Hintergrund : Volkswirte zum Minus in Deutschland: "Erholung der Industrie intakt"

Die deutsche Wirtschaft ist 2020 wegen der Coronapandemie so stark eingebrochen wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte um 5,0 Prozent und damit erstmals seit elf Jahren, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Ein stärkeres Minus hatte es zuletzt 2009 mit damals 5,7 Prozent gegeben, 2019 stieg das BIP noch um 0,6 Prozent. Volkswirte sagten in ersten Reaktionen:

RALF UMLAUF, HELABA:

"Deutschland befand sich im vergangenen Jahr wegen des durch den Lockdown hervorgerufenen Q2-Einbruchs in einer tiefen Rezession. Die Zahl überrascht in der Dimension daher nicht. Das Ergebnis weist darauf hin, dass das vierte Quartal nicht so schwach ausfallen dürfte, wie befürchtet. Monatliche Zahlen beispielsweise zur Produktion hatten gezeigt, dass die Erholung des Industriesektors intakt ist."

ALEXANDER KRÜGER, BANKHAUS LAMPE:

"Das Beste an der Dramazahl ist, dass die Wirtschaft Ende 2020 wohl mindestens mit einer schwarzen Null davongekommen ist. Mehr denn je gilt es nun, die Corona-Pandemie mit Impfstoffen zurückzudrängen. Gelingt das, bestehen für das Jahresende gute Chancen, dass die Wirtschaft ihr zyklisches Hoch von 2019 erreicht. Ob das den Arbeitsmarkt aber nennenswert befeuern wird, ist angesichts vieler Kurzarbeiter und Stellenkürzungspläne fraglich. Was Deutschland jetzt ebenso wie Impfstoffe dringend braucht, ist eine Investitions-und Wachstumsagenda. Wegen der vorerst anhaltenden Pandemie und dem bevorstehenden Bundestagswahlkampf wird die Regierung diese aber wohl kaum entwickeln."

ANDREAS SCHEUERLE, DEKA-BANK:

"Den Rückblick auf das Jahr 2020 prägen nicht wirtschaftliche oder politische Aspekte, sondern virologische und epidemiologische - kurz das Coronavirus. 'Das wirtschaftliche Leben einfrieren, um menschliches Leben zu erhalten' war die Devise. Und es war richtig: Die Infektionen wurden - auch mit ein wenig Hilfe der Witterung - zurückgeführt, schon Anfang Mai lag man wieder nur noch bei dreistelligen Neuinfektionen. Befreit von den Fesseln des Lockdowns explodierte das Wirtschaftsleben ab Mai und bescherte der deutschen Volkswirtschaft ein phänomenales Wachstum im dritten Quartal. Das allein reichte aus, einen Einbruch wie in der globalen Finanzkrise zu vermeiden."

UWE BURKERT, LBBW:

"Eigentlich ein Katastrophenjahr, aber gemessen an den zwischenzeitlichen Befürchtungen könnte man sagen, dass wir noch glimpflich davon gekommen sind. Im Schlussquartal dürfte das BIP in etwa stagniert haben. Da wir seit November wieder einen Lockdown haben, muss man auch dieses Ergebnis als positive Überraschung werten. Vor allem das Verarbeitende Gewerbe macht hier wohl den Unterschied, da wir beobachten, dass die Lieferketten aufrecht erhalten wurden und werden. Gleichwohl kann das Motto für 2021 nur heißen: So schnell wie möglich zurück zur Normalität und aufholen, was aufzuholen ist. Aber natürlich steht die Eindämmung der Pandemie weiterhin an erster Stelle."

FRITZI KÖHLER-GEIB, KFW:

"Die Corona-Pandemie hinterließ 2020 tiefe wirtschaftliche Spuren in Deutschland: Der gemeldete BIP-Einbruch um 5,0 Prozent ist der zweitstärkste seit Bestehen der Bundesrepublik, knapp hinter der Finanzkrise 2009 und mit weitem Abstand zu allen anderen Rezessionsjahren. Gemessen an den ursprünglichen Befürchtungen nach Ausbruch der Pandemie ist dieses traurige Ergebnis aber auch ein Erfolg in Schadensbegrenzung. Denn im März vergangenen Jahres hielt ein führendes deutsches Forschungsinstitut einen Absturz der Wirtschaftsleistung um bis zu 20 Prozent für möglich und noch zur Jahresmitte lag die Konsensprognose bei minus 6,5 Prozent. Die geglückte Schadensbegrenzung ist der effektiven Eindämmung der ersten Infektionswelle zu verdanken, den dadurch ermöglichten Lockerungen ab Mai sowie den begleitenden, sehr umfangreichen wirtschaftspolitischen Stabilisierungsmaßnahmen.

Die im Sommer begonnene Erholung in der Industrie sorgt bisher dafür, dass Deutschland zumindest wirtschaftlich einigermaßen glimpflich durch den Anfang November begonnenen, zweiten Lockdown kommt." (reuters/apa/red)