Meinung : Tausche Frieden gegen DSGVO

Ein durchschnittlicher Oktobermorgen, ein durchschnittliches Ö1-Frühjournal. Mit zwei Meldungen aus der schönen Welt der europäischen Gesetzgebung. Künftig muss an Tankstellen Benzin mit Kreisen und Diesel mit Vierecken gekennzeichnet sein. Die Tankdeckel von neuen Autos müssen ebenfalls so ein Symbol tragen. Wenn dann beide wie bei einem Steckspiel für Kleinkinder zusammenpassen, weiß man, dass man richtig tankt. So wird künftig verhindert, dass der im Ausland intellektuell überforderte EU-Bürger Benzin statt Gazole in seinen demnächst verbotenen Dieselgolf füllt.

Da denkt man sich doch als umsorgter Bewohner dieses Erdteils: wunderbar, wie sich das europäische Parlament mit solcher Symbolpolitik um mein Lebenswohl sorgt.

Die zweite Nachricht rührt fast noch mehr: Wiener Wohnen entfernt über 220.000 Namenschilder von den Gegensprechanlagen der Gemeindebauten, weil der Name auf dem Klingelschild gegen das Recht der Bürger auf den Schutz ihrer Daten verstößt. So sieht es zumindest die mit der Prüfung auf DSGVO-Konformität betraute Magistratsabteilung. Wo künftig der Postler läuten soll - und ob hier der österreichische Amtsschimmel besonders laut wiehert oder ob den Betreibern tatsächlich juristischer Unbill - droht, weiß man nicht. Das Datenschutzwerk ist so wundersam ausgestaltet, dass minimale Rechtssicherheit maximalen Strafen gegenübersteht.

Ich gehöre zu jener Generation, die noch die leidenschaftliche – und damals wirklich noch ergebnisoffene - Diskussion zwischen Bürgern vor dem EU-Beitritt miterlebt hat. Und ich habe mich mit Verve daran beteiligt, weil ich es als junger Mensch für sehr wichtig empfand, dass Österreich Teil dieses großen europäischen Projektes wird. Das empfinde ich auch heute als nicht mehr so junger Mensch noch mit tiefer Überzeugung. Aber es wird immer schwieriger, diese Ansicht zu verteidigen. Jede Diskussion außerhalb der eigenen Gesinnungsblase führt irgendwann zur Kapitulation. Staubsaugerleistungsobergrenze, Allergenkennzeichnung, Glühlampenverbot – die EU-Kommission hat wirklich nichts ausgelassen, damit die Bevölkerung die große europäische Idee für eine Schnapsidee hält. Spätestens beim Thema DSGVO muss man argumentativ die Segel streichen. Denn dann kann es der mit Dämlichkeiten aus dem Richtlinienschatz aufgerüstete EU-Gegner so richtig krachen lassen. Leider zu Recht. Es bleibt irgendwann nur mehr ein Argument übrig: ja, aber der Frieden. Den haben wir in der EU seit dem zweiten Weltkrieg. Den Frieden gäbe es ohne Union wahrscheinlich nicht, ebenso wie die Datenschutzgrundverordnung. Die wunderbare österreichische Journalistin Ingrid|Brodnig hat in einem Interview am Rande unseres diesjährigen Industriekongresses auf die Frage, warum die EU sich plötzlich so im Digitalen engagiert, eine überraschende Antwort gegeben: vielleicht, weil sie im Netz relativ sicher sein kann, weiter zu kommen, während sie auf anderen wichtigen Politikfeldern regelmäßig am Nationaldünkel der Mitgliedsstaaten scheitert. Nur leider scheitert sie hier dafür an der Lebensrealität ihrer Einwohner.]

Vielleicht sind das größte Problem der EU nicht die italienischen Staatsfinanzen, die fehlenden Perspektiven in der Steuergebarung oder die planlose Migrationspolitik. Die größte Schwachstelle dieser Union ist, dass sie fast nur mehr bei ihren Gegnern Leidenschaft hervorzurufen vermag. Vor kurzem diskutierten die Präsidenten von Österreich, Deutschland und der Slowakei auf der WU darüber, dass die EU die Herzen der Bürger erreichen müsse. Daran ist viel Wahres. Auf irgendein Weichteil zielt die Europäische Union zweifelsohne auch heute schon. Leider sind es nur all zu oft die Nieren, die sie trifft.

https://youtu.be/GC_oIsqV0gY Video: Ingrid Brodnig am Rande des Industriekongresses 2018 über Digitales und das Engagement der EU.