Alfred Gusenbauer : Was hat Sie so verwandelt, Herr Gusenbauer?

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Alfred Gusenbauer, österreichischer Ex-Kanzler

- © Michael Hetzmannseder

Der ehemalige Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hat eine beachtliche zweite Karriere als Aufsichtsrat, Beteiligungsmanager und Politberater eingeschlagen. Er berät den kasachischen Staatschef, aber auch den serbischen Regierungschef – einen Parteigänger der nationalkonservativen Fortschrittspartei – für die EU-Beitrittsverhandlungen.

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Seine Geschäfte laufen gut. Er hält Anteile am Beteiligungsunternehmen Cudos, steht einem chilenischen Investitionsfonds vor und hat zahlreiche Beratungs- und Aufsichtsratsmandate. Als Vorstand von Hans-Peter Haselsteiners Privatstiftung nimmt er Einfluss darauf, wie eines der größten Privatvermögen des Landes investiert wird. Nicht alles gelingt – bei der Übernahme der Kommunalkredit ging der Zuschlag an einen deutschen Investmentbanker und nicht an das Konsortium, das Gusenbauer geschmiedet hatte.

Wir treffen ihn in der Rechtsanwaltskanzlei Specht & Partner, wo er ein kleines Büro bezogen hat. Maßregale aus Nussholz, viele Bücher, kein mondänes Glasgefüge. Hier würde man eher mit Al Pacino als mit Ally McBeal rechnen.

Gusenbauer ist braungebrannt und wirkt entspannt. Sein 25-Quadratmeter-Zimmer ist frei von Prunk, dafür ziert es eine Urkunde der Stadtgemeinde Ybbs an der Donau, wo er immer noch Stadtparteivorsitzender ist. Auf seinem Schreibtisch steht, gerahmt und auf Papier der Europäischen Kommission gedruckt, eine Zeile aus dem Gedicht von Antonio Machado: „Caminante, no hay camino, se hace camino al andar.“ (Reisender, es gibt keine Wege, die Wege entstehen beim Gehen.)

Austrian federal chancellor Alfred Gusenbauer
© Manfred Werner

Industriemagazin: Herr Gusenbauer, wir würden Ihnen gerne ein Zitat vorlesen: „Österreich ist nicht geprägt von freier Marktwirtschaft, sondern von der Maria-Theresianischen Kanzleiordnung“. Wissen Sie, von wem das stammt?

Alfred Gusenbauer: Das könnte von Hannes Androsch sein. Oder von Claus Raidl. Oder ist es von mir?

IM: Es ist in der Tat von Ihnen aus dem Jahr 1999. Hat sich an Ihrer damaligen Einschätzung eigentlich etwas geändert?

Gusenbauer: Ich glaube, dass Österreich seither schon unternehmerischer geworden ist. Schon alleine, weil die großen verstaatlichten und staatsnahen Strukturen, die früher die Leute aufgefangen haben, heute kleiner und hoffentlich effizienter geworden sind. Viele Menschen müssen heute, um einen Job zu bekommen, selbst etwas aufbauen und auch Risiko nehmen.

IM: Ist das gut so?

Gusenbauer: Natürlich. Um hier keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Ich habe, im Unterschied zu anderen, auch in meiner eigenen Partei, immer ein gesundes Verhältnis zur Leistung gehabt. Ich war immer einer der schärfsten Kritiker des Hängematten-Sozialismus und war der Meinung, Österreich ist nur dann überlebensfähig, wenn es sich zu einer solidarischen Hochleistungsgesellschaft entwickelt.

IM: Wir fragen Sie auch deshalb, weil alleine im österreichischen Firmenbuch unter Ihrem Namen 13 Funktionen gelistet sind. Wie müssen wir uns eigentlich einen typischen Tag des Alfred Gusenbauer vorstellen?

Gusenbauer: Meine Hauptbeschäftigung sind sicher meine Mandate. Ich bin Aufsichtsratsvorsitzender der Strabag und das heißt natürlich, dass ich mich mit dem Unternehmen im Detail beschäftige. Mit Restrukturierungen. Mit der Entwicklung neuer Märkte, auch außerhalb Europas. Ich bin auch stellvertretender Beiratsvorsitzender der Signa Gruppe von Rene Benko und Vorsitzender des Aufsichtsrates von Signa Prime, dem Herzstück des Unternehmens. Hier fallen fast täglich Finanzierungs- oder Refinanzierungsentscheidungen. Dann bin ich Aufsichtsrat der RHI und der Novomatic-Tochter Löwen AG. Und ich bin Vorsitzender der Haselsteiner Familienprivatstiftung.

IM: Stiftungsvorsitzender klingt sehr operativ. Sind Sie eigentlich Hans-Peter Haselsteiners Vermögensverwalter?

Gusenbauer: Es ist klar, dass der Stifter, Hans-Peter, bei Vermögensentscheidungen in seiner Stiftung mitspricht. Aber der Stiftungsvorstand, also Christian Harder, Günter Werginz und ich, macht durchaus konkrete Vorschläge. Wir sind erst gestern fast fünf Stunden mit dem Hans Peter beieinander gesessen und haben eine lange Liste von Dingen abgearbeitet.

IM: Sie sind auch Teilhaber eines Beteiligungsfinanzierungsunternehmens namens Cudos ...

Gusenbauer: Das ist nur eine Tätigkeit von vielen und bei gewissen Projekten bin ich stärker involviert und bei anderen weniger. Aber es ist eines meiner Lieblingsbabys.

IM: Sie haben in den vergangenen zehn Jahren einen beeindruckenden Wandel vollzogen: Vom Marxisten zum Realpolitiker und letztlich zum „Beteiligungskapitalisten“. Wie viel dieses Wandels haben Sie geplant?

Gusenbauer: Ich habe mich eigentlich nie als Marxist bezeichnet, obwohl ich der Meinung bin, dass Karl Marx wirklich Relevantes zum Verständnis der Gesellschaft und der Ökonomie geschrieben hat. Aber zurück zu Ihrer Frage: Ich bin im Jahr 2008 zur Auffassung gelangt, dass es wahrscheinlich schwierig sein wird, noch einmal die Wahlen zu gewinnen. Ich hätte mein Grundmandat in Niederösterreich wohl noch lange Jahre verteidigen können, aber das schien mir nicht besonders herausfordernd. Wenn Sie einmal Kanzler waren, wollen Sie nicht unbedingt zurück ins Parlament. Und mit 48 ist man für den Ruhestand doch noch deutlich zu jung. Zumal ich übrigens nicht mehr zu der Politikergeneration gehöre, die sich hoher Pensionen erfreut. In dieser meiner Lage habe ich mich dazu entschlossen, wirtschaftliche Aktivitäten zu entwickeln, von denen ich am Anfang nicht gewusst habe, wie sie ausgehen werden. Dass sie bisher gut gegangen sind, ist erfreulich. Das bedeutet aber nicht, dass ich meine Verantwortung für das Gemeinwesen abgelegt hätte. Mein soziales oder gesellschaftliches Engagement ist halt jetzt ein individuelles und ich habe die Möglichkeit, die einen oder anderen Initiativen zu unterstützen, die ich für richtig erachte.

IM: Sind Sie heute glücklicher als noch vor sieben Jahren?

Gusenbauer: Jedenfalls! Ich habe so viel mehr Freiraum. Ich kann meine Zeit produktiver einsetzen, was schon alleine daran liegt, dass der hohe Abstimmungsbedarf der Politik wegfällt. Themen, mit denen man sich x-fach auseinandersetzen muss, in unterschiedlichsten Gremien auf unterschiedlichsten Ebenen, wo es zumeist nicht einmal mehr um die Inhalte geht, sondern um Status und Befindlichkeit. Und das ist natürlich ein manchmal mühsamer und nicht immer intellektuell befriedigender Prozess. Jetzt bin ich einfach freier. A free man in a free world.

IM: Haben Sie weniger zu tun?

Gusenbauer: Nein, im Gegenteil. Aber mein Dasein ist abwechslungsreicher. Ich bin neugierig. Ich will mir Sachen ansehen. Und ich bin gerne rund um die Welt unterwegs, ich bin kein sehr sesshafter Mensch. Mich stört auch nicht, dass ich zu diesen Wahnsinnigen gehöre, die schwarze Karten von Lufthansa und Austrian Airlines bekommen. Die schöne Zeile aus dem Gedicht von Antonio Machado „Reisender, es gibt keine Wege, die Wege entstehen beim Gehen“ beschreibt das ganz gut.

IM: Viele Ihrer alten Weggefährten können die Wege, die Sie derzeit mitunter gehen, freilich nicht nachvollziehen.

Gusenbauer: Wieso?

IM: Weil Sie zumindest von außen betrachtet heute das Gegenteil dessen tun, was Sie noch vor 20 Jahren für richtig gehalten haben.

Gusenbauer: Nein. So würde ich das nicht sehen. Ich habe gerne Politik gemacht, das ist überhaupt keine Frage, da macht man seine Erfahrungen, die besseren und die schlechteren, das ist so. Aber ich tue heute nichts, wofür ich mich früher geschämt hätte.

IM: Hätten Sie vor 20 Jahren einen ehemaligen Kanzler, der einen autoritären Herrscher wie Nursultan Nasarbajew berät, nicht kritisiert?

Gusenbauer: Nein, das hätte ich nicht. Zugegeben, Kasachstan ist – noch – keine Westminster-Demokratie. Nasarbajew ist seit dem Fall des Kommunismus Herrscher. Er wird heuer 75 und es wird keinen Nachfolger geben, der in diese Fußstapfen wird treten können. Das bedeutet, man muss dort Institutionen schaffen, die in naher Zukunft imstande sind, das entstehende Machtvakuum zu füllen. Ich wurde eingeladen, am neuen Design der Politik dieses Landes mitzuarbeiten. Das riesige Land mit nur 16 Millionen Einwohnern, eingeklemmt zwischen Russland im Norden, China im Süden und der Türkei im Westen, sucht nach stärkeren und intensiveren Beziehungen mit der Europäischen Union und den USA. Nur in der Annäherung an den Westen gibt es überhaupt die Chance, dass sich ein starkes Parlament, Ombudsleute, eine Volksanwaltschaft, also all das, was demokratische Systeme ausmacht, herausbilden können.

IM: Sie glauben also an Wandel durch Annäherung. Sehen Sie in dem konkreten Fall schon einen Fortschritt?

Gusenbauer: Ich war immer ein Anhänger der Entspannungspolitik dieser Prägung. Auch schon in den 70er und 80er Jahren. Nur durch diesen „Wandel durch Annäherung“ ist es doch gelungen, die friedlichen Revolutionen im Jahr 1989 in Europa so erfolgreich umzusetzen, weil schon im Vorfeld die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden. Es ist ein schrittweiser Prozess, der halt nicht immer einfach ist, aber ich bin gerade im Fall Kasachstan guten Mutes. Und: Wer sollte solche Länder denn sonst beraten als Leute, die sich mit Demokratie und Menschenrechten und Institutionen auskennen? Wollen wir das Land Beratern aus Russland und China überlassen?

IM: Erst kürzlich ist der kasachische Präsident von Heinz Fischer mit einer innigen Umarmung empfangen worden. Sie selbst haben Ihr Beratungsmandat während der Zeit angenommen, als Kasachstan den prestigeträchtigen Vorsitz der OSZE innehatte. Haben Sie manchmal das Gefühl, dass an Sie andere moralische Maßstäbe angelegt werden als an andere Personen?

Gusenbauer: Das kann schon sein. Aber es ist eigentlich vorwiegend die Presse, die diese Maßstäbe anlegt. Nachdem Doppelbödigkeit das hervorragendste Charakteristikum des österreichischen Journalismus ist, habe ich mich daran gewöhnt.

IM: Halten Sie es für doppelbödig, wenn Journalisten Ihre Beratertätigkeit für das Glücksspielunternehmen Novomatic kritisieren?

Gusenbauer: Schauen Sie, Glücksspiel gab es immer. Wenn wir uns dafür entscheiden, es zu legalisieren, wofür sehr viel spricht, dann muss es Firmen geben, die das durchführen. Die kontrollierbar sind, die Steuern abführen. Und Novomatic ist ein Unternehmen, das nach den höchsten rechtlichen und moralischen Standards handelt, weltweit. Wenn ich in Chile für Novomatic aktiv werde, dann ist daran nichts Unmoralisches.

IM: Man könnte allerdings wie Ihre Parteikollegen in der Sektion Acht (Anmerkung: die SPÖ im 8. Bezirk hat in Wien gegen große Widerstände das Verbot des „Kleinen Glücksspiels“ durchgebracht) der Überzeugung sein, dass Gewinnmaximierung mit der sozialen Katastrophe anderer etwas zutiefst Unsoziales ist ...

Gusenbauer: Ich bin sicher, dass das Verbot des Glücksspiels keine sozialen Vorteile hätte.

IM: In manchen Gegenden in Wien ist mittlerweile jedes dritte Ladengeschäft ein Wettbüro. Vor der Liberalisierung dieses Bereiches, als nur Lotto und Toto erlaubt waren ...

Gusenbauer: ...hatten wir riesige Ausmaße illegalen Glücksspiels. Ich glaube, dass sich dieser Markt von der Größe her niemals verändert. Jetzt ist das halt sichtbar ...

IM: Das ist eigentlich ein sehr neoliberales Argument von einem ehemaligen sozialdemokratischen Bundsparteivorsitzenden.

Gusenbauer: Nein, es ist ein Ordnungsargument, zu sagen, wenn es Aktivitäten gibt, will ich, dass sie legal sind, dass ich sie gestalten kann, mit Spielerschutz, Zutrittskontrollen und so weiter und sofort und dass auch Steuern gezahlt werden. Das Glücksspiel im legalen Bereich führt ja dazu, dass der Staat über erhebliche Einnahmen verfügt.

IM: Sie standen als Arbeiterkammerfunktionär früher den Arbeitnehmern so nahe wie heute als Kapitalvertreter in Aufsrichtsräten deren Arbeitgebern. Konnten Sie früher mit gewerkschaftlichen Forderungen mehr anfangen als heute?

Gusenbauer: Sagen wir so, ich halte die Gewerkschaften für enorm wichtig. Das habe ich auch in der Vergangenheit so gesehen, was nicht heißt, dass ich jede einzelne Forderung unterstützen würde. Gewerkschaften sind Interessenvertretungen, die versuchen, die Leute, die von ihnen organisiert sind, zu vertreten. Das ist ein ganz wichtiges und legitimes Inter- esse. Allerdings nicht das einzige. Mir war immer klar, dass zwischen sozialdemokratischer Politik, einer Partei, als gesellschaftspolitische Kraft, und der Politik der Gewerkschaften ein Unterschied bestehen muss. Gewerkschaften sind kein Ersatz für eine Partei als gesellschaftspolitische Kraft.

IM: Sie haben vor kurzem in Chile eine Rede gehalten, in der Sie das Ende der Ideologien, also der Systeme, die in sich geschlossen eine Welt erklären, postulieren. Wie haben Sie das gemeint?

Gusenbauer: Die heute existierenden Grundwerte – aus meiner Überzeugung heraus sind das Freiheit, soziale Solidarität, also Brüderlichkeit und der Respekt der Menschenrechte und der Demokratie – werden ja mittlerweile quer über das politische Spektrum getragen. Sieht man einmal von extremistischen Ausreißern ab. Aus diesem Blick heraus ergeben sich Programme und Projekte, wie bestehende Realitäten verbessert werden sollen. Doch diese orientieren sich nicht mehr an einem gesellschaftlichen Endziel, wie etwa im Kommunismus. Das gesellschaftliche Exerzierfeld weltweit wird durch die beiden Pole politische Demokratie und egal welche Form von Marktwirtschaft gekennzeichnet sein. Und da wird es unterschiedliche Ansätze in unterschiedlichen Teilen der Welt geben. Es werden auch wieder neue gesellschaftliche Experimente probiert werden. Aber es gibt eine klare Absage an Ideologien im Sinne eines geschlossenen Weltbildes mit einem Ausgangspunkt und einem Endpunkt.

IM: Dafür wird heute gerne mit „Alternativlosigkeit“ argumentiert. Bankenrettung, Griechenland im Euroraum – die Politik beruft sich zunehmend auf mangelnde Handlungsoptionen.

Gusenbauer: Die Sache mit der Alternativlosigkeit politischen Handelns ist in der Tat eine Ideologie neuen Typs. Was ist uns schon alles erzählt worden, was die Märkte verunsichern wird. Und wenn sie dann verunsichert waren, gab es vielleicht ein paar kurzfristige Ausschläge, aber es hat sich alles wieder eingependelt. Natürlich liegt dahinter der Drang zur Simplifizierung von immer komplexeren Verhältnissen. Aber ich bin eigentlich gar nicht pessimistisch – auch wenn ich mir die Entwicklung der vergangenen Jahre ansehe.

IM: Wirklich? Wenn wir uns die Welt nach der großen Krise 2008 ansehen, könnte man zur Auffassung gelangen, dass sich auf der anderen Seite nichts geändert hat: Steueroasen existieren wie eh und je. Die Entflechtung des Finanzsektors hat nie stattgefunden. Die Finanztransaktionssteuer, Ihr Lieblingsprojekt, ist durchgefallen ...

Gusenbauer: Vielleicht muss man den Politikbetrieb von innen kennen, um das differenzierter zu sehen. Die Durchsetzbarkeit von großen Themen ändert sich ja laufend. Wenn ich Geld hätte, das in einer Steueroase geparkt wäre, wäre mir heute ziemlich unwohl. Wenn vor wenigen Tagen Ed Miliband (Anm.: aussichtsreicher Labour-Kandidat für den Posten des britischen Premierministers) im laufenden Wahlkampf sagt, man soll die Ex-Pat-Lösung, die Nicht-Engländern ein riesiges Steuerprivileg in Großbritannien beschert, abschaffen, dann ist das eine starke Ansage. Gerade für ein Land, dessen Finanzzentrum fast ein Viertel des Bruttosozialproduktes erwirtschaftet.

IM: Ihr Nachfolger als Bundeskanzler, Werner Faymann, positioniert sich derzeit eigentlich relativ undifferenziert gegen TTIP. Finden Sie das gut?

Gusenbauer: Ich will mich nicht in die innenpolitische Auseinandersetzung einmischen. Aber ich bin der Meinung, dass es ziemlich unwichtig ist, ob man, wie bei uns, Hühner mit Chlordampf behandelt oder wie in den USA durch ein Chlorbad zieht ...

IM: Sind Sie mit dem derzeit vorliegenden Zwischenstand der TTIP-Vereinbarungen zufrieden?

Gusenbauer: TTIP ist wichtig, weil ich glaube, dass die beiden großen starken Säulen der Freiheit auf der Welt nun einmal Europa und die Vereinigten Staaten von Amerika sind. Wenn man etwas dazu beitragen kann, dass sie näher zueinander rücken, dann halte ich das auch politisch für richtig. Nur beim Thema Schiedsgerichtsverfahren teile ich die Kritik. Schiedsgerichte dürfen keine staatlichen Gerichte ersetzen. Aber auch hier, glaube ich, kann man zu einer Lösung kommen. Man braucht sich ja nur das Statut des EFTA-Gerichtshofes anschauen – hier könnte man durchaus Anleitungen gewinnen.

IM: Wieder zurück zu Ihrer unternehmerischen Tätigkeit: Sie haben sich über Ihr Beteiligungsunternehmen Cudos um eine Übernahme der Kommunalkredit beworben ...

Gusenbauer: ...woraus ja leider nichts geworden ist. Ich glaube ja nach wie vor, dass unser Angebot das Beste gewesen wäre, aber wenn die Republik das anders sieht, muss man das sportlich nehmen.

IM: Wie hat sich das für Sie angefühlt, darüber mit Ihren Nachfolgern in der Bundesregierung zu verhandeln?

Gusenbauer: Ich habe nicht mit Ministern verhandelt. Die Gespräche liefen mit der Fimbag, an die das Ganze ausgelagert wurde. Und eigentlich wurde da auch nur ein Angebotsprozess aufgesetzt, den wir verloren haben.

IM: Eine Frage an den Sozialdemokraten in Ihnen: Warum muss man eigentlich einen Finanzierer von öffentlichen Körperschaften privatisieren?

Gusenbauer: Das muss man nicht notwendigerweise, ich hätte hier auch mit einem staatlichen Institut kein Problem gehabt. Aber das öffentliche Eigentum an der Kommunalkredit hat offensichtlich nicht verhindert, dass das Institut zu einer Zockerbank verkommen ist und dass sie am Ende dort gelandet ist, wo sie gelandet ist.

IM: Ihr Beteiligungsunternehmen Cudos hat zuletzt den Stoffe-Hersteller Backhausen verkauft. Mit Sky Plastic halten Sie derzeit die Anteile an einer Recyclingfirma. Die Kommunalkredit wäre ein Finanzierungsunternehmen in Ihrem Portfolio gewesen. Wonach suchen Sie eigentlich?

Gusenbauer: Ich habe das große Potenzial der Kommunalkredit nicht in der Finanzierung, sondern in der Beratergruppe der Kommunalkredit gesehen. Dort sind sehr gute Experten, die imstande sind, mit den Gemeinden Gesamtpakete weit über die Finanzierung hinaus zu erarbeiten. Für diese Dienstleistung gibt es sicher wachsende Nachfrage von kleinen und mittleren Gemeinden. Was die Frage des Portfolios anbelangt: Es geht uns in erster Linie um österreichische Firmen, bei denen wir glauben, dass wir neben Kapital auch einen Zusatznutzen bieten können. Das kann Restrukturierung sein. Oder eine bessere juristische Aufstellung. Oder aber Marketing und Wachstumsstrategie.

IM: Ihr Engagement bei Backhausen war vor allem deshalb so ein Erfolg, weil die Eigentümerfamilie und das Management – lassen Sie uns das so ausdrücken – eher bescheiden erfolgreich waren. Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, wieder so einen Glücksfall zu finden?

Gusenbauer: Es gibt einen bösartigen Ausspruch, der da lautet „Von der Generation zur Degeneration“. Er beschreibt im Wesentlichen, dass eine Gründergeneration etwas aufbaut, das dann eine Zeit lang sehr, sehr gut läuft. Irgendwann wollen dann zu viele vom Kuchen abschneiden, obwohl der Kuchen nicht größer wird. Ich befürchte, dass diese Konstellation angesichts der Familiengroßbetriebsstruktur in Österreich gar nicht so selten ist. Aber das kann natürlich nicht unser gesamtes Geschäftsmodell sein: Manchmal ist es auch so, dass Firmen einfach nicht die notwendigen Finanzmittel aufstellen können, um weiter wachsen zu können, weil halt einfach die österreichischen Banken ziemlich unter Druck sind. Ich glaube, dass für vernünftiges Private Equity angesichts der neuen Bankenregeln in Österreich sehr viel Platz ist.

IM: Sie sind als stellvertretender Beiratsvorsitzender der Signa Gruppe von Rene Benko auch in die Restrukturierung der deutschen Karstadt-Gruppe involviert. Das einzig wirklich Spannende an dem Unternehmen sind die Liegenschaften. Würden Sie auch einer Strategie der Komplettschließung zustimmen?

Gusenbauer: Die Firmenstrategie von Signa ist es, in Zukunft eben keine reine Immobilienfirma mehr zu sein. Wir haben dafür ein zweites Standbein, die Signa Retail, aufgebaut. Weil ich jetzt, überspitzt formuliert, nicht der ausgebildete Sockenhändler bin, gibt es für diesen Bereich Spezialisten, die das auch gut machen. Ich teile Ihre Einschätzung nicht, dass die Immobilien das einzig Interessante an dem Unternehmen sind.

IM: Die Gewerkschafter von Verdi haben auch mit Signa als Investor wenig Freude, weil auch sie Personal abbauen. Wie ist es für Sie, hier auf der anderen Seite der Verhandlungen zu stehen?

Gusenbauer: Wir versuchen derzeit, schrittweise wieder in einen Kollektivvertrag hineinzukommen, weil ja Karstadt in der glorreichen Zeit des Herrn Berggruen außerhalb des Kollektivvertrages war. Dass sich das Unternehmen diesen Schritt auch leisten können muss, versteht sich doch von selbst. Wir müssen also versuchen, die Produktivität zu erhöhen. Ich sitze dort derzeit nicht am Verhandlungstisch. Dazu gibt es Organe. Aber wenn es notwendig ist, vermittle ich gerne auch einmal über meine Kontakte zu den Spitzen von Verdi und der deutschen Politik.

IM: Man muss nicht unbedingt die Archive bemühen, um festzustellen, dass Ihnen in Ihrer politischen Zeit weitaus mehr Gegenwind entgegenkam als etwa Ihrem Nachfolger. Empfanden Sie den Umgang mit Ihnen als Person nicht auch zuweilen als kränkend?

Gusenbauer: Kränkung ist keine politische Kategorie. Wenn man in der Politik an vorderster Front tätig ist, muss man damit rechnen, dass man attackiert wird – auch aus den eigenen Reihen und natürlich von den Medien. Es hat allerdings Grenzüberschreitungen gegeben – etwa als ich eines Tages beim Joggen eine Fotomontage meiner minderjährigen Tochter am Titelbild einer Gratiszeitung gesehen habe, verbunden mit einem Artikel, der von Lügen und Unterstellungen nur so gestrotzt hat. Mit dem Rest habe ich längst meinen Frieden geschlossen.

IM: Wir danken für das Gespräch.