Automobilindustrie : Vorschau auf weltgrößte Automesse IAA: Ein Gradmesser für den Wandel

Als Martin Winterkorn bei der Automesse IAA im Jahr 2015 den technologischen Wandel beschwor, ahnte niemand das folgende Erdbeben. Vier Tage später flog der Abgasbetrug von Volkswagen auf, der die Branche seither erschüttert. Der Skandal zwingt die Autobauer, sich fit für die Zukunft zu machen. Fast alle stehen seither unter Druck, ihr Geschäft umzukrempeln, um Abgas-Grenzwerte zu erfüllen. "Es ist die Neuerfindung der Branche", sagt Senta Graf, Analystin vom Fondshaus Deka.

In wenigen Tagen öffnet die IAA, die alle zwei Jahre im Wechsel mit dem Autosalon Paris stattfindet, Mitte September in Frankfurt wieder ihre Tore (14.-24.9.).

"Motorboote besser als Tanker", sagt ein Finanzmann

Die Branche steht vor gewaltigen Umwälzungen, weil die Neuausrichtung enorme Investitionen verschlingt. Größe nach Absatz - wie von Winterkorn propagiert - ist längst kein Allheilmittel mehr. Zudem hat sich der Führungsstil mit eiserner Hand, wie er lange bei Volkswagen gepflegt wurde, überholt. Gefragt sind stattdessen wendige Unternehmen mit flachen Hierarchien, die auf Neuentwicklungen rasch reagieren. "Agilität ist der Maßstab, der heute zählt", meint Stefan Bauknecht, Fondsmanager bei der DWS.

Verschachtelte Großkonzerne seien oft zu langsam. "Sportliche Motorboote haben bessere Chancen als schwerfällige Tanker." Exemplarisch zeigt sich das am US-Elektroautobauer Tesla, der sich aufmacht, den etablierten Herstellern im Massengeschäft das Fürchten zu lehren. Spätestens jetzt müssen die Großen der Branche nach Meinung von Experten aus den Startblöcken kommen. Sonst laufen sie Gefahr, von anderen abgehängt zu werden.

Europas Autobauer weit vor den Selbstdarstellern aus dem Silicon Valley

Genau diese Meinung ist sehr häufig unter diversen Wirtschaftsberatern und Analysten. Vergleicht man anhand konkreter Kriterien den Grad der Innovation etwa bei deutschen Autobauern und den Disruptoren aus dem Silicon Valley, sieht das Bild etwas anders aus: Patente zu Roboterautos: Bosch und Audi weit vor Tesla und Apple >>

"Aber machen wir uns nichts vor, das Geld wird immer noch mit den alten Techniken verdient", meint Axel Schmidt vom Beratungsunternehmen Accenture. "Weder verdienen Daimler mit car2go, noch BMW mit DriveNow, noch wird mit einem Hybrid- oder Elektrofahrzeug auch nur ein Euro verdient, das kostet erstmal nur." Damit stecken die Konzerne in einem Dilemma: Sie müssen kräftig in die Zukunft investieren und gleichzeitig belastet die Dieselkrise ihre Einnahmen.

Als erster Großkonzern ergreift nun offenbar Daimler die Flucht nach vorne. Der Konzern wird sich womöglich komplett umbauen, um flexibler auf Veränderungen zu reagieren: Neue Holding: Daimler will sich selbst in drei Teile aufspalten >>

Nach einem Medienbericht denken die Stuttgarter über eine Dreiteilung nach: Unter dem Dach einer Holding könnten das Pkw- und Transportgeschäft Mercedes-Benz, Lkw und Busse sowie Finanzdienstleistungen jeweils separat geführt werden. Teilbörsengänge seien möglich. Daimler selbst hält sich zu seinen Plänen bisher bedeckt.

Es ist aber nicht Kapitalbedarf, der die Autobauer in erster Linie antreibt, denn die Kassen der meisten Konzerne sind gut gefüllt - noch. "Die Bereitschaft der Autokäufer, ihr Geld für einen Diesel auszugeben, hat abgenommen", sagt Bauknecht. Auf der anderen Seite lahmt die Nachfrage nach E-Mobilen, weil die Autos teuer sind, die Batterien noch nicht für längere Strecken reichen und Auflademöglichkeiten Mangelware sind. Ein rascher Wandel ist damit nicht in Sicht.

Tesla hat keine Lust mehr auf Werbung

Die Branche hat nach Meinung von Bauknecht zwei Jahre verspielt, weil sie zu lange am Diesel festgehalten hat. Dieselautos stoßen wegen des geringeren Treibstoffverbrauchs zwar weniger Kohlendioxid aus, dafür aber mehr giftiges Stickoxid. Die hohe Abgasbelastung in Ballungsräumen bringt die Hersteller nun in Bedrängnis, weil Fahrverbote drohen. "Heute steht die Industrie vor der riesigen Aufgabe, die CO2-Ziele mit einem sinkenden Dieselanteil erreichen zu müssen", sagt Bauknecht. Hinzu kommt, dass die Kundschaft mehr sportliche Geländewagen (SUV) kauft, die zwar lukrativ für die Hersteller sind, aber auch mehr Sprit verbrauchen - und damit doch wieder mehr Kohlendioxid ausstoßen. Die Hersteller geraten dadurch in eine Zwickmühle.

Dennoch rücken die Autobauer in Frankfurt den SUV in allen denkbaren Spielarten ins Rampenlicht. "Jeder will SUV-Weltmeister werden", sagt Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer. Auch alltagstaugliche Geländewagen gibt es inzwischen mit Elektroantrieb. Die meisten auf der IAA präsentierten Elektrofahrzeuge, sei es der EQ von Mercedes-Benz oder der I.D. von VW, seien jedoch noch Visionen. Bis massentaugliche E-Mobile zu kaufen seien, vergingen noch einige Jahre.

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"Das Wichtigste, das es derzeit zu kaufen gibt, das Model 3 von Tesla, wird nicht in Frankfurt gezeigt", moniert Dudenhöffer. Insgesamt etwa ein Dutzend Marken, darunter auch Fiat, Volvo und Peugeot, fehlen auf der IAA - entweder weil die Messe ihnen nicht mehr den richtigen Rahmen bietet, oder weil sie sparen müssen. (reuters/apa/red)