heimischen Industrie die folgenden Fragen gestellt: Wie schätzen Österreichs Industrieunternehmen die Wirtschaftsentwicklung und ihre eigene Auftragslage ein? Sind die heimischen Betriebe ausreichend für wirtschaftlich herausfordernde Zeiten gerüstet? Was sind die wichtigsten Maß nahmen, wenn der Abschwung eintrifft?
Lediglich jeder 25. Befragte ist der Meinung, dass sich die wirtschaftliche Lage Österreichs in den kommenden zwölf Monaten verbessern wird. Ein Drittel geht aktuell von einem Wirtschaftsabschwung aus – der Rest rechnet mit Stagnation. Im Vergleich zur gesamtwirtschaftlichen Situation Österreichs wird die Entwicklung des eigenen Unternehmens tendenziell als etwas vorteilhafter eingeschätzt – 29 Prozent erwarten eine Verbesserung der Auftragslage.
Aktuell fühlt sich aber nur rund ein Viertel der Unternehmen sehr gut auf einen Abschwung vorbereitet. Bei den proaktiven Maßnahmen gibt es ein klares Muster: Es dominieren Schritte zur Senkung der Sachkosten, Optimierung der Vertriebsaktivitäten und Umsetzung von Digitalisierungsinitiativen. Doch ist dieses Kochrezept das richtige oder greift es an manchen Stellen zu kurz? Wir denken, dass Unternehmen gut daran tun, auch aktiv über die Themen Strukturgestaltung und Liquiditätssicherung nachzudenken.
Gemäß unserer Umfrage zeigt sich bei den reaktiven Stellhebeln, dass Unternehmen operative Personalmaßnahmen gegen über grundsätzlichen Organisationsgestaltungsinitiativen präferieren. Doch darf das Cost Cutting dabei nicht zulasten von Wachstumsperspektiven gehen. Das Thema Digitalisierung spielt in diesem Zusammen hang eine überraschend starke und spannende Rolle, schlägt es doch die Brücke zwischen proaktiven und reaktiven Maß nahmen. Das Halten des Digitalisierungskurses sichert Innovationspotenziale – auch in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten.
Während die letzte Krise ihren Ursprung im Finanzsektor hatte, ist aktuell oft von einer „agilen Krise“ die Rede – das fordert vor allem eines: ein differenzierteres Reaktionsmuster. Unternehmen, für die der Abschwung noch nicht spürbar geworden ist, sollten Folgendes tun:
1. Sensorik schärfen: Das ganze Managementteam muss sich laufend mit dem Unternehmensumfeld beschäftigen und sensibel für die Anzeichen eines Abschwungs werden. Relevante Indikatoren sind dabei von Branche zu Branche unter schiedlich. Ohne gleichzeitig in Schock starre zu verfallen und unternehmerische Chancen aus Angst verstreichen zu lassen, gilt es, besonders wachsam zu sein.
2. Die CEOs sind gefordert, denn ihnen steht eine besondere Kommunikationsaufgabe bevor: Sie müssen einerseits weiterhin Zuversicht und Vertrauen vermitteln, gleichzeitig jedoch ihr unmittelbares Managementteam auf eine herausfordernde Zeit einstellen.
3. So rasch wie möglich sollten mit dem gesamten Führungsteam die möglichen Optionen durchgedacht werden, die dabei helfen, Zeiten von wirtschaftlicher Stagnation oder einen Abschwung gut zu überstehen. Dazu zählen zum einen die Kosten und das richtige Kostenmanagement sowie die Umsatzoptimierung, zum anderen aber auch Restrukturierungsmaßnahmen, die bisher vielleicht hinaus gezögert wurden. Auch der Austausch mit Banken oder alternativen Finanzierungsquellen ist ratsam, denn das Ausloten von Finanzierungsfazilitäten und das Schaffen von Puffern müssen stattfinden, solange noch Manövrierfähigkeit gegeben ist.
4. Digitalisierung weitertreiben: Nicht alles, was unter der Flagge von Digitalisierung, Agilität, Innovation und Startup in den letzten Jahren gedeihen konnte, wird einem prüfenden Blick im Abschwung standhalten. Dennoch: Unternehmen wären denkbar schlecht beraten, die zuletzt gestarteten Digitalisierungsinitiativen unreflektiert einzustampfen – genau das Gegenteil ist gefordert!
Jene Unternehmen, die sich bereits in einer Phase des Abschwungs befinden, stehen vor einer anderen Herausforderung.
1. Transparenz schaffen: Ein rascher, ehrlicher und unvoreingenommener Blick auf die eigene Situation ist sicher der richtige erste Schritt. Entscheidend ist hier, die Ursache für die Betroffenheit abzuklären, das Ausmaß der Konsequenzen zu quantifizieren und klare Handlungsoptionen zur Bewältigung auszuarbeiten.
2. Maßnahmenplan erarbeiten: Die Unternehmen müssen einen kühlen Kopf bewahren. Weder ist es die beste Strategie, nach Salamitaktik eine reaktive Maßnahme nach der anderen anzugehen, noch ist es ein Zeichen guten Managements, in Panik gleich alle Kurzfristregister des Kostenmanagements zu ziehen. Wesentlich ist es, einen durchdachten Maßnahmenplan zu entwickeln, der die Erkenntnisse aus der Transparenzschaffung aufgreift.
Was alle Unternehmen eint: Die bevor stehende Zeit verlangt eben nicht nur ein umsichtiges und rechtzeitiges Umstellen von Wachstum auf Abschwung, sondern gerade auch eine Gleichzeitigkeit von „Krisenmodus“ einerseits und Aufrechterhaltung und Weitertreiben von Innovations- und insbesondere Digitalisierungsvorhaben andererseits. Das ist neu – Entscheider sollten sich dessen bewusst sein.
Johannes Schneider ist Managing Director im Bereich Managementberatung bei contrast EY Parthenon und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der strategischen und organisationalen Neuausrichtung führender Unternehmen der Industrie und Energiewirtschaft.