Businessplanung : Vom Plan zur Planung

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Der Heilige Gral der Bedarfsplanung: Noch ist er nicht gefunden, möglicherweise aber bereits ganz nah. Seit die industrielle Massenfertigung vor gut hundert Jahren ihren Siegeszug antrat, sind Logistiker, Supply-Chain-Manager und Produktionschefs auf der Suche nach der Formel, die vorhersagen kann, wann man welche Vorprodukte an welchem Ort brauchen wird, um exakt so viel produzieren zu können, wie es der Markt gerade erfordert.

Ebenso wie der mittelalterliche Gralssucher Parzival am Ende jenen Stein findet, der die Erlösung verheißt, so könnten auch Bedarfsplaner schon bald eine Businesswelt finden, in der viele bisherige Probleme nahezu weggezaubert werden. Die digitale Box an Werkzeugen, die dafür nötig ist, existiert bereits. Das Fortschreiben von Vorjahreszahlen, die man mit mehr oder minder willkürlich festgelegten Ab- oder Zuschlägen bereinigt, wirkt daneben wie eine Steinaxt neben einer Motorsäge.

„Technisch betrachtet sind heute kognitive Plattformen möglich, die nach einer relativ kurzen Zeit, in der sie mit Daten versorgt werden müssen, soweit sie selbstlernend sind, dass sie in der Folge eine große Zahl an Planungsschritten autonom durchführen können und dabei zu sehr exakten Aussagen kommen“, sagt Christoph Pressleitner, Leiter Supply Chain & Operations, Beratung bei EY Österreich. Integrated Business Planing 2.0 sozusagen.

Der Mensch bleibt

Freilich, das räumen alle Experten ein, die das Thema bearbeiten: Dass der Mensch sich aus der Planung völlig verabschieden kann, bedeutet diese Entwicklung nicht. Aber in vielen Fällen wird er zu einem außenstehenden Supervisor, der nur noch im Notfall oder in besonders kritischen Momenten ein- greift. Ein Szenario, das nicht zufällig an das autonome Fahren erinnert: In beiden Fällen muss die dafür eingesetzte Künstliche Intelligenz mit einer gigantischen Zahl an Variablen umgehen, in beiden Fällen muss sie auch eine Fähigkeit abbilden können, die eigentlich nur Menschen eigen ist – intuitives Reagieren auf unerwartete Veränderungen.

Doch all diesen Herausforderungen zum Trotz – die Technik ist bei der Einführung von automatisierten IBP-Modellen letztlich nicht das Problem. Viel eher ist es der Mensch, der sie nutzt. Auch daran hat sich seit Henry Ford nicht viel geändert. Eines allerdings doch: der Umfang und die Komplexität der Daten. Die Möglichkeiten, Daten in einem Unternehmen zu sammeln und zu analysieren, sind mittlerweile so vielfältig, dass es für nahezu jeden Bereich ausgefeilte Tools gibt: Produktionsvorbereitung, Ressourcenplanung, Lagermanagement, Finanzen, Kundenmanagement, Nachfrageplanung. Ende nie. Diese Vielfalt, die nahezu alles rechenbar macht, ist zugleich aber auch eine Riesengefahr.

„Die Verlockung, sich einige solche Tools herauszupicken, sie zu implementieren und darauf zu setzen, dass man nun bei dem nächsten großen Digitalding dabei ist, ist groß“, sagt Jörg Puschlmayer, Geschäftsführer Bereich Performance Improvement bei EY Österreich. „Doch das funktioniert nicht. Denn isoliert eingesetzt, können die tollen Tools auch nur isolierte Aussagen liefern.“

Vernetztes Planen wird noch wichtiger

Und in der Folge passieren Absurditäten, wie zum Beispiele jene, die Christoph Pressleitner gern als Mahnung gegen allzu naives Handeln heranzieht: In einem österreichischen Industrieunternehmen ergibt die Analyse des Einkaufs, dass einige Komponenten, die man für das Endprodukt braucht, bei einem neuen Lieferanten günstiger zu bekommen sind, weshalb das Unternehmen dann auch zu ihm wechselt.

Die Tragweite dieser isolierten Entscheidung zeigt sich erst nach und nach: Dass die billigere Komponente qualitativ etwas schlechter ist als die ursprünglich genutzte, hat man beim Umstieg durchaus gewusst, hielt das allerdings aufgrund des besseren Preises für vertretbar. Denn der billigere Einkauf erlaubte es, einen Teil dieses Vorteils an die Kunden weiterzugeben – in jeder preissensitiven Branche ein wichtiges Argument.

Doch die schlechtere Verfügbarkeit der Komponente und die mangelnde Flexibilität des neuen Lieferanten hat die Produktion vor weitere Probleme gestellt. Was das Unternehmen durch die isolierte Betrachtung nicht voraussah, bei einer integrierten Sichtweise aber durchaus voraussehen hätte können: Durch den markant niedrigeren Lieferservicegrad und die geringere Qualität kam es sowohl zu Produktionsstillständen als auch einem erhöhten Ausschuss. Beides resultierte in einer stark ansteigenden Zahl von Reklamationen. In Summe machte die vermeintliche Optimierung das Produkt schlechter, verursachte Zusatzkosten und reduzierte den Umsatz.

Planung schafft Wertschöpfung

„Das Beispiel zeigt sehr gut, dass ohne eine Integration aller Teilbereiche gerade komplexe und sichere Prognosesysteme zwangsläufig versagen müssen“, sagt Christoph Pressleitner. Richtig eingesetzt können sie hingegen völlig neue Einsichten bringen. Wie bei jenem Unternehmen, das seinen Kunden ein sehr umfassendes Servicepaket bot, dadurch aber nicht immer alle Serviceanfragen sofort abarbeiten konnte.

Bis zum Einsatz eines entsprechenden Planungssystems kamen, vereinfacht gesagt, jene Kunden als erste dran, die ihren Unmut am lautesten äußerten. Eine Priorisierung der Anfragen in Abhängigkeit davon, wie wichtig als Umsatzbringer oder strategisches Asset ein Kunde ist und auch danach, ob und welche Pönalen beim verspäteten Service anfielen, erwies sich als ein ungemein profitabler Hebel: Bei gleichbleibendem Umsatz konnte das Unternehmen seine Wertschöpfung signifikant steigern.

Neben isoliertem Einsatz von Tools, die aber nur vernetzt wirken können,

ist die Qualität der Daten, auf denen die Planungen von (teil-) automatisierten IBP-Systemen beruhen, der zweite große limitierende Faktor. Hier fehle oft die Geduld und Bereitschaft, Daten in eine verwertbare Struktur zu bringen, sagt Christoph Pressleitner. „Das ist Knochenarbeit und nicht besonders spektakulär, aber eine unverzichtbare Voraussetzung, damit Planungs- und Prognosetools überhaupt funktionieren.“

Der Wandel kommt

Ebenfalls unverzichtbar ist es, die Transparenz der Daten und ihrer Verarbeitung zu gewährleisten. Ansonsten, berichtet Christoph Pressleitner, komme es dazu, dass die Zuverlässigkeit der automatisch erstellten Prognosen von Mitarbeitern wie von Führungskräften angezweifelt wird. „Denn dann kommt das psychologische Moment ins Spiel, dass sich viele Menschen grundsätzlich nicht gern etwas sagen lassen und schon gar nicht von einer Maschine.“

Dass in Österreichs Unternehmen automatisierte Planungssysteme teilweise noch recht zurückhaltend aufgenommen werden, liegt für Jörg Puschlmayer an vielen Faktoren. Zum Teil gebe es durchaus auch einen gewissen Information Overload durch die Anbieter solcher Systeme, die derart hohe Versprechen abgeben, dass eine gesunde Portion Skepsis durchaus angebracht ist. „Hier können externe und unabhängige Berater für Unternehmen ein gutes Korrektiv sein. Sie können recht gut bewerten, welche Erwartungen in neue Systeme realistisch sind und welche nicht.“

Grundsätzlich sieht Jörg Puschlmayer automatisierte IBP-Systeme allerdings absolut im Kommen. „Das ist ja auch eine Generationenfrage. In mittelgroßen Familienunternehmen macht oft die Betriebsübergabe den Weg für den Wandel frei.“ Oder aber es ist der Druck der Verhältnisse. Denn spätestens sobald Unternehmen merken, dass sie mit ihrer altbewährten Planung der Realität nur noch hinterherhinken und Kunden verlieren, stehen sie neuen Modellen durchaus aufgeschlossen gegenüber.