Korruption : Visegrad-Staaten: "Hätten wir keine EU-Fonds, gäbe es keine Mafia"

Das Zitat des Soziologen Michal Vašečka "Hätten wir keine europäischen Fonds, gäbe es keine Mafia" war der Startpunkt eines fjum-Online-Seminars zum Thema Missbrauch von EU-Fonds in den Visegrad-Staaten. Während in Tschechien, Slowakei und Ungarn der Missbrauch von EU-Geldern laut Experten und Journalisten in etwa gleich dramatisch ist, sieht die Situation in Polen überraschenderweise anders aus.

In der Slowakei sieht der Investigativjournalist Peter Sabo den größten Missbrauch im Agrarbereich. 14 Prozent der Gelder von jedem Projekt in diesem Bereich, das von der EU finanziert werde, würden in Korruption fließen. Er identifizierte dabei drei Ebenen: Die "Betreiber" seien auf der untersten Stufe und stünden in direktem Kontakt mit den Bauern, darüber stünde das Landwirtschaftsministerium und noch darüber die Oligarchen, welche das Ministerium in ihrer Hand hätten. "Das System arbeitet mit Leuten zusammen, die EU-Fonds missbrauchen", so Sabo in dem Seminar des "forum journalismus und medien" (fjum). Missbrauch gebe es auch mit Geldern aus Umweltfonds.

Teilweise würden EU-Gelder auch für "sinnlose Projekte" verwendet. Dabei führte er das Beispiel einer slowakischen Kleinstadt an, die mit Geldern der EU ihren Hauptplatz erneuerte und dafür völlig überteuerte Bänke eines italienischen Designers bestellte, welche seiner Ansicht nach für diese Kleinstadt völlig unnötig seien. Fehlende Überprüfungsmöglichkeiten für die Verwendung der EU-Gelder mache so etwas möglich. Für Journalisten sei es ebenfalls schwer, an genügend Informationen zu kommen, und auch gefährlich, wie der Fall des ermordeten slowakischen Investigativjournalisten Jan Kuciak zeigt. Dieser habe in seinem letzten Artikel Korruption in der Slowakei aufdecken wollen.

Ähnlich dramatisch ist die Situation in Tschechien, wie der Journalist Jiří Nádoba in der Online-Diskussionsveranstaltung auf Zoom ausführte. Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis ist Gründer des umfangreichen Firmengeflechts Agrofert, das er vor drei Jahren an zwei Treuhandfonds übergeben hatte. Zuletzt hatte das Europaparlament in einem Beschluss den möglichen Interessenskonflikt des Regierungschefs kritisiert, was Babis entschieden zurückwies.

Nach Angaben von Nádoba ist Babis der zweitreichste Geschäftsmann in Tschechien und der größte Profiteur von EU-Geldern im Land. Obwohl er mittlerweile nicht mehr der klare Eigentümer der Agrofert sei, würde er weiterhin vom Firmengewinn profitieren. "Seine Firma hat, seit Babis in der Politik ist, fast eine halbe Milliarde Euro erhalten", sagte Nádoba. Wie in der Slowakei seien in Tschechien die Agrar-Fonds am meisten betroffen. "EU-Fonds helfen den Reichen reicher zu werden und nicht den Armen", monierte Nádoba.

In Ungarn sind laut der Investigativjournalistin Blanka Zöldi reiche Freunde des Ministerpräsidenten Viktor Orban sowie Unternehmer, die im Bau- und Infrastrukturwesen tätig sind, große Profiteure von EU-Geldern. "Das meiste Einkommen bekommen sie aus Projekten, welche von EU-Geldern finanziert werden", sagte Zöldi.

Das spiegle sich auch in der Auftraggebung wieder. Als Beispiel führt sie die Modernisierung der öffentlichen Beleuchtung mithilfe von EU-Geldern an. Obwohl die Aufträge dafür eigentlich offen ausgeschrieben worden seien, hätten sich aufgrund von seitenlangen Entsprechungen nur ein paar wenige Firmen bewerben können. Ein Kriterium sei beispielsweise die Verwendung einer ganz speziellen Art von Glühbirne gewesen. Keine Informationen gebe es zu Unterauftraggebern oder Zulieferern einer Firma.

In Polen gibt es nach Angaben des Korruptionsexperten Grzegorz Makowski zwar auch Korruption in Bezug auf EU-Gelder, aber nicht so stark wie in den anderen Visegrad-Staaten. Als einen Grund dafür führt er an, dass Polen ein ziemlich "zentralisiertes Land" mit starken Lokalregierungen sei. Die große Reform der Lokalregierungen Ende der Neunzigerjahre habe Polen gut auf die Annahme von EU-Geldern vorbereitet.

Zudem würden Oligarchen keine so große Rolle spielen, und die Privatisierung von Unternehmen sei anders erfolgt. Die größten Staatsunternehmen aus dem Kommunismus seien immer noch in staatlicher Hand, und Politiker seien weniger oft gleichzeitig auch Unternehmenseigentümer. "Politische Eliten füttern sich aus staatlichen Unternehmen und anderen Quellen, sie sind nicht so interessiert an EU-Geldern", so Makowski. Reiche Unternehmer wiederum hätten wenig Interesse an Politik. Es gebe auch strategische Gründe: Die derzeitige nationalkonservative PiS-Regierung wolle sich neben den Rechtsstaatlichkeitsverfahren keinen weiteren Streit mit der EU-Kommission anfangen.

Die EU-Expertin Judy Dempsey sieht in der Problematik um EU-Gelder Brüssel in der Verantwortung. Die EU müsse die Zivilgesellschaft und investigative Medien mehr unterstützen, besser mit der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde (OLAF) zusammenarbeiten und rascher agieren, da der "sehr, sehr langsame Prozess schädlich" sei, so Dempsey. (apa/red)