Außenhandel : Türkei: Ein Handelspartner mit Schwierigkeiten

Obwohl sich die türkische Wirtschaft in den vergangenen Monaten deutlich abgekühlt hat, wird sie heuer immer noch um rund 3 Prozent wachsen, "was eigentlich erstaunlich ist", sagt der österreichische Wirtschaftsdelegierte Georg Karabaczek. Damit sei aber nun Schluss.

"Wir sehen, dass die Wirtschaftskrise jetzt kommt und teilweise schon da ist", sagte Karabaczek vor einigen Tagen vor Journalisten in Wien. "Ich glaube, dass 2019 ein sehr schwieriges Jahr für die türkische Wirtschaft wird und dass es mit viel Glück ein Nullwachstum geben wird", sagte Karabaczek.

Vom Putschversuch bis zu den Repressionen der Gegenwart

In den letzten Jahren sei das Land "wirklich gebeutelt worden" von Wahlen, Referendum, Bombenanschlägen, dem Syrienkrieg mit 3,5 Millionen syrischen Flüchtlingen, dem Wiederaufleben des kurdischen Konfliktes, Spannungen mit der EU, den USA und Russland, "dazwischen auch ein kleiner Putschversuch" - und dennoch sei die Wirtschaft des Landes all die Jahre noch gewachsen, im ersten Quartal des laufenden Jahres sogar um 7,4 Prozent. Dieses Wachstum habe auf hohen Konsumausgaben, Ankurbelungen durch den Staat und Großprojekten basiert.

Staatshaushalt in Ordnung

Der Staat habe wegen der Wahlen immer wieder versucht, die wirtschaftlichen Probleme hinauszuschieben und mehr Geld auszugeben, dennoch sei der Staatshaushalt grundsätzlich in Ordnung. "Die Maastricht-Kriterien könnte die Türkei locker erfüllen", sagte der Wirtschaftsdelegierte. Die Staatsverschuldung liege bei etwa 30 Prozent, das Budgetdefizit sei zuletzt auf 2 Prozent gestiegen. Nach der um eineinhalb Jahre vorgezogenen Wahl im Juni 2018 und dem Inkrafttreten der neuen Verfassung "hat eigentlich der Präsident die Allmacht". Präsident Recep Tayyip Erdogan habe die Wahl mit 52 Prozent gewonnen, wenn auch nicht mehr die parlamentarische Mehrheit - "allerdings spielt das Parlament auch nicht mehr die große Rolle".

Die erhofften Wirtschaftsreformen seien aber bisher ausgeblieben und die türkische Währung habe seit Jahresbeginn 40 Prozent an Wert verloren. Für die türkische Bevölkerung sei die Inflation das große Problem, "das ist ja die Urkrankheit der türkischen Wirtschaft".

Massive Verschuldung der Firmen

Das größte Problem der Wirtschaft sei die hohe Verschuldung der Privatunternehmen. "Die gesamte Verschuldung, die innerhalb eines Jahres zurückzuzahlen ist, also kurzfristig ist, beläuft sich auf ungefähr 180 Milliarden Dollar (158 Mrd. Euro)." Allerdings seien die türkischen Banken seit der Reform im Jahr 2000 sehr solide aufgestellt, sie hätten genügend Eigenkapital und die Privatbanken würden zur Hälfte ausländischen Banken gehören. Der Ausgang der laufenden Umschuldungsgespräche sei ein Fragezeichen, er sei aber "halbwegs optimistisch", so Karabaczek.

Dennoch werde es "eine ziemliche Bereinigung" bei den Unternehmen geben. Für Exporteure in die Türkei bedeuteten die Abwertung und der Anstieg der Schulden, dass es wenig Geld im Markt gebe. "Zahlungsziele von 120 oder 180 Tagen sind normal geworden."

Türkei ist vom Geld von außen abhängig

Ein Kernelement sei neben dem Außenhandelsdefizit, dass die türkische Wirtschaft von ausländischen Direktinvestitionen (FDI) abhängig sei. "Hier haben wir das Problem seit der Wahl, dass keine vertrauensbildenden Maßnahmen getroffen wurden." Zwar spiele auch der Anstieg der Zinsen in den USA eine Rolle, "aber die meisten anderen Elemente dieser Wirtschaftskrise sind hausgemacht".

Das Volumen des Außenhandels zwischen Österreich und der Türkei beträgt rund 3,8 Mrd. Euro und ist ziemlich ausgeglichen. "Die Türkei ist ein Top-20-Markt für die österreichische Wirtschaft." Die österreichischen Unternehmen haben derzeit in der Türkei einen Investitionsbestand von 1,6 Mrd. Euro und etwa 200 Niederlassungen.

Tourismus leidet

Eine wichtige Rolle für die Türkei spiele auch der Tourismus, "aber nicht so, wie alle immer tun", sagte Karabaczek. Der Tourismus habe in den vergangenen Jahren stark gelitten. Heuer sei die Anzahl der österreichischen Türkei-Urlauber zwar auf 330.000 gestiegen, aber die Zahl von 500.000 werde man nicht so leicht wieder erreichen. Insgesamt habe sich eine Verschiebung ergeben und die Türkei habe jetzt mehr Touristen aus dem Nahen Osten, China und Russland und weniger aus dem zahlungskräftigeren Westen. Auch der lukrative Kongress- und Kreuzfahrttourismus sei teilweise weggefallen, "aber wenn es keine Bomben gibt in zwei drei Jahren kommt der wieder".

Erdogan predigt drei bis vier Kinder pro Familie

Wichtig ist für die Türkei auch die demografische Entwicklung. Allein wegen des Bevölkerungswachstums müsste die türkische Wirtschaft um 4 bis 5 Prozent pro Jahr wachsen, sagte Karabaczek. "Deswegen sind 3 Prozent für die Türkei mittelfristig zu wenig." Gestiegen sei die Bevölkerung in der Türkei auch durch die Zuwanderung von 3,5 Millionen Syrern, "die nicht alle in Lagern leben, es sind auch viele wohlhabende Syrer gekommen". Sie seien ein Arbeitskräftepotenzial, über das sich die türkische Industrie gefreut habe. Andererseits seit die Geburtenrate in der Türkei nicht so hoch wie gewünscht. "Erdogan predigt ja drei bis vier Kinder, aber das passiert nicht."

Bildung als eines der größten Probleme der Türkei

Gleichzeitig spüre man die Abwanderung gut ausgebildeter Türken deutlich. "Die Regierung will aus der Türkei einerseits ein neues Korea machen, andererseits werden immer mehr islamische Schulen aufgemacht." Dieser Spagat werde nicht leicht zu schaffen sein. "Bildung ist das allergrößte Problem in den nächsten Jahren und Jahrzehnten."

Dazu komme, dass die Beschäftigungsquote von Frauen, die schon jetzt unter 50 Prozent liege, tendenziell eher abnehme. Das ist eines der Themen, die die Regierung angehen möchte. (APA/red)