Energiepreise : Unter Spannung

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Es gibt Stunden im Stromhandel, da springt Großabnehmern vor Freude das Herz. Da fließt ihnen eine geballte Ladung Strom vollkommen umsonst in die Leitung – und wer sie nimmt, bekommt bares Geld draufgezahlt. In Österreich passiert das inzwischen bis zu 20 Stunden im Jahr, Tendenz steigend. Das Phänomen heißt Negativpreis. Mitte Oktober beschloss die heimische Energiebörse EXAA in Wien zu reagieren. Was an der Energiebörse Leipzig schon länger möglich ist, geht jetzt auch in Wien: Die unterste Preisgrenze für Strom kann auf minus 150 Euro pro Megawattstunde fallen. Wer dann kauft, bekommt Energie und Geld geschenkt.

Die Hintergründe dieser Entwicklung sind freilich weniger erfreulich. Wenn es wieder zu einem Negativpreis kommt, strömt so viel Energie durch die Leitungen, dass ohne plötzliche neue Großverbraucher die Netze kollabieren würden. Der Treiber dahinter ist die deutsche Energiewende – der massive Ausbau der erneuerbaren Energien sorgt für enorme Volatilität. Für ganz Europa ein Problem, wie Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber kommentiert. Um die Stromnetze in Österreich zu stabilisieren, habe es noch 2011 zwei, drei Eingriffe pro Woche gebraucht – heute seien es drei pro Tag.

Preisschere geht auf

Und die Preise? Den Industriegaspreis in Europa bestimmen Faktoren des Weltmarkts, derzeit vor allem aus russischer und amerikanischer Richtung. Beim Blick auf die Strompreise sagt der Vorstand eines heimischen Energiekonzerns: „Alle schauen in diesen Tagen nach Berlin wie das Kaninchen auf die Schlange.“ Weil der heimische und der deutsche Strommarkt eine Handelseinheit bilden, hält auch hierzulande die energieintensive Wirtschaft eine Frage in Atem: Welche Auswirkung werden die Reformen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) auf den Strompreis haben? INDUSTRIEMAGAZIN sah sich die treibenden Faktoren hinter den aktuellen und kommenden Preisen bei Strom und Gas an. Ein Fazit: Die heimische Industrie steht vergleichsweise gut da.

Gaspreise: Druckfaktor Russland

Auch wenn es besonders am Gasmarkt Leidensdruck gibt. Die Megawattstunde Gas kostet in Europa zwischen 27 und 35 Euro – und liegt damit deutlich über den Weltmarktpreisen. Hannes Pesendorfer, Leiter Energien bei der Voestalpine Rohstoffbeschaffung, kennt die Situation in den USA: „Die Gaspreise betragen dort ein Drittel dessen, womit wir hier in Europa konfrontiert sind.“ Die Voestalpine reagiert mit neuen Standorten in Übersee, setzt aber auch Maßnahmen vor Ort. In Linz betreibt der Stahlkonzern ein eigenes Gaskraftwerk und ist damit „der siebtgrößte Energieerzeuger in Österreich“, so Pesendorfer. Gleichzeitig folgt der Konzern einem anderen neuen Trend: Industrieunternehmen steigen selbst in den volatilen Energiehandel ein. So startete die Voestalpine 2012 eine eigene Bilanzgruppe, um den Markt besser zu durchdringen. Denn: Immer noch befinden sich viele Abnehmer von russischem Gas im Würgegriff: Die Abnahme ist auf Jahre hinaus fixiert, der Preis an den Ölpreis gekoppelt. Es gibt aber gute Nachrichten: Ein langsames Bröckeln der Vertragspreise ist aus zwei Gründen zu erwarten.

Erstens wird mit steigender Ölförderung der Ölpreis mittelfristig sinken. In einer internen Studie rechnet der deutsche Bundesnachrichtendienst mit einem deutlichen Minus auf 58 Euro pro Barrel.

Zweitens gewinnt der Widerstand gegen die Langfristverträge europaweit an Fahrt. Nach einem Milliardenerfolg des deutschen Energieriesen Eon gegen Gazprom im Vorjahr erreichte im November auch RWE Rabatte von rund einer Milliarde Euro. Spannend ist es in diesen Tagen vor allem für die OMV-Tochter EconGas, die Verhandlungen mit dem russischen Staatskonzern führt – Ausgang offen. (Anmerkung: EconGas konnte im Dezember 2013 in Verhandlungen mit Gazprom Preissenkungen erzielen, und zwar rückwirkend ab April 2013.) Zeitgleich ermittelt auch die EU-Kommission gegen Moskaus Lieblingskonzern. Kommt es zu einer Verurteilung, sind Strafen bis zu elf Milliarden Euro drin.

Schiefergasexporte ab 2015?

Die Schiefergasrevolution in den USA ist ein weiterer Einflussfaktor auf die Preise. Europas Industrie hat hier doppeltes Pech: Nicht nur profitiert ihre Konkurrenz in Amerika, sondern Washington will auch möglichst wenig von seinem blauen Gold exportieren. Die Internationale Energieagentur (IEA) sieht deshalb für 2014 deutliche Nachteile für die Industrie vor allem in Europa und Japan. Doch wie ein Papier des US Departement of Energy bestätigt, ist die Förderung von Schiefergas oft defizitär. Entsprechend hoch ist der Druck der Förderer, Exporte nach Übersee zu erlauben.

Zu erwarten sei mittelfristig eine Verschiebung am US-Markt zugunsten europäischer Wettbewerber, sagt Johannes Mayer, Chefvolkswirt der E-Control, und das werde von der Mehrheit der internationalen Energieconsultants bestätigt: „Die jetzigen Gaspreise in den USA sind nicht kostendeckend und nicht nachhaltig. Sie werden deshalb mittelfristig steigen.“ Erste Ergebnisse gibt es: Gasanalyst Alexander Pögl von JBC Energy verweist auf mittlerweile vier Hubs, die eine Exportgenehmigung haben und voraussichtlich 2015 starten. Für Europas Industrie zeigen Faktoren aus Russland und den USA: Die hohen Gaspreise dürften mittelfristig spürbar nachgeben. Der Markt hat diese Trends bereits eingepreist. Kostete Anfang 2013 die Megawattstunde Gas an der Energiebörse Leipzig für die Lieferung im nächsten Jahr noch über 28 Euro, ist sie derzeit knapp 27 Euro wert. Die Lieferung für das Jahr 2015 liegt derzeit zwischen 26 und 25,50 Euro pro Megawattstunde.

Der wahre Sturm tobt derzeit auf dem Strommarkt. Die Preise im Großhandel in Deutschland, Österreich und den angrenzenden Ländern sacken immer weiter in den Keller – und wer nur sie zahlen muss, darf jubeln. Gleichzeitig haben die Abgaben auf Strom vor allem in Deutschland eine schmerzhafte Höhe erreicht, wie Christof Bauer vom Spezialchemieriesen Evonik bestätigt. Auch die österreichische Industrie sei über ihre deutschen Standorte massiv von der EEG-Ökostromabgabe betroffen, so Hannes Pesendorfer von der Voestalpine: „Die meisten unserer Standorte in Deutschland zahlen die volle EEG- Umlage. Ein Standort ist davon befreit. Fällt die Härtefallregelung weg, ist dort bei Energiekosten ein zweistelliger Millionenbetrag mehr zu zahlen. Das ist schon eine Existenzbedrohung.“

EEG: Erste Eckdaten

Ende November hat sich die deutsche Große Koalition nun auf die ersten Eckdaten für eines ihrer wichtigsten Projekte geeinigt: die Reform des EEG. Was heute schon feststeht: Schwarz-Rot verpasst der Förderung der Erneuerbaren einen Dämpfer, die Vergütung wird weitaus stärker am Markt ausgerichtet. Weitere Einzelheiten des neuen EEG sollen bis Ostern 2014 ausgearbeitet werden, spätestens im Sommer soll es den Bundestag passieren. Die österreichischen Großverbraucher verfolgen die Entwicklung mit Spannung, aber auch mit einer gewissen Gelassenheit. In Österreich fallen die Bruttopreise für industrielle Abnehmer im Vergleich zu anderen EU-Industrienationen relativ moderat aus. Gleichzeitig kann sich die energieintensive Industrie im deutsch-österreichischen Großhandel bedienen: Der Index Phelix Cal 14, der den Strompreis für die Lieferung im Jahr 2014 anzeigt, lag noch im Juli 2008 bei über 95 Euro pro Megawattstunde, sank im Krisenjahr 2009 auf 65 Euro – und dümpelt derzeit unter 40 Euro pro Megawattstunde herum. Marktbeobachter sind sich einig: Die Preise im direkten Handel, die sich am Börsenkurs orientieren, bleiben über Jahre hinaus niedrig – und die energieintensive Industrie ist der große Profiteur der Entwicklung.

Befreiung von EEG-Umlagen

Unter einer zentralen Voraussetzung: Es gilt eine Befreiung von den hohen EEG-Umlagen. Ob diese Befreiung für große, in Deutschland tätige Betriebe weiterhin gilt, ist derzeit die wichtigste Frage für alle Großabnehmer am Strommarkt. Das sind alle Betriebe, bei denen die Stromkosten mindestens 15 Prozent der Bruttowertschöpfung oder der Verbrauch mindestens 1 Gigawattstunde pro Anlage ausmacht. Laut der Entscheidung Ende November steht fest, dass eine Befreiung für die Industrie weiter möglich sein wird. Allerdings werden wohl in mehreren Branchen die Industrierabatte fallen.

Aktuell droht auch von anderer Seite größeres Ungemach. Der EU sind die Industrierabatte ein Dorn im Auge – sie wirken nach Ansicht der Kommission wie eine unerlaubte Beihilfe auf Kosten des Mittelstands und der Verbraucher. Ende November hieß es aus dem Büro des zuständigen Kommissars Joaquín Almunia, ein offizielles Verfahren gegen die Industrierabatte könne in Kürze ein- geleitet werden.

Auch in Österreich wird nach den Wahlen die Energiepolitik neu verhandelt – doch eine plötzliche Explosion der heimischen Strompreise, für die bereits heute relativ hohe Abgaben fällig werden, ist nicht zu erwarten. Der garantierte Einspeisetarif für Erneuerbare beträgt hierzulande 13 statt 20 Jahre. Und die Ökostromabgabe steigt nicht ins Unendliche, sondern ist gedeckelt. Ein Statement des ÖVP-Energiesprechers Peter Haubner steht stellvertretend für eine mögliche rot-schwarze Koalition: „Natürlich bedarf es da und dort Anpassungen, jedoch sicher keiner Kehrtwende.“