Hintergrund : Tata Steel gibt Großbritannien auf

Die Stahlbranche steht angesichts der zunehmenden Billigkonkurrenz aus China vor größeren Umwälzungen: Wie hier berichtet hat der indische Konzern Tata Steel vergangene Woche angekündigt, sich vollständig aus Großbritannien zurückziehen zu wollen. Tata Steel ist einer der zehn größten Stahlhersteller der Welt und zumindest heute auch der größte Stahlproduzent in Großbritannien. Obwohl mit dem angekündigten Schritt tausende Arbeitsplätze auf der Insel gefährdet sind, löste dies am Aktienmarkt sogleich Fusionsfantasien aus.

Finanzielle Situation deutlich verschlechtert

Tata will also nach knapp zehn Jahren sein Geschäft in Großbritannien wieder verkaufen. Die finanzielle Situation der Tochter habe sich in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert und Besserung sei nicht in Sicht, erläuterte der Konzern seine Entscheidung. Hohe Fertigungskosten, ein schwacher Markt und zunehmende Billigkonkurrenz aus China setzten dem größten Stahlproduzenten in Großbritannien zu.

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Neben dem Preisdruck durch die chinesischen Importe kämpft die Branche in Großbritannien zudem mit hohen Energiekosten und Umweltsteuern. Allein im vergangenen Jahr gingen deshalb bereits tausende Arbeitsplätze verloren. Tata beschäftigt dort noch 15.000 Arbeiter.

Die Regierung und Behörden in Wales, dem Sitz des größten Werkes von Tata auf der Insel, kündigten an, alle Optionen zu prüfen. Ein ordnungsgemäßer Verkaufsprozess habe Vorrang, sagte die für den Mittelstand zuständige Ministerin, Anna Soubry. Möglicherweise könne der Staat jedoch einspringen, bis ein Käufer gefunden sei.

Thyssenkrupp im Zentrum der Fusionsfantasien

Die Analysten der Berenberg Bank brachten bereits eine Kombination von Tata Steel und Thyssen ins Gespräch. Die Aktien von ThyssenKrupp legten zur Wochenmitte um sieben Prozent zu. Die Papiere von Weltmarktführer ArcelorMittal zogen um vier Prozent an. Salzgitter-Scheine verteuerten sich um mehr als fünf Prozent.

In Deutschland sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel der Branche Unterstützung zu. "Überkapazitäten im Stahlsektor Chinas dürfen nicht zulasten der EU-Hersteller gehen", erklärte sein Ministerium. Es müssten weltweit gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen herrschen. Auf EU-Ebene konnten sich die Länder trotz der Krise aber bisher nicht auf zügige Maßnahmen zur Eindämmung der immer billiger werdenden Stahl-Einfuhren aus China einigen.

Das könnte auch den Befürwortern eines britischen Austritts aus der EU in die Hände spielen. Sie machen Brüssel dafür verantwortlich, dass die Regierung in London nicht mehr Maßnahmen zum Schutz der Industrie, die einst das Herz der britischen Wirtschaft war, eingeleitet hat.

Druck auf vermeintliche Freunde der Industrie bei den Konservativen

Kurz vor dem Referendum über den Verbleib von Großbritannien in der EU im Juni verstärkt der Rückzug von Tata zudem den Druck auf Premierminister David Cameron selbst. Seine Regierung hat sich für stärkere Bindungen mit China starkmacht. Zugleich werfen die Wähler in den Hochburgen der Stahlindustrie den Konservativen weiterhin vor, den Niedergang der Branche unter Margaret Thatcher in den 1980er-Jahren eingeläutet zu haben. (reuters/apa/red)