Franz Rotter im Interview : Warum China, Herr Rotter?

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INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Rotter, der chinesische Premier Li Keqiang hat vor wenigen Tagen in einer Rede vor dem Volkskongress sein Volk auf harte Jahre eingestimmt. Die Zeiten, in denen die Wirtschaft um sieben Prozent wuchs, dürften der Vergangenheit angehören. Ausgerechnet jetzt wollen Sie in China ein Stahlwerk bauen?

Franz Rotter: China entwickelt sich vom Emerging Market zum reifen Markt. Dass dabei die prozentuellen Wachstumsraten sinken, ist klar. Vor zehn Jahren musste China noch um zehn Prozent und mehr wachsen, um den absoluten Abstand zu den westlichen Industrienationen zu verkleinern. Heute genügen fünf bis sieben Prozent. Was Li Keqiang in seiner Rede meinte, ist, dass sich China zukünftig auf Wachstumsraten von fünf bis sieben Prozent wird einstellen müssen. Das bedeutet bei der Größe Chinas noch immer enormes Wachstum.

Sie planen selbst für internationale Standards Spektakuläres: Das erste nicht-chinesische Stahlwerk, das mittlere bis hohe Edelstahlqualitäten in China produziert. Wann soll es denn losgehen?

Rotter: Noch im ersten Quartal des neuen Geschäftsjahres wollen wir dem Aufsichtsrat den Investitionsantrag vorlegen. Das Werk soll in Yinchuan in der Provinz Ningxia entstehen. Dort hat die Voestalpine Steel Division bereits ein sehr gut funktionierendes Joint Venture mit dem chinesischen Partner Kocel Machinery, der dort eine Gießerei betreibt. Die Idee ist, dass wir diese Infrastruktur des bestehenden Stahlwerkes nutzen können, das mit Investitionen in eine Blockgießerei ergänzen und damit die Stahlbasis für die Edelstahl-Division schaffen. Das reduziert unser Risiko. Wir können uns damit im Wesentlichen auf die Schmiedetechnologie und die Verarbeitungstechnologie für die Investitionen konzentrieren. Wir bauen ein Edelstahlwerk mit der Sekundärmetallurgie, der Schmiedelinie bis hin zur Endfertigung und im Späteren der Sekundärmetallurgie – auch dort werden wir den chinesischen Partner mit einer Minderheit beteiligen.

Warum setzen Sie das Projekt nicht alleine um? Immerhin verfügt die Voestalpine mittlerweile über jahrzehntelange Erfahrung in China.

Rotter: Das stimmt. Wir waren schon in China, als es noch sehr wenige Unternehmen der westlichen Hemisphäre gab, die dort produzierten. Das geht zurück auf Kooperationen, die von der damaligen Voestalpine-Bergtechnik-Sparte in den 80er Jahren angestoßen wurden. Die Vorteile eines lokalen Partners im Projektaufbau sind jedoch trotz allem nicht zu unterschätzen: Etwa in der Umsetzung der behördlichen Voraussetzungen, beim Recruiting der Mitarbeiter oder der Nutzung der gemeinsamen Infrastruktur, wo eine gewisse Verschränkung besser ist als eine vertragliche Kooperation.

Wann soll denn der Spatenstich erfolgen?

Rotter: Wir hoffen, dass wir noch vor Wintereinbruch 2015 den Spatenstich setzen, ab 2017 soll dann die Produktion hochgefahren werden. Bei voller Auslastung wollen wir jährlich zwischen 50.000 und 70.000 Tonnen hochqualitativer Edelstahlprodukte erzeugen und dazu beitragen, den Konzernumsatz der Voestalpine in Asien langfristig von 750 Millionen Euro auf unser Konzernziel von rund zwei Milliarden Euro zu erhöhen.

In Ihrem steirischen Stammwerk besteht eine gewisse Befürchtung, dass in China zukünftig Hightech-Stahl für die Welt produziert werden könnte. Ist diese Sorge berechtigt?

Rotter: Der Grund, warum wir mit einer Produktion nach China gehen, ist, weil der Markt mittlerweile eine gewisse Reife aufweist. China ist kein Emerging Market mehr, sondern versorgt sich mehr und mehr selbst mit höherwertigen Technologien. Als Zielmarkt für unseren Qualitätsedelstahl ist China längst identifiziert. Wenn wir jetzt mit einer Produktion vor Ort gehen, wird uns das einen großen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Aber natürlich werden auch Teile der Produktion – etwa ein Drittel – am globalen Markt über bestehende Vertriebsstrukturen ihren Absatz finden.

Das heißt, der richtige Hightech-Stahl- wird weiterhin aus der Steiermark kommen?

Rotter: China hat derzeit einen Bedarf von 400.000 Tonnen Werkzeugstahl. Das wird bis 2020 auf 600.000 Tonnen steigen. Da gibt es Low-Tech-Qualitäten, das ist rund die Hälfte, die sind längst aus chinesischer Provenienz, diesen Commodity- Bereich decken wir gar nicht ab. Darüber gibt es ein Segment von rund 150.000 Tonnen mittlerer Qualitäten. Dieses mittlere Segment wird zum Teil importiert, zum Teil von Chinesen selbst hergestellt. Hier erwarten wir starkes Wachstum, von dem wir mit unserem Werk vor Ort profitieren wollen. Und dann gibt es ein Hightech-Segment von 30.000 bis 50.000 Tonnen High-Performance-Stählen, die auch zukünftig großteils importiert werden. In diesem Segment sind wir bereits jetzt Marktführer. Um diese Marktführerschaft abzusichern, müssen wir mit der Produktion von Stahl aus dem oberen Mittelsegment vor Ort gehen.

Das bedeutet, in China wird kein Hightech-Stahl Marke Voestalpine produziert?

Rotter: Die Grenzen zwischen mittlerer Qualität und Topqualität verschieben sich laufend. Wir möchten in Zukunft reaktiv sein und selbst bestimmen können, was wir wo produzieren. Eines ist klar: Die absoluten Hightech-Qualitäten, die Forschung und Entwicklungstätigkeiten voraussetzen, werden auch in Zukunft aus Europa kommen. Hier sind unsere Standorte in Europa, und da ganz an der Spitze Kapfenberg und Hagfors (Schweden), bestens aufgestellt.

Der Mann aus Stahl

Franz Rotter, 57, ist seit 2011 im Vorstand der Voestalpine AG und Chef der Special Steel Division „Spezialstähle“, der ehemaligen Böhler-Uddeholm AG. Seine Karriere begann der Leoben-Absolvent als Konstrukteur bei der verstaatlichten Voest. Zuletzt war er nicht unwesentlich am Turnaround des Aluminiumherstellers AMAG beteiligt – als Geschäftsführer des Walzwerkes in Ranshofen, der AMAG rolling. Der geborene Zeltweger ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.