Siemens VAI : Von Linz nach London

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Der Kulturwandel war unübersehbar: Als der Betriebsrat der neuen Primetals Technologies, der einstigen Siemens VAI, am Montag, den 19. Jänner zu einer Informationsveranstaltung für die Linzer Belegschaft lud, gab der Chef des neuen japanisch-deutschen und ein bisserl auch österreichischen Konzerns seinen ersten Auftritt: Yasukuni Yamasaki betrat das Podium.

Nach japanischer Sitte begrüßte die Dolmetscherin ihren Landsmann in einem nahezu zehnminütigen japanischen Monolog, was den Zuhörern bewies, dass Hierarchien auch in japanischen Konzernen sehr intensiv gelebt werden. Da sei die Siemens-Kultur fast liberal, hieß es.

Die rund 500 Zuhörer konnten nur mutmaßen, worum es in dem Prolog ging. Auf eine Übersetzung des Zeremoniells wurde verzichtet. Erst als die Teilnehmer unüberhörbar zu quengeln und schwätzen begannen, meldete sich Yamasaki in der Konzernsprache Englisch zu Wort.

Handfestes hatte er dabei für sein Auditorium nicht zu bieten. Was aber abseits der Einheitsbeschwörungen hängen blieb, war die Zusicherung, dass Linz ein zentraler Standort innerhalb des neuen 9.000-Mitarbeiter-Konzerns bleiben werde. Begeisterungsstürme blieben am Ende der Rede aber aus. Die Rede brachte kein Licht in den Nebel rund um den einstigen Industrieanlagenbau.

„Schau’n mer mal“, hielt einer der Besucher Franz Beckenbauer für zitabel. Der Organisator der Veranstaltung, Zentralbetriebsrat Gerhard Bayer, zeigt sich froh, die neue Konzernführung ins Angesicht bekommen zu haben. Der neue CEO habe einen „sehr guten Eindruck“ gemacht, meint Bayer funktionsgetreu. Und er bleibt zuversichtlich. „Ich glaube nicht, dass sich organisatorisch und im Arbeitsalltag viel ändern wird.“

Bis Mitte Dezember wurde ein großes Geheimnis um den neuen Namen des neuformierten Anlagenbauers gemacht – bis „Primetals Technologies“ daraus wurde. Gezückte Augenbrauen waren die mildeste Reaktion, die unter den neu getauften Mitarbeitern ob dieses Kunstwortes aus „Prime“ und „Metals“ geerntet wurde. Selbst die Warteschleife des Telefoncenters verweigerte sich bis zum Redaktionsschluss noch dem neuen Namen und begrüßte in einem letzten Aufbäumen als Siemens VAI: Über kurz oder lang wandert der alte Name der Industrieanlagenbau endgültig in den Mistkübel.

Österreicher verlieren Einfluss

Ein Resultat der Informationsveranstaltung mit dem neuen CEO Yamasaki ist die Bekanntgabe der neuen Konzernstruktur. Es gibt einen fünfköpfigen Vorstand, der von drei MHI-Managern und zwei Siemensianern – Peter Schraut, dem ehemaligen CFO der Siemens VAI, und Heiner Röhrl – besetzt ist.

Dazu kommen einzelne Landesgesellschaften: Der Bayer Heiner Röhrl ist in Personalunion auch Österreich-Chef von Primetals Technologies, flankiert vom Finanzspezialisten Robert Miemitz, der ebenfalls von Siemens kommt. Das Fehlen österreichischer Anlagenbau- und Projektspezialisten in den obersten Führungsgremien sorgt in Linz für Verunsicherung, da viele davon ausgehen, dass Siemens sich in den kommenden drei Jahren aus dem Gemeinschaftsunternehmen zurückziehen wird.

Dann stünden die Chancen groß, dass das neue Joint Venture zur Gänze von MHI übernommen wird – und der österreichische Standort Linz über kurz oder lang ohne jeden Einfluss im Konzern dasteht.

Der Name des Platzes ist auch Programm: Das neue Headquarter von Primetals Technologies wird in Untermiete von Siemens Großbritannien (14.000 Mitarbeiter) starten, rund einen Kilometer von der britischen Offiziersschmiede Sandhurst und zwei Kilometer vom Flughafen Farnborough entfernt, dem Standort der weltbekannten Flug- und Kriegsgeräte-Messe.

Als Hauptgrund für den illustren Standort auf der Insel wird schulterzuckend auf die dortige Steuergesetzgebung verwiesen. Der Industrieanlagenbau selbst hatte in Großbritannien bislang nur beschränkte lokale Interessen. Das Headquarter soll mit 50 bis 70 Mitarbeitern recht überschaubar bleiben, das operative Geschäft bleibt in Linz, heißt es.

Dennoch ist die Verlegung des Headquarters eine der bittersten Pillen, die die Linzer im Verlauf des Mergers zu schlucken haben. Der Verlust des Heimatbonus wiegt in globalen Netzwerken schwer.

Die Aufmunterungsrede von Neo-Chef Yamasaki hörte sich unter dem Eindruck dieser Nachricht um vieles weniger fundiert an.

Schließlich hatte der Industrieanlagenbau bereits sieben Linien der Brammenstranggießanlagen in den letzten Jahren für die einstige Schwestergesellschaft modernisiert. Die letzte und achte wurde außerhalb der Familie vergeben. Dem Vernehmen nach hat Primetals um 40 Millionen Euro angeboten, Danieli hat sich mit rund 30 Millionen Euro deutlich darunter angesiedelt. Dies war für das Voestalpine-Management Grund genug, zu den bereits sieben bestehenden gleichartigen Stranggießanlagen eine völlig andersartige zu

platzieren.

Federführend soll dabei wieder der Ex-VAI-Chef und letzte echte Industrieanlagenbauer in der Spitzenfunktion, Werner Auer, gewesen sein, der nach seiner Ablöse im Oktober 2013 in leitender Funktion bei Danieli angeheuert hat. Primetals verlor im Herbst vergangenen Jahres bereits einen dreistelligen Millionenauftrag in Indien, weil Danieli um 25 Millionen Euro billiger war.

Werner Auer kennt die starren Kalkulationsreglements des Siemens-Konzerns, ausformuliert in den „Zentralen Regeln des Geschäftsverkehrs ZRG“, aus dem Eingemachten. Er hat sie in seiner VAI-Zeit lang genug bekämpft – und weiß um die Gemeinkosten, die jedem Siemens-Angebot automatisch aufgepfropft werden.

Betriebsrat Gerhard Bayer geht davon aus, dass unter der Führung der Japaner „die Leinen wieder länger“ gelassen werden.

Als erstes Indiz wertet er, dass die Personalangelegenheiten wieder aus Wien nach Linz wandern und dass mehr Kompetenzen von den Konzernstabsstellen zu den Projektverantwortlichen zurückkehren sollen. Wie konkret die Vereinbarungen mit dem neuen Management gelebt werden, steht noch in den Sternen.

Die Erfahrungswerte stehen noch aus. Aber wie die Infoveranstaltung zeigte: Auch Japaner lieben Hierarchien.

Die Japaner übernahmen mit 51 Prozent der Geschäftsanteile die industrielle Führerschaft und brachten rund 1.000 Mitarbeiter in die neue Gesellschaft ein.

Die Siemens VAI stellt mit 8.000 Jobs ein Vielfaches der Beschäftigten, gab sich aber mit 49 Prozent und der Rolle des Minderheitsaktionärs zufrieden. Die Bereitschaft der Siemens-Spitzen rund um Oberboss Joe Kaeser, die stets renitenten Metallurgen aus Linz aus dem Konsolidierungskreis zu werfen, war und ist sehr ausgeprägt.

Unter seinen Vorgängern Heinrich von Pierer und Peter Löscher hatte der Industrieanlagenbau wesentlich bessere Karten – und das nicht nur, weil die Zahlen in den Nuller-Jahren besser waren.

Namhafte Kapitalzufuhr

Die VAI hatte seit dem Siemens-Einstieg von 2005 bis 2011 rund 500 Mio. Euro an Dividenden in der Wittelsbacherstraße abgeliefert. Mit der globalen Krise der Stahlwirtschaft änderten sich die Vorzeichen: Die Siemens VAI schrieb 2012 und 2013 rote Zahlen und benötigte eine namhafte Kapitalzufuhr aus der Konzernkasse.

In zwei Wellen verloren in Linz 2013 und 2014 400 Mitarbeiter ihre Jobs. Derzeit stehen am Standort Linz nur mehr 1.600 Arbeitsplätze in Lohn und Brot des neuen Joint Ventures.

Das aktuelle Management von Primetals Technologies gibt an, dass Umsatz, Auftragseingang und Ergebnis 2014 über den Erwartungen gelegen seien.

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