Stahlindustrie : Thyssenkrupp: "Neue strategische Schritte" - und neue Einschnitte

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© Peter Martens

Der Gewinn bricht weg, die Jahresziele sind außer Reichweite - mit einem verschärften Sanierungskurs versucht Thyssenkrupp-Chef Guido Kerkhoff nun, das Ruder herumzureißen. Für die Aufzugsparte prüft er neben einem Teilbörsengang auch einen Verkauf an Konkurrenten. Und Kerkhoff nimmt weitere Unternehmensbereiche auf die potenzielle Abschussliste. Davon betroffen sind mehr als 9.000 Mitarbeiter.

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"Was es jedenfalls nicht mehr geben wird, ist, dass Geschäfte ohne klare Perspektive dauerhaft Geld verbrennen und damit Wert vernichten, den andere Bereiche erwirtschaftet haben", kündigte der Vorstandschef an. Für Kerkhoff, seit einem Jahr im Amt, geht es auch um seinen eigenen Job. Der Vertrauensverlust bei wichtigen Investoren ist nach mehreren strategischen Kehrtwenden und gesenkten Prognosen groß.

Konzernchef Kerkhoff unter Druck - Mitarbeiter noch viel mehr

"Wir haben einen klaren Plan", betonte der 51-Jährige bei der Vorlage der Zahlen zum dritten Quartal des Geschäftsjahres 2018/19, das im September endet. Die Geschäfte müssten zunächst stabilisiert und dann besser aufgestellt werden. "Die Steigerung der Leistungsfähigkeit hat in allen Geschäftsbereichen Priorität." Zuvor musste er jedoch erneut eine Rolle rückwärts machen. Bereits zum vierten Mal kassierte er einen Ausblick ein. Vor allem das unter hohen Rohstoffkosten ächzende Stahlgeschäft und die nachlassende Nachfrage der wichtigen Autoindustrie hätten die Jahresziele zunichte gemacht. Dies hatten viele Analysten bereits erwartet. Unter dem Strich wird Thyssen ohnehin erneut Verluste schreiben.

Kerkhoff steht unter Druck. Einige Investoren sehen ihn als Vertreter der alten Garde des vor einem Jahr abgetretenen Vorstandschefs Heinrich Hiesinger. Die Gemengelage in dem über 200 Jahre alten Ruhrkonzern ist ohnehin schwierig. Neben den mächtigen Arbeitnehmervertretern und der IG Metall ringen die Großaktionäre wie die Krupp-Stiftung und der schwedische Finanzinvestor Cevian um Einfluss. Der Aufsichtsrat stehe aber weiter hinter der Strategie, betonte Kerkhoff. "Da gibt es nichts Neues."

Prognose für 2019 nicht zu halten

Wie ungern der gebürtige Niedersachse die Rücknahme der Ziele einräumte, wurde deutlich, als er in einer Telefonkonferenz "nur ein paar Takte zur Einordnung unserer Kennzahlen" folgen ließ. "Zunächst: Ja, wir haben unsere Prognose für das laufende Geschäftsjahr 2018/2019 angepasst." Das bereinigte Ebit werde wohl nur noch bei rund 800 Millionen Euro, nach 1,4 Milliarden im Vorjahr, liegen. Zuletzt hatte Kerkhoff 1,1 bis 1,2 Mrd. in Aussicht gestellt. In den ersten neun Monaten fuhr der Konzern 683 Mio. Euro ein - die Hälfte des Vorjahresergebnisses. Es gebe aber durchaus positive Entwicklungen, betonte Kerkhoff. Auftragseingang und Umsatz seien gestiegen. Die Aufzugssparte habe ihre Marge verbessert und die Problemtochter Industrial Solutions ihr Geschäft mit dem Bau von Chemieanlagen.

Angesicht der leeren Kassen will Kerkhoff Teile der Aufzugssparte versilbern. "Wir bereiten den Börsengang für Elevator vor, prüfen aber auch die vorliegenden Interessenbekundungen potenzieller Interessenten." Mit der Sparte, deren Wert auf bis zu 14 Mrd. Euro geschätzt wird, liebäugeln nach Reuters-Informationen Konkurrenten wie Kone, aber auch Finanzinvestoren wie KKR, Advent oder CVC. Das Aufzugsgeschäft war in den ersten neun Monaten mit einem stabilen Gewinn von 642 Mio. Euro ein Lichtblick im Konzern. Das Stahlgeschäft, das Kerkhoff vergeblich in ein Joint Venture mit Tata Steel bringen wollte, brach von zuvor 586 auf 77 Mio. Euro ein.

Erste Zustimmung von der Börse

"Die Steigerung der Leistungsfähigkeit hat in allen Geschäftsbereichen Priorität", kündigte Kerkhoff an. Mehrere Geschäfte wie etwa die mit Federn und Stabilisatoren für die Autoindustrie oder mit Grobblechen für die Bauindustrie würden auf den Prüfstand gestellt und gegebenenfalls abgestoßen. "Alle Optionen sind offen." In den drei Bereichen beschäftigt Thyssenkrupp insgesamt rund 9.300 Mitarbeiter. Klar ist bereits, dass das Traditionsunternehmen 6.000 der rund 160.000 Jobs streichen will, davon bis zu 2.000 im Stahl. Auch die Kosten, insbesondere in der Verwaltung, sollen deutlich sinken.

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Die seit Monaten unter Schwindsucht leidende Aktie legte zeitweise mehr als drei Prozent auf 10,85 Euro zu - notierte damit allerdings immer noch in der Nähe ihres tiefsten Stands seit 16 Jahren. Vom Markt kam insgesamt Zustimmung. Die neue Strategie sei die erste, die den strukturellen Defiziten des Konzerns begegnen könne, schrieb Kepler-Cheuvreux-Branchenexperte Rochus Brauneiser. Der Börsengang der Aufzugssparte sei ein historischer Meilenstein, der den Weg ebnen könne, den Konzern komplett neu aufzustellen. (reuters/apa/red)

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