Elektroindustrie : Studie: Smart Meter messen dumm

Viele der neuen digitalen Stromzähler, die auch in Österreich sukzessive die alten Geräte ersetzen, messen laut einem Bericht des "Spiegel" viel zu hohe Verbrauchswerte. Diesen Verdacht lege eine Studie der Universität Twente in den Niederlanden nahe. Österreichs Netzbetreiber kennen das Problem.

Die niederländischen Wissenschafter überprüften neun handelsübliche "Smart Meter", die zwischen 2004 und 2014 hergestellt wurden. Mehr als die Hälfte der Zähler wiesen Werte aus, die weit über dem tatsächlichen Verbrauch lagen, teilweise um bis zu 582 Prozent, berichtet das deutsche Nachrichtenmagazin.

Grund für die hohen Abweichungen sei die zunehmende Anzahl von Stromspargeräten in den Haushalten, so die Studie. Sie folgten bei der Stromaufnahme nicht mehr der bisher üblichen Wellenbewegung, sondern einem "abrupterem Muster". Darauf seien die beanstandeten Zähler jedoch nur unzureichend vorbereitet und lieferten somit fehlerhafte Werte, so das Ergebnis der Versuchsreihen.

Die größten Abweichungen habe es gegeben, wenn die Haushalte Lichtdimmer hatten und gleichzeitig Energiespar- oder LED-Birnen verwendeten.

Die heimische Energiebranche kennt das Problem

Das Problem In den Niederlanden haben Verbraucherschützer und Netzbetreiber bereits reagiert. Sie fordern, dass die Geräte flächendeckend überprüft und gegebenenfalls ausgetauscht werden.

In Österreich ist das Problem den Netzbetreibern und Herstellerfirmen bekannt, wie Ernst Brandstetter vom Branchenverband Oesterreichs Energie auf APA-Anfrage sagte. Sollten Störungen auftauchen, könnte man jedenfalls rasch reagieren. Bisher habe es in Österreich noch keine falschen Messungen gegeben.

Das erste Mal wurde das Problem im Zusammenhang mit einer technologisch minderwertigen Weihnachtsbeleuchtung bemerkt, so Brandstetter. Dies war aber nicht in Österreich.

Der niederländische Professor Frank Leferink rät Konsumenten jedenfalls, ihren Verbrauch zu kontrollieren und sich bei Verdacht an den Stromversorger zu wenden.

Rollout der Smart Meter: Musterknabe Österreich

Die EU schreibt vor, dass bis 2020 80 Prozent aller Stromzähler durch "Smart Meter" ersetzt werden. Österreich hat einen noch ambitionierteren Fahrplan, der aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht eingehalten werden kann. Laut derzeitigem Plan sollen bis 2019 95 Prozent der insgesamt 5,5 Millionen Zähler getauscht sein, derzeit sind es aber erst zehn Prozent.

Die Gesamtkosten der umstrittenen Einführung in Österreich beziffert die EVN laut einem Bericht der "Presse" mit etwa einer Milliarde Euro.

Der E-Wirtschaft geht das zu schnell. Momentan laufen Gespräche zwischen Versorgern, Regulator E-Control und Wirtschaftsministerium. "Das EU-Ziel von 80 Prozent bis 2020 werden wir aber schaffen", so Brandstetter.

Deutschland: Starke Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Zähler

Nach zahlreichen kritischen Stellungnahmen in der Öffentlichkeit macht es Deutschland ganz anders. Offiziell soll erst 2017 die Einführung der neuen Stromzähler starten - nur bei Großkunden. Bis etwa 2023 sollen die Smart Meter dann flächendeckend in Haushalten eingebaut sein. Verbraucherschützer plädieren regelmäßig dafür, den breiten Rollout zu überprüfen - und äußern Zweifel daran, dass die Stromversorgung davon profitieren werde.

Deutsche Verbraucherzentralen haben wiederholt scharfe Kritik an der Einführung der "schlauen" Zähler geübt. So veröffentlichte der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) Ende Februar ein Positionspapier, in dem der Verband "die unzureichenden Rechte des Verbrauchers an seinen eigenen Verbrauchsdaten" stark kritisiert.

"Marktversagen"

Angesichts "der Verhandlungsmacht der Submetering-Dienstleister (...) sowie der Marktkonzentration im Bereich Submetering kann von Marktversagen und damit einhergehenden zu hohen Verbraucherpreisen ausgegangen werden", schreibt der zentrale Konsumentenschutzverband Deutschlands. Das Dokument kann hier als PDF heruntergeladen werden.

Angesichts der niederländischen Analyse forderte Energieexperte Thomas Engelke vom deutschen Bundesverband der Verbraucherzentralen gegenüber dem Sender SWR, den Starttermin für den Einbau der Smart Meter zu überdenken.

Gerätehersteller kritisieren die Ergebnisse der Studie

Der Schweizer Messgerätehersteller Landis+Gyr hat gegenüber deutschen Medien prompt die Ergebnisse der Studie kritisiert. Die Messmethoden der Forscher würden "nicht den realen Nutzungsbedingungen entsprechen".

In Wien überwogen bei einer Diskussionsrunde der EnergieAllianz Austria im vergangenen Herbst eindeutig die Standpunkte der Befürworter. Dem Hersteller Kapsch zum Beispiel gehen die bereits in Österreich installierten neuen Stromzähler viel zu wenig weit. Kapsch hat unter anderem die Stadt Feldkirch mit solchen Geräten ausgestattet.

Für die erste Generation der Smart Meter würde er die Erwartungen nicht zu hoch hängen, denn der Gesetzgeber sei hier sehr restriktiv gewesen, meinte bei dieser Veranstaltung Christian Schober, Geschäftsführer der Kapsch Smart Energy GmbH. "Die nächste Generation wird, wenn man will, viel mehr können. Was wir jetzt haben, trifft nur einen Teil der Erwartungen", so Schober.

Sicherheitsexperte: "Was kommt noch?"

Kritische Anmerkungen in der Runde kamen vom deutschen IT-Sicherheitsexperten Timo Kob: Die intelligenten Stromzähler seien Millionen potenzielle Schwachstellen, so Kob. Er sehe zwar in der Digitalisierung einen großen Nutzen, nicht aber in den Smart Meter. Zudem würden hier zu viele Arten von Nutzen "draufgepackt, was beim Kunden zu Misstrauen führt". Die Sorge sei dann, "was kommt in Salami-Manier noch?"

Hans G. Zeger, Obmann der österreichischen "Arge Daten", plädierte für ein blockweises Auslesen der Daten, etwa geblockt für jeweils zwanzig Haushalte. Lösungen rund um das "Smart Home" lehnt er ganz ab. Zeger verwies darauf, dass es zwar eine gewisse Diskrepanz zwischen dem technisch Möglichen und den Annahmen in der Öffentlichkeit gebe, fügte jedoch hinzu: "Es geht um das Grundrecht, unbeobachtet zu leben, und auch um das Gefühl, unbeobachtet zu leben."

(pm/red/apa)

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