Stahlindustrie : Thyssenkrupp und Tata Steel verhandeln gerade über Fusion

Gespräche über einen möglichen Zusammenschluss der europäischen Stahlgeschäfte von Thyssenkrupp und Tata Steel nehmen einem Zeitungsbericht zufolge konkretere Formen an. Die Konzerne spielten auf höchster Ebene verschiedene Szenarien für eine Kombination durch. Das berichtet die deutsche Zeitung "Rheinische Post".

Verhandelt wird über mehrere Optionen

Eine Variante sehe vor, die europäischen Stahlgeschäfte jeweils ihrem Wert entsprechend an einem Joint Venture zu beteiligen und diese Gesellschaft an die Börse zu bringen. Sollte einer der beteiligten Konzerne dann weitere Anteile verkaufen wollen, könne dies über die Börse geschehen. Eine Einigung stehe dem Vernehmen nach aber nicht unmittelbar bevor. Im Gespräch seien auch noch andere Optionen.

Eine Variante für einen Zusammenschluss sieht der "Rheinischen Post" zufolge vor, die europäischen Stahlgeschäfte von Thyssenkrupp und Tata an einem Gemeinschaftsunternehmen zu beteiligen und dieses an die Börse zu bringen. Gewerkschaften und Politik seien in die Gespräche eingebunden. Denkbar sei auch eine Dreierallianz mit Salzgitter.

Angesichts der Krise der Branche und des Verfalls der Stahlpreise wegen Billigimporten gibt es immer wieder Gerüchte über Fusionen großer Konzerne, etwa Thyssenkrupp und Salzgitter. Allerdings betonte zuletzt Heinz Jörg Fuhrmann, der Chef von Salzgitter, ausdrücklich, der Hersteller wolle es aus eigener Kraft schaffen - weder Fusionen noch Zusammenlegungen seien geplant. Diese ablehnende Haltung hat ein Sprecher von Salzgitter heute erneut bestätigt.

Konzernchef Hiesinger: Konsolidierung "ein möglicher Schritt nach vorne"

Thyssenkrupp und Tata Steel Europe wollten sich dem Bericht nach nicht äußern. "Wir haben diese Berichte gegenüber den Medien nicht kommentiert, weil dazu aus unserer Sicht kein Anlass besteht", erklärte Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger in einem Schreiben an die Mitarbeiter, das der Finanznachrichtenagentur dpa-AFX vorliegt.

Der Manager betonte, dass angesichts der weiter schwierigen Lage der Branche eine Konsolidierung der europäischen Stahlindustrie "ein möglicher Schritt nach vorne" sein könne. "Ob, wann und unter Beteiligung welcher Unternehmen es aber zu einer solchen Konsolidierung kommt, ist völlig unklar", betonte Hiesinger. "Wenn es dazu kommt, dann wollen wir bei Thyssenkrupp in der Lage sein, uns aktiv und aus einer Position der Stärke heraus daran zu beteiligen."

Gabriel: "Deutsche Stahl AG" würde Arbeitsplätze in Deutschland streichen

Auch der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) steht einem möglichen Zusammenschluss skeptisch gegenüber. "Ich gebe offen zu: Ich bin kein großer Freund der Idee einer "Deutschen Stahl AG", weil die Konsequenz vermutlich wäre, dass Arbeitsplätze in unserer Industrie wegfallen, obwohl die ineffizienten Stahlwerke im Ausland stehen", sagte Gabriel der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung".

Zum Schutz gegen Billigimporte etwa aus China schlug der SPD-Chef einen "Klima-TÜV" vor. "Nur derjenige darf auf den europäischen Markt, der die Standards einhält, die wir auch in der EU erfüllen", sagte er der "WAZ". Die Welthandelsorganisation habe Möglichkeiten, Zertifizierungen einzuführen, wenn Umwelt, Natur oder Gesundheit gefährdet seien.

Fusion hätte europaweite Auswirkungen

Beobachter deuten die jüngst getätigten Schritte beider Konzerne als Vorbereitung einer Fusion. So hat Tata diese Woche bereits einen Teil seines Geschäfts in Großbritannien an eine Finanzfirma verkauft. Und Thyssenkrupp vor wenigen Tagen sämtliche Anteile am krisengeplagten Standort CSA in Brasilien übernommen. Der weltgrößte Eisenerzkonzern Vale verkaufte den Deutschen seine bis dato gehaltenen Anteile 26,87 Prozent. Wie die "Rheinische Post" berichtet, habe Tata Steel großes Interesse an dem brasilianischen Werk.

Eine derartige Zusammenlegung würde nicht nur den größten deutschen Stahlkonzern von Grund auf verändern, das Geschäft hätte auch Auswirkungen auf die gesamte deutsche Industrie, wie die Zeitung weiter schreibt. "An jedem Stahl-Arbeitsplatz hängen vier bis fünf andere Stellen", sagte dazu Günter Back, Gesamtbetriebsrat von Thyssenkrupp Stahl, anlässlich der deutschlandweiten Demonstrationen gegen Billigimporte. Der IG Metall zufolge beträgt dieser Faktor sogar 6,5. Die Anzahl der Stahlarbeitsplätze in Deutschland beziffert die Gewerkschaft mit etwa 85.000.

Auch europaweit wären die Folgen spürbar: In Großbritannien arbeiten für Tata Steel insgesamt 15.000 Beschäftigte. Dort hat Tata die Werke der früheren British Steel übernommen. Jetzt soll ein Teil davon nach der Übernahme durch eine Finanzfirma wieder den altehrwürdigen Namen "British Steel" tragen, der vor fast zwei Jahrzehnten aus dem Firmenregister verschwand.

Auch in den Niederlanden verfügen die Inder ein großes - und profitables - Stahlwerk in Ijmuiden. Mit sogenannten "Synergien" an all diesen Standorten wäre daher zu rechnen.

(red/reuters/APA)