Analyse : Tiefe Krise in Bulgarien - Faktor Russland

Im Balkanland Bulgarien herrscht Panik wegen möglicher Bankpleiten und der politischen Krise. Grund für diese Überreaktion sei der Vertrauensmangel der Bürger in die staatlichen Institutionen sowie einer instabilen und "hilflosen" Regierung während des letzten Jahres, beurteilte der Politologe Wladimir Schopow die Situation im Gespräch mit der APA.

Als Auslöser der politischen Spannungen schließt der am "Sofia analytica"-Center tätige Schopow - wie andere Beobachter auch - die Schwierigkeiten rund um die für Russland strategisch wichtige Gaspipeline South Stream nicht aus. Der Bau der Pipeline wurde in Bulgarien vorerst auf Eis gelegt.

Das panische Verhalten der Sparer, ihre Ersparnisse möglichst schnell von den angeblich pleitegehenden Banken abzuheben, zeigt laut Schopow den Vertrauensmangel der Bürger gegenüber den staatlichen Institutionen. Sie verließen sich nicht darauf, dass der Staat sie, ihr Geld oder etwa die Kreditanstalten schützen würde.

Das Misstrauen gegenüber dem eigenen Staat sei in den letzten Wochen immer mehr angewachsen, erklärte Schopow. Aus seiner Sicht gebe es drei mögliche politische Gründe dafür.

Erstens funktioniere die bulgarische Regierung seit den EU-Wahlen im Mai nicht mehr. Die Koalition zwischen den Sozialisten, die eine bittere Niederlage einstecken mussten, und der türkischen Minderheitspartei DPS, die dagegen sehr gut abschnitt, wurde aufgelöst. Die Regierungskrise führt im Oktober zu Neuwahlen.

Zweitens dürfte die Erwartung an die Geldverteilung im Zusammenhang mit dem Bau des russischen Megaprojekts South Stream zu internen Spannungen zwischen den politischen Akteuren geführt haben. Und drittens zeige das "aufs-Eis-legen" des Projekts, dass die Gelder nun auf andere Weise fließen werden, als zunächst erwartet.

Bulgarien stehe laut einer anderen Analyse vor einem außenpolitischen Risiko angesichts Russlands Konfrontationskurs mit der EU und der NATO. Laut der Analyse des Labors für Risikosteuerung verursache "das hohe Maß an Abhängigkeit" bulgarischer Vertreter der politischen und wirtschaftlichen Elite von Russland eine höhere Wahrscheinlichkeit für Instabilität im Land und einer Gefährdung der Demokratie. Als Ergebnis dieser "gefährlichen" Tendenzen listet das Labor die Bankenkrise in Bulgarien und den Zerfall der Regierungskoalition.

Die Bankenkrise und der Zerfall der Regierungskoalition sei ein "Teil eines Puzzles" und spiele sich nicht nur im Land ab, sagte der Politologe Ognjan Mintschew von "Transparency International" dem TV-Sender "Nova". Die derzeitige Situation sei "ein geopolitischer Kampf zwischen Europa, dem Westen und Russland, kein bulgarischer Kampf". Die Bauarbeiten der russischen South-Stream-Pipeline wurden etwa auf Druck von den USA und EU vom sozialistischen Premier Plamen Orescharski auf Eis gelegt. Nach Ansicht Mintschews verfolge Russland die Absicht das Balkanland als "unsicheres Glied der EU" weiter zu destabilisieren.

In den Augen des Politologen Ewgenij Dajnow stelle das Rütteln an den Banken einen erneuten "Putschversuch" dar. Das sei bereits der Zweite seit dem Vorjahr, sagte er unter Verweis auf die Nominierung Deljan Peewski - Abgeordneter der türkischen Minderheitpartei DPS - zum Sicherheitschef und den darauffolgenden Massenprotesten. Dajnow gibt Oligarchen die Schuld für die missliche Situation und ist der Meinung, dass die staatlichen Institutionen sich in Zeiten der Krise als unfähig bewiesen haben. Das Misstrauen vonseiten der Bürger hätte die Regierung somit verschuldet und deshalb verdient.

Die üblicherweise sehr gesprächigen linken Politologen hüllen sich derzeit lieber in Schweigen. Sie konzentrieren sich darauf, dem Sozialistenchef Sergej Stanischew aus seiner schwierigen Lage zu helfen - nach der gewaltigen Niederlage seiner Partei bei den EU-Wahlen.

Der Widerstand in den eigenen Reihen nimmt seither ständig zu; zudem hat die Linke mit zwei alten Komplexen zu kämpfen: Immer, wenn die Sozialisten in den vergangenen Jahrzehnten alleine an der Macht waren, wurden sie durch Massenproteste gestürzt. Die einzige Ausnahme stellte die Regierungszeit zwischen 2005 und 2009 in einer Koalition mit zwei weiteren Parteien. Es wäre es nicht das erste Mal, dass sie Bulgarien in den Staatsbankrott trieben - das gelang ihnen bereits in den Jahren 1991 und 1996.

(Von Kliment Hristov / APA/pm)