Energiehandel : Was bringt REMIT?

blau blauer detail einspeisung electric elektrisch elektrische elektrizität elektrizitätswerk energie energieversorgung himmel hochspannung hochspannungsleitung hochspannungsmast industrie infrastruktur isolator isolatoren kabel keramik kraftwerk leitung leitungen mast netz spannung stahl station strom stromerzeugung stromleitung strommast stromnetz stromversorgung symbol symbolbild symbolisch technik technologie trafo trafostation transformator transformieren umspannen umspannwerk umwelt versorgung überlandleitung übertragung
© Strippenzieher - Fotolia

Es waren wilde Zeiten im Energiehandel. Bis zuletzt. Wer sich auskannte und eine kleine Information bekam, konnte innerhalb weniger Stunden eine halbe Million Euro verdienen – ganz legal. Zum Beispiel so: Ein großer Stromerzeuger plant, am nächsten Donnerstag für Wartungszwecke ein größeres Kraftwerk vom Netz zu nehmen. Weil das in seiner Region zu einem spürbaren Engpass führt, gibt der Produzent seine Entscheidung rechtzeitig davor bekannt. Doch bis zu ihrer Veröffentlichung vergeht eine Weile. Genug Zeit, damit ein erfahrener Energiehändler Wind davon bekommt – und sich mit großen Mengen Strom für genau den nächsten Donnerstag eindeckt. Nach Veröffentlichung des Wartungstermins steigt der Preis massiv an – und der Händler reicht den eben gekauften Strom mit edler Geste – und einem schönen Schnitt – an den Markt weiter.

Ermittlungen in England

Eine hypothetische Situation? Keineswegs. Alle Teilnehmer im Strom- und Gas-Großhandel konnten bei dem Spiel bis vor kurzem noch dabei sein: Erzeuger genauso wie Stromnetzbetreiber, Händler, Inhaber von Pipelines und Speicheranlagen, industrielle Abnehmer und auch Finanzhäuser. Im Kern es ging immer um eins: Insiderinformationen. Wann wird eine Anlage oder Leitung abgeschaltet, wann tritt wieder eine unerwartete Nachfrageschwankung ein? Inzwischen wechselt jede Kilowattstunde Strom drei bis vier Mal den Besitzer, bevor sie beim Verbraucher landet. Beim Gas hat sich die gehandelte Menge innerhalb von sechs Jahren verfünffacht. Große, auf die Lieferung angewiesene Abnehmer mussten so immer deutlich mehr Geld auf den Tisch legen. Behörden ermitteln zurzeit in Großbritannien wegen einer konkreten Manipulation im Großhandel mit Gas. Und die USA prüfen eine Strafe von 435 Millionen Dollar gegen die Barclays Bank, die den Stromgroßhandel manipuliert haben soll. In Kontinentaleuropa dagegen ist es seit einiger Zeit still geworden um das Thema Insiderhandel.

Neues EU-Gesetz

Zu verdanken ist das in erster Linie einem neuen EU-Gesetz, das in diesen Wochen europaweit implementiert wird und im ersten Halbjahr 2014 „scharf geschaltet“ werden soll: Die Rede ist von REMIT (EU-Verordnung Nr. 1227/2011). Das zentrale Ziel der Maßnahme: Transparenz und Vertrauen schaffen, indem jede mögliche Insiderinformation allen zugänglich gemacht wird. Alle, die große Energiepakete im Großhandel kaufen und verkaufen, müssen sich registrieren und künftig alle großen Transaktionen an die EU-Kontrollbehörde ACER in Laibach melden. Damit können ACER und die nationalen Regulierer alle auffälligen Bewegungen schnell nachvollziehen. Zugleich sind Informationen, die Preisbewegungen auslösen können, innerhalb einer Stunde zu veröffentlichen und so allen anderen zugänglich zu machen.

Der wichtigste Effekt: Der Markt wird transparent, das Vertrauen steigt. Und deswegen, so die Hoffnung, sinken vielleicht auch die Preise. Aber zu viele Fragen seien ungelöst, sagen Kritiker, und ob die Novelle mehr nütze als schade, sei alles andere als eindeutig.

Lücken groß wie Scheunentore

Mit der Liberalisierung des Energiehandels begann in den 1990er-Jahren ein massiver Umbau. Energieerzeuger investierten Millionen ins Unbundling und gründeten eigene Handelsabteilungen, neue Akteure betraten den Markt: Händler und Energiebörsen. Bald kamen die Probleme offen zutage: „Es gibt Lücken, die sind so groß wie Scheunentore“, analysierte 2009 die deutsche Bundesnetzagentur im Auftrag der EU den Energiehandel auf Möglichkeiten zum Marktmissbrauch. Heute sagt Eileen Hieke von der Leipziger Energiebörse EEX, einem zentralen Handelsplatz auch für heimische Akteure: „Es ist richtig, dass es bisher Regelungslücken bezüglich Insiderhandel und Marktmanipulation im Strom- und Gashandel gab.“ Die EEX begrüße daher die Einführung von REMIT ausdrücklich: „Wir sehen REMIT als vertrauensbildend und förderlich für den Markt an.“ Hieke betont allerdings auch, dass bisher keine konkreten Fälle von Marktmissbrauch festgestellt worden seien. Freilich war Insiderhandel noch vor kurzem auch nicht verboten.

Branche will Transparenz

Auch sonst ist das Echo in der Energiewirtschaft überraschend positiv. „Die Branche setzt sich generell für Transparenz ein“, meint dazu Paul Pöttschacher vom heimischen Stromkonzern Verbund. Auch Georg Oppermann vom deutschen Energieriesen Eon, der in Österreich und vielen anderen EU-Ländern aktiv ist, begrüßt REMIT: Dies sei eine vertrauensbildende Maßnahme im Markt. Eon versuche seit vielen Jahren mit einer eigenen Online-Plattform, so Oppermann, „mehr Vertrauen zu schaffen und Vorwürfe des Insiderhandels zu entkräften. Unsere Insiderdaten sind seitdem der Öffentlichkeit bekannt.“ Wie auch Barbara Schmidt, oberste Interessenvertreterin der heimischen Stromwirtschaft, betont Oppermann jedoch vor allem den Vorteil, dass Daten nun europaweit einheitlich erfasst würden – statt dutzender unterschiedlicher Regelwerke für jedes einzelne Land.

Preisaufschläge dürften sinken

Johannes Mayer von der E-Control spricht in erster Linie das Thema der Preise für Strom und Gas an: „Am Ende sind es die Energiekunden, die für das Misstrauen am Markt bezahlen müssen. Es ist zu erwarten, dass die Preisaufschläge für den heute eingepreisten Insiderhandel mittelfristig tendenziell sinken werden – mit positiven Auswirkungen auf die Preise insgesamt.“ Und ein Vertreter eines großen Energieunternehmens weist darauf hin, dass REMIT gerade Versorgern, die in Osteuropa tätig seien, deutlich entgegenkomme – denn in manchen Ländern bestehe in Sachen Transparenz noch erheblicher Nachholbedarf.

Trotzdem sind nicht wenige Marktteilnehmer von REMIT alles andere als begeistert. Da wären zum einen die Kosten. Die verpflichtenden Aussagen selbst sind nur wenige Zeilen lang – doch der Aufwand dahinter sei hoch, erklärt Jürgen Wahl, Vorstand der heimischen Energiebörse EXAA: „Eine enorme Fülle an verschiedensten Handelsdaten muss so aufbereitet werden, dass Sie auf Knopfdruck Aussagen treffen können. Das ist schon eine enorme Aufgabe.“ Der Verband der europäischen Energiehändler EFET geht von Investitionen in Millionenhöhe in Personal und neue IT aus – neue laufende Kosten nicht mitgerechnet. Ein anderer Grund sind die vielen, immer noch offenen Fragen. Sie betreffen das Format und die Beschaffenheit der Daten, aber auch grundsätzliche Grenzen des Erlaubten. Ein leitender Manager eines großen heimischen Players, der nicht genannt werden will, widerspricht den ausführlichen Bestimmungen im REMIT-Gesetzesblatt: „Es gibt einen großen Graubereich im Energiehandel, der bis heute nicht eindeutig ist: Was genau ist akzeptiert und was nicht?“

Angst vor starrem Markt

Vor allem aber befürchten Marktteilnehmer, dass der so mühsam, mit viel Geld und Aufwand aufgebaute liberale Markt sich wieder in eine starr regulierte Form verwandelt – dann wäre es freilich auch mit den Vorteilen für die Großabnehmer nicht weit her. So treibt Jürgen Wahl von der EXAA die Sorge um, dass die gesamte Dynamik des Marktes zerstört werde. Er zieht einen Vergleich: „Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einem großen Flohmarkt. Es wird frei gehandelt, Angebot und Nachfrage sind in einem freien Spiel. Und plötzlich bekommt eine Institution den Auftrag, jeder Person permanent über die Schulter zu schauen und alles genau mitzunotieren.“ Mehr zu wissen als der Mitbewerber sei überlebenswichtig, meint auch ein anderer Händler: „Ein Wissensvorsprung, das ist genau der Bereich, in dem Geld verdient wird. Dazu nach außen eine Meldung zu machen, das ist wie eine wichtige Information an den direkten Konkurrenten weiterzugeben.“ Ein weiterer Händler, der ebenfalls nicht genannt werden will, wählt schließlich recht drastische Worte zum Thema REMIT. „Wenn jetzt mit der Regulierung versucht wird, alles zu kontrollieren, hätten wir uns die gesamte Liberalisierung sparen können.“

Wettbewerb verlagert sich zu Börsen

Allerdings bestreiten auch die Händler nicht, dass REMIT neben höherer Transparenz einen weiteren Vorteil nach sich ziehen wird: Der Handel, der in Europa traditionell vor allem bilateral abläuft, wird sich stärker zu den Börsen verlagern. Im Vergleich zu den Over-the-counter-Kontrakten, die im Vergleich zu Börsen ein wenig an den Wilden Westen erinnern, garantieren die offiziellen Handelsplätze ein Mindestmaß an Schutz. Sie übernehmen das Clearing, also die finanzielle Abrechnung, und tragen auch das Risiko, falls der Handelspartner seine Vereinbarungen nicht einhält. Und in einem weiteren Punkt sind sich alle Marktteilnehmer einig: Erwartet wird mittelfristig ein weiteres Absinken der Energiepreise im Großhandel. Allerdings weniger wegen REMIT – sondern vor allem wegen des wachsenden Anteils erneuerbarer Energien. ///

Wir als zentrale heimische Handelsplattform für Energie tragen seit 2002 aktiv dazu bei, dass der Strommarkt transparent funktioniert. Auch ist es unsere Pflicht, täglich darauf zu achten, dass die Marktregeln von allen Händlern eingehalten werden, damit sich der Handel im freien Spiel von Angebot und Nachfrage entfalten kann. Insofern begrüßen wir REMIT als zusätzliche Maßnahme gegen Marktmanipulation und Insiderhandel. Allerdings sind der Umfang und die Form der Datenmeldungen bislang immer noch nicht final geklärt.

Auch über die daraus abzuleitenden Auswertungen und Analysen gibt es bislang keine klaren Vorstellungen. Durch diese Ungewissheit kann es passieren, dass das spekulative Momentum im Markt erheblich gebremst wird und der Markt an Dynamik verliert. REMIT ist aus unserer Sicht ein Regelwerk über richtiges Verhalten am Energiemarkt. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass REMIT automatisch zu einem Sinken der Preise beiträgt.

Wir brauchen europaweit harmonisierte Regeln für den Energiehandel. Österreichs E-Wirtschaft trat immer und tritt auch jetzt für Transparenz ein, denn möglichst vollständige Marktinformation ist der beste Garant für richtige Preissignale und für Marktintegrität. Die nationale Umsetzung der REMIT, wie sie mit der ElWOG- und E-Control-Gesetzesnovelle vollzogen wurde, geht allerdings weit über die Intention der europäischen Regulation hinaus. Die der E-Control eingeräumte Befugnis zur Marktüberwachung übersteigt die Vorgaben der europäischen Verordnung. So sind Energieunternehmen ab sofort verpflichtet, eine bereits erfolgte Veröffentlichung von Insiderinformationen auch der E-Control mitzuteilen. Und das, obwohl die REMIT selbst darauf abzielt, Doppelmeldungen zu vermeiden.

Auch ist ein Generalverdacht gegen Energiehändler nicht gerechtfertigt. Denn auch Marktteilnehmer und Verbraucher sollten Adressaten und Nutznießer der Transparenz sein. Ob aus der Sicht der großen und mittleren Verbraucher die Kosten der Regulierung auch einem messbaren Nutzen gegenüberstehen werden, bleibt abzuwarten.