Semperit wird umgekrempelt : Thomas Fahnemann: Mister 100 Prozent

Thomas Fahnemann Semperit
© Waldner

Maschinen fürs schmale Budget. Nach ihnen lechzten im Vorjahr viele. Neugerät mit kleinem Preistaferl lässt sich derzeit besser beim Chef durchargumentieren als eine monströse Kapitalanlage. Im Westen Wiens ließen sich deshalb gute Geschäfte machen: Seit dem Vorjahr vertreibt die precisa CNC-Werkzeugmaschinen in Österreich drei- und fünfachsige Bearbeitungszentren der Marke Quaser.

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Die Neuzugänge aus Taiwan (ab 70.000 Euro) sind preislich attraktiver, aber kaum weniger untadelig als etwa Yen-belastete Maschinen aus Japan. Eine Botschaft, die von der Industrie gehört wurde: Drei Quaser-Maschinen konnte precisa-Chef Anton Köller in kurzer Zeit an den Mann bringen. "Kein schlechter Start", wie Köller findet. Doch zum Jahreswechsel überraschte ihn sein taiwanesischer Maschinenpartner mit einer unangenehmen Nachricht. Eine Kurskorrektur sei nötig, hieß es sachlich: "Maschinen würden ab sofort um bis zu 10.000 Euro teurer", gibt Köller den Lagebericht seines Geschäftspartners wieder.

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*(Dieser Artikel der Jubiläumsserie 30 Jahre INDUSTRIEMAGAZIN erschien in der Ausgabe vom Februar 2000.)

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- © Industriemagazin

Preisanstieg in der CNC-Maschinenbranche

Ursache? "Der Einsatz einer anderen Steuerungsserie", wurde argumentiert. Ein empfindlicher Preisanstieg im unteren Maschinensegment, der Käufer verschrecken könnte. "Die neuen Sicherheitsnormen ließen aber keine Wahl", beteuerte die europäische Quaser-Niederlassung. Normendickicht. Um im Normen- und Verordnungsdickicht den Durchblick zu behalten, ist nicht selten kriminalistischer Eifer gefragt. Lange war die EN954-1 aus 1996 in aller Munde. Sie gab für sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen den Weg vor. Definierte sie doch den strukturellen Aufbau von Steuerungssystemen. Doch per 31.12.2011 lief sie endgültig aus. Nun sind zwei Folgenormen zu verwenden. Für elektrische, elektronische undanwenderprogrammierbare Sicherheitsfunktionen die EN IEC 62061.

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Für elektrische, hydraulische, pneumatische und einfach programmierbare Sicherheitsfunktionen die EN ISO 13849-1. Letztere birgt Sprengstoff. Einerseits ergibt sich für Maschinen- und Anlagenbauer daraus nicht unerheblicher Mehraufwand durch neue Prüfkapitel. Und auch aus einem anderen Grund bringt sie Werkzeugmaschinenbauer und Maschinenhändler wie Anton Köller in die Bredouille. Bisher lieferte Köller Quaser-Maschinen mit einer Fanuc-Steuerung der Serie 16i aus. Schon länger überwacht die Steuerung die Maschinen zweikanalig. Dabei werden im Millisekundenbereich Positionen und Geschwindigkeiten von Achsen und Spindeln gemessen. Bei den gut eingeführten Fanuc-Steuerungsserien – also auch der 16i – erfolgte dieser Messmarathon unter dem Schlagwort "Dual Check Safety".

Aktuelle Ist-Geschwindigkeiten und Ist-Positionen bewegter Maschinenteile – etwa Achsen und Spindeln – werden dabei mit den Geschwindigkeits- und Positionsdaten aus den Sicherheitsparametern verglichen. Wichtig ist die Redundanz: Zwei getrennte Prozessoren prüfen die jeweiligen Daten "gegeneinander". Droht Gefahr, schaltet die Steuerung schnell: Es kommt zu einem „Not-Aus“. Sprachbarriere. Doch die liebgewonnene 16i bekommt precisa CNC-Werkzeugmaschinen-Chef Anton Köller nicht mehr – „die Serie läuft aus", heißt es bei Fanuc FA Deutschland knapp. Der Wiener Händler müsse wegen der Norm nun zur – viel leistungsstärkeren – 31i greifen, hat ihm Quaser verständlich gemacht. Und so argumentieren die Taiwanesen auch Mehrkosten von 10.000 Euro pro Maschine durch.

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Die erschwinglichere Fanuc-Steuerung 0-MC sei nur bei „allereinfachsten Anwendungen eine Alternative“, weiß Köller. Stellt sich die Frage: Warum schicken die Japaner die – bestens eingeführte – 16i aufs Altenteil? "Mit den Serien 30i/31i/32i haben wir die Sicherheitsfunktion (Dual Check Safety, Anm.) flexibler ausgerichtet und zusätzlich die Inbetriebnahme vereinfacht", erklärt Edgar Weiter, Fanuc-Spezialist für Sicherheitstechnik. Seinem Schweizer Kollegen, René Scherz, entlockt man schon mehr: Fanuc hätte früh begonnen, "mit Redundanz auf die Normensituation Rücksicht zu nehmen", erzählt der Vertriebler.

Semperit Aktiengesellschaft Holding.

- © Semperit

Neue Sicherheitsanforderungen in der CNC-Industrie:

Doch mit der bisherigen Sicherheitsfunktion spielte man offenbar nicht in der Oberliga. „Zwei Programmiersprachen mussten beherrscht werden – eine Riesenarbeit kam also auf den Anwender zui", sagt Scherz. Und er übertreibt nicht: In der Schweiz wurden ältere Steuerungen deshalb beim Kunden fast flächendeckend durch solche „mit neuer Sicherheitsfunktion ersetzt“. Standardsprache.Dass eine einfachere Sicherheitsprogrammierung der 16 ein längeres Leben beschert hätte, hält Scherz "für möglich". Anton Köller, Chef der precisa CNC-Werkzeugmaschinen, wäre dann vielleicht leichter ums Herz. Einen Mehrpreis von 10.000 Euro muss er dem Kunden im hart umkämpften Billigsegment erst einmal erklären. Auch wenn die 31i nun sicherheitstechnisch mit einer Standardsprache beherrschbar sei, wie es bei Fanuc lobend heißt. „Jede Achse und Spindel lässt sich separat programmieren", sagt Fanuc-Mann Edgar Weiter. Auch die Maschinenhersteller – in dem Fall Quaser – haben aber zu schlucken: Maschinenbauer müssen seit dem Jahreswechsel mit den Mitteln der Wahrscheinlichkeitsrechnung "die sicherheitstechnische Eignung der Sicherheitsfunktionen von Maschinen – durch Fehlerraten und Ausfallswahrscheinlichkeiten – nachweisen", weiß Gerhard Stockhammer, Abteilungsleiter Services beim Automatisierungstechniker Pilz. Kein Honiglecken – und für viele auch nicht nachvollziehbar: "Drei Viertel der Unfälle haben nicht-technische Ursachen", weiß Heinrich Mödden, Experte für Maschinensicherheit beim Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken. Daniel Pohselt

Interview: Thomas Fahnemann über Wachstumsstrategien und interne Veränderungen

INDUSTRIEMAGAZIN: Sie sind Mitte letzten Jahres mit einem ambitionierten Ziel angetreten: Hundert Prozent Absatzplus in der Medizinsparte, also der Produktion von medizinischen Handschuhen – und ein zumindest zweistelliges Wachstum in der Industriesparte, dem Geschäft mit Spezialschläuchen, Förderbändern und Profilen. Wo sind Sie am Weg dorthin?

Thomas Fahnemann: Wir haben Anfang letzten Jahres eine Strategie erarbeitet und gesehen, dass wir in den Bereichen, in denen wir tätig sind, das Wachstum der letzten 20Jahre durchaus beschleunigen können. Und das sind wir angegangen: Im Medizinbereich haben wir daher unsere Kapazitäten in Thailand ausgebaut und zu den bestehenden dreiAnlagen eine neue angefahren, die mittlerweile im Betrieb ist und 2012 weiter ausgebaut wird. Die fünfte Anlage ist im Bau. Im Industriebereich haben wir bestehende Werke in Thailand, Schanghai, Tschechien und Indien ausgebaut. Diese Kapazitäten werden heuer sukzessive zur Verfügung stehen. Wir sind also auf einem guten Weg …

IM: Wo kommt dieses Wachstumspotenzial her – oder anders gefragt, warum hat dies ihr Vorgänger nicht getan?

Fahnemann: Es ist ja nicht so, dass die Semperit in der Vergangenheit stagniert hätte. Im Gegenteil. Was wir gemacht haben, ist, die Märkte sehr sauber zu analysieren. Wir weichen insoferne von den Gepflogenheiten der Vergangenheit ab, als wir jetzt schnellerund fokussierter in spezifischen Bereichen wachsen wollen.

IM: Werden Sie deshalb von Analysten als der erste Semperit-Vorstand gelobt, der eineWachstumsstrategie vorlegt?

Fahnemann: Werde ich das …?

IM: Ja, etwa im Research-Bericht der Erste Bank von Mitte 2011 …

Fahnemann: Der Unterschied zu früher ist möglicherweise der, dass wir heute transparenter agieren und kommunizieren.

IM: Sie möchten sich zu einem „globalen Unternehmen“ entwickeln. Worin liegt da der Unterschied zu früher?

Fahnemann: Natürlich in der Präsenz in den Märkten, aber auch in der internationalen Zusammensetzung unserer Mitarbeiter. Wir haben Teile des Einkaufes nach Singapur verlagert, weil dort die Kautschukmärkte sind. Damit hat sich unsere Informationsqualität in diesem Bereich enorm verbessert. Wir haben in den vergangenen Monaten auch Büros in Schanghai und Brasilien eröffnet – wie in Singapur auch hier mit lokalen Mitarbeitern. Wir sind damit weitaus näher am Kunden. Man muss vor Ort sein – mit Brasilianern, mit Chinesen – ansonsten ist das enorm schwierig. Das Positive an unserer Wachstumsstrategie: Wir können damit enormes Potenzial heben, ohne große Experimente mit neuen Produkten machen zu müssen.

IM: Diese Neuaufstellung erfordert auch interne Maßnahmen. Sie haben, so hört man, die interne Organisation völlig gedreht …

Fahnemann: Das ist richtig. Wir haben – und das klingt im ersten Moment vielleicht etwas befremdlich – zentralisiert. Das Unternehmen war bislang sehr stark auf Legal Entities fokussiert. Man hat die lokalen Geschäftsführer ihr Geschäft machen lassen, solange die Zahlen gestimmt haben.

IM: Entscheidet jetzt der Chef in Wien über den Output in Thailand?

Fahnemann: Wir haben Geschäftsbereiche etabliert, mit verantwortlichen Geschäftsbereichsleitern, die für das Ergebnis des Geschäftsbereiches verantwortlich sind. Auf der einen Seite der Sektor Medizin – Politik und Strategie werden von Wien aus gemacht, weil das schon globale Geschäfte sind. Im Sektor Industrie, dem zweiten Geschäftsbereich, erfolgt die Steuerung aus Wien heraus. Wir haben zwar Werke in China, in Thailand und in Tschechien, aber der Leiter hier entscheidet, wer was produziert und in welche Märkte das geht.

IM: Was hat das für die lokalen Kaiser bedeutet?

Fahnemann: Das ist für die natürlich nicht ganz einfach. Es bedarf eines gewissen Fingerspitzengefühls.

IM: Aber eines ist klar: Es muss in Zukunft eine klare Steuerung der Geschäfte aus der Zentrale geben, wir müssen die Gesamteinheit im Blick haben. Denn die Summe des Besten aller Teileinheiten muss nicht immer das Beste für die Gesamteinheit sein.

Fahneman: "Kein Schock. Eher ein Wandel." Das Zurückholen von Kompetenzen in die Zentrale bedeutet natürlich einen enormen Bedarf an Wissensaufbau in der Zentrale.

IM: Ist das der Hintergrund für die regen Personalaktivitäten der Semperit?

Fahnemann: Wir investieren heute etwas mehr in Personal als früher, das ist richtig. Der Wettbewerb um Talente ist möglicherweise zuletzt zu kurz gekommen, wenn wir unser geplantes Wachstum begleiten wollen, müssen wir da mehr tun. Wir haben Personalprojekte aufgesetzt, um Menschen ans Unternehmen zu binden und neuen Mitarbeitern Semperit attraktiv zu machen. Aber das ist sehr nachhaltig. Letztendlich können Maschinen schnell ersetzt werden. Gute Leute nicht. Alleine in den letzten Monaten sind in Österreich in der Semperit 70 Mitarbeiter neu eingestellt worden.

IM: Bastelt sich Thomas Fahnemann einen neuen Mittelbau?

Fahnemann: Der Eindruck mag ein wenig täuschen, auch weil Semperit Personalagenden in der Vergangenheit nicht kommuniziert hat. Ich will das gar nicht werten, aber wir haben eben auch einen neuen Ansatz. Hinzu kommt, dass wir mit dem Wechsel an der Spitze einen Generationswechsel im Haus hatten. Ein paar Personen standen vor der Pensionierung. Neu geschaffen wurden nur einige wenige neue Positionen, wie etwa im Bereich Personalentwicklung, Talentförderung, der Rest war normale Fluktuation. Der Eindruck, hier hätte es die große Revolution gegeben nach dem Motto „alte Mitarbeiter raus, neue rein“, ist falsch. Stichwort Flexibilisierung: Sie fordern von Ihren Mitarbeitern mehr Bereitschaft, in Zeitengeringer Auslastung ihre Zeitkonten abzubauen.

IM: Wie kommen Sie damit voran?

Fahnemann: In den letzten Jahren hat die Visibilität enorm abgenommen. Konnte manbisher mit ein, zwei Jahren guter Konjunktur rechnen, dem eines mit moderater Konjunktur folgte, so ändern sich Auftragslagen heute plötzlich, abrupt und ohne Vorwarnung dramatisch. Darauf müssen wir reagieren können. Wir sind daher mit den Betriebsräten in ständiger Diskussion: Wir brauchen noch flexiblere Modelle. Ich verstehe, dass das für die Mitarbeiter schwierig ist.

IM: Was bedeutet das für die österreichischen Semperit-Mitarbeiter?

Fahnemann: Wir versuchen, dies auch in Österreich weiter auszubauen. Etwa mit sehr flexiblen Zeitkonten – die neben einem Abbau von Überstunden in einem Quartal sogar negative Zeiten erlauben. Das Unternehmen Semperit ist über 20 Jahre von einem der erfolgreichsten Manager des Landes geleitet worden.

IM: Rainer Zellner hat das Unternehmen in den 90ern saniert, seither jedes Jahr Rekordergebnisse eingefahren – soll aber, wie man hört, auch rigoros auf der Kostenbremse gestanden sein …

Fahnemann: Das ist selbstverständlich. Immerhin produzieren wir hier Commodities, also Produkte, die relativ austauschbar und daher preissensibel sind …

IM: Es gibt auch Stimmen, die behaupten, der Sparkurs sei im Hinblick auf die Qualität oftmals auch überzogen worden. Teilen Sie diese Meinung?

Fahnemann: Ich bin sicher, das Unternehmen wäre ohne diese Kostenprogramme nicht da, wo es heute ist. Aber ich glaube, es geht jetzt auch darum, mittels Kunden- und Serviceorientierung strategische Adaptierungen herbeizuführen. Wir haben in den letzten Monaten nach einigen Jahren wieder eine Kundenbefragung durchgeführt. Eine sehr intensive. Und wir haben gefragt: Was wollen unsere Kunden eigentlich? Wo können wir besser werden? Denn was ist entscheidend im Commoditygeschäft? Sie brauchen zufriedene Kunden und wir brauchen Marktanteile.

IM: Während Ihr Vorgänger, Herr Zellner, als Sanierer gilt, werden Sie – zuletzt von der deutschen Tageszeitung Handelsblatt – als „Gestalter“ tituliert. Können Sie mit diesem Attribut leben?

Fahnemann: Ich kenne Herrn Zellner gut und ich würde ihn keineswegs in die Ecke des Sanierers stellen. Er war ebenso ein Gestalter. Aber natürlich sind wir sehr unterschiedlich. Was ich von ihm übernommen habe, ist eine grundsolide, finanzstarke Firma mit einer großen Cashposition, was natürlich eine hervorragende Ausgangsposition für meine Aufgaben ist. Jetzt geht es auf der einen Seite darum, zu sagen, wir müssen unsere Kostenführerschaft behalten – aber wir müssen auch in die Zukunft investieren. Und dem Unternehmen das Wachstum ermöglichen.

IM: Das ist nicht ganz einfach, weil das auch ein großes Kulturthema ist. Erlebt das Unternehmen nach 20 Jahren unter dem gleichen Vorstandsvorsitzenden derzeit einen Kulturschock?

Fahnemann: Ich bin der Falsche, das zu fragen. Ich würde es nicht als Schock sehen. Es ist ein Wandel. Wir machen ganz neue Dinge. Von Mitarbeitergesprächen bis zu Zielvereinbarungen. Wir fahren eigentlich ein relativ bewährtes Programm. Das mag für den einen oder anderen ein Schock sein – und neu.

IM: Wird es verlangt, mitgetragen?

Fahnemann: Was ich sagen kann, ist, dass die Kultur hier eine ist, die sehr offen ist. Wirsind sehr ehrlich miteinander. Es gibt natürlich Leute, die sehr schnell aufgesprungen sind, es gibt welche, die brauchen länger.

IM: Aber Widerstand erlebe ich hier keinen. Wie versuchen Sie, diese Kulturänderung herbeizuführen?

Fahnemann: Wir haben über 8000 Mitarbeiter, die meisten davon außerhalb von Österreich. Ich sitze in diesem Büro. Das heißt, ich – und mein Management – muss viel kommunizieren. Wir haben im Vorjahr zum Beispiel so genannte Town Hall Meetings eingeführt. Das sind regelmäßige Mitarbeiterveranstaltungen, bei denen jeder aufgerufen ist, Fragen zu stellen und seine Meinung zu äußern. Das ist wichtig. Denn jeder Mitarbeiter muss verstehen, in welche Richtung sich das Unternehmen entwickelt. Wenn wir eine Anlage in Thailand bauen, dann muss man auch in Wimpassing verstehen, warum – und was wir damit wollen. Wenn wir von den Mitarbeitern noch mehr Flexibilität bei den Zeitkonten fordern, müssen sie den Hintergrund – nämlich dramatisch abnehmende Planungshorizonte – kennen.

IM: Wie ist der Response der Mitarbeiter auf die Meetings?

Fahnemann: Anfangs habe ich diese Town Hall Meetings alleine gemacht und habe bemerkt, dass sich sehr viele noch daran gewöhnen müssen, dass sie Fragen stellen können. Das ist ganz normal. Aus der Erfahrung weiß ich, das braucht ein, eineinhalb Jahre – um diese Offenheit und Transparenz nicht nur nach außen, sondern auch nach innen zu leben. Ich würde das – im Hinblick auf Ihre Frage von vorhin – nicht als Schock bezeichnen, sondern vielleicht als Verwunderung. Das Schöne ist, dass wir – wir haben das jetzt das dritte Mal gemacht – schon bemerken, dass auch kritische Nachfragen kommen. Das ist wichtig: Denn daraus lernen nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch wir.

IM: Bereitet Ihnen eigentlich die Tatsache, dass Ihr Vorgänger jedes Jahr – selbst im Krisenjahr 2009 – einen höheren Gewinn präsentierte, schlaflose Nächte?

Fahnemann: Nein. Mein Anspruch ist nicht, jedes Quartal ein besseres Ergebnis zu haben als im Vorquartal. Ich sage nicht, dass mich das nicht interessiert. Ich schaue natürlich jeden Morgen auf die Umsätze. Was mich allerdings wirklich treibt, ist Nachhaltigkeit. Ich möchte Semperit in vier Jahren deutlich besser, größer und nachhaltiger aufgestellt haben als sie das jetzt ist.

IM: Wie, wenn nicht über den Jahresgewinn, kann denn so etwas gemessen werden?

Fahnemann: Ich erwarte von meinen Mitarbeitern, immer ein bisschen besser zu sein als der entsprechende Kollege vom Mitbewerb. Wir haben daher quartalsmäßig Peervergleiche auf allen Managementebenen eingeführt. Denn wenn wir ein bisschen bessere Verfahren, ein bisschen bessere Produkte haben – und wir reden hier ja immer nur von zwei, drei Prozent –, dann sind wir am richtigen Weg.

IM: Abschlussfrage: Wie sehen Sie denn die konjunkturellen Rahmenbedingungen für das laufende Jahr?

Fahnemann: (lacht) Fragen Sie mich lieber nach der Vorschau für die nächsten drei Jahre. Aber im Ernst: Im Medizinbereich sind wir mit der Menge durchaus zufrieden. Was uns natürlich Sorgen macht, sind die volatilen Rohstoffmärkte. Der Preis für unseren Hauptrohstoff hat sich von Januar bis Juli letzten Jahres verdoppelt. Zu Jahresende ist er um 25 Prozent gesunken, jetzt zieht er wieder an. Bei einer Materialkomponente von 60 bis 65 Prozent hat man bei solchen Preisverdopplungen natürlich schwer zu schlucken. Auf der Industrieseite ist der Bedarf ebenso zufriedenstellend – aber, wie erwähnt, viel kurzfristiger. Hatten wir vor einem Jahr noch Auftragsbestände von einem halben Jahr, sind es jetzt nur noch wenige Wochen. Es gibt zwar keinen Grund, anzunehmen, dass es schlechter würde, aber die Visibilität hat enorm abgenommen. Semperit AG Die Semperit Gruppe produziert in 21 Werken weltweit medizinische Handschuhe (Sektor Medizin, rund 50 Prozent vom Gesamtumsatz) sowie Spezialschläuche, Förderbänder und Profile (Sektor Industrie). Insgesamt beschäftigt das Unternehmen 8.480 Mitarbeiter, 710 davon in Österreich. In den ersten drei Quartalen 2011 erzielte der Konzern einen Umsatz von rund 626 Millionen Euro, nach 519 Millionen Euro im Vergleichszeitraum 2010.