Preispolitik : Seefracht: Zu Ende gedümpelt

Bis Herbst 2008 wähnten sich die Seefrachtlogistiker im Schlaraffenland. Buchstäblich jede Frachtrate wurde bezahlt. Der Transport eines 20-Fuß Containers, dem Standardmaß der Schifffahrt, von Marseille nach New York kostet im Sommer 2008 rund 2000 Dollar. Ein Jahr später war die gleiche Leistung um 500 Dollar zu haben. Die gesamte Seefrachtlogistik stürzte durch die Krise in ein schwarzes Loch - und mit ihm die Frachtraten. Der Baltic Dry Index, der die Kosten für sogenannte Trockenfrachten wie Erz, Kohle oder Getreide auf den wichtigsten internationalen Schifffahrtslinien abbildet, fiel im gleichen Zeitraum von 11.300 Punkten auf 660 Zähler. Es war ein Gemetzel. Doch auch das ist für die Branche Schnee von gestern. Das Wachstum der Weltwirtschaft ließ die Reeder als Erste gesunden. „Ungebrochene Nachfrage“.„Die wachsenden Transporte nach China und Indien haben der Seelogistik wieder auf die Beine geholfen“, erklärt Simon Aust, Geschäftsführer des Hamburger Schiffmaklers Harper Petersen. Sein Geschäft ist es, Schiffe zwischen Eignern, die sie bauen lassen, und Reedern, die sie betreiben, zu vermitteln. Von den rund 6000 Containerschiffen, die laut dem Pariser Branchenbeobachter Alphaliner am 1. Jänner 2011 weltweit durch die Meere pflügten, sind rund 40 Prozent eignerbetrieben. Der Rest ist verchartert. Die so genannte Charter - bei einem Auto würde man Leasinggebühr sagen - sind dabei ein Ergebnis von Angebot, Nachfrage und etlichen Finanzmarktparametern, die ebenfalls ein wildes Dasein führen. Ein Containerschiff mit der Ladekapazität von 4.200 Containern TEU (Twenty-foot Equivalent Units), - das ist ein Schiff von 275 Meter Länger, wenn es noch durch den Panama-Kanal passen will - notierte am dafür aussagekräftigen Harpex-Index am Ende des 3. Quartals 2009 mit 6.450 Dollar. Ende März 2011 kostete die Charter für das gleiche Schiff 28.500 Dollar - pro Tag, versteht sich. Simon Aust: „Sämtliche Reedereien gehen von einer ungebrochenen Nachfrage nach neuem Schiffsraum aus.“ „Nachgeben“.Dass trotz der steigenden Charterraten die Logistikpreise für den Endkunden nachgeben, ist für Michael Schnitzler kein Widerspruch. Der für Osteuropa verantwortliche Seefracht-Manager von Panalpina Österreich erklärt dies „durch die vielen Schiffe, die in der Krise aus dem Markt genommen wurden und ab Sommer des Vorjahres wieder in Dienst gestellt werden.“ Mit dem letzten Quartal 2010 sei das zusätzliche Angebot am Markt vor allem auf den umkämpften Asien-Linien spürbar geworden: „Seit Oktober haben die Seefrachtraten um rund 30 Prozent nachgegeben.“Wer in der ersten Jahreshälfte 2010 das Vergnügen hatte, über die norwegische Atlantikküste zu fliegen, wird in den Fjorden ein Vielzahl an stilliegenden Containerschiffen beobachtet haben. Das kalte Gewässer der Nordsee wird von Reedereien gerne aufgesucht, wenn sie ihre Schiffe für längere Zeit irgendwo parken wollen: Die tiefen Temperaturen verlangsamen den Algenbewuchs. 580 Containerschiffe lagen Ende 2009 weltweit auf: So bezeichnen Reeder erzwungene Kunstpausen, wenn ihr Schiffsraum über längere Zeit nicht nachgefragt wird. Ein Jahr später war es "nur" noch ein Fünftel dieser Flotte, die beschäftigungslos dahindümpelte. Dazu kommen eine große Zahl an Neubauten, die 2007 und 2008 an der Spitze der Hochkonjunktur auf Kiel gelegt wurden und seit Ende 2010 vom Stapel laufen. Alphaliner zählte 261 Containerschiffe mit einer durchschnittlichen Kapazität von 5.260 TEU, die voriges Jahr auf die Weltmeere entlassen wurden. Steigende Treibstoffkosten.Für Neueinsteiger ist die Seelogistik ein schwieriges Terrain. Die Frachtgebühren beschreiben nur einen Teil der Kostenwahrheit. Bei den Nebengebühren einer Passage sind der Phantasie der Hafenbehörden, Zollstationen und Kanalbetreiber keine Grenzen gesetzt. Die Durchfahrt durch den Suez-Kanal kostet für ein Containerschiff mit 250 Metern Länge 600.000 Euro - in aller Regel zahlbar in Cash. Für Kunden wimmelt es von Zusatzkosten – ob Währungsschwankungszuschlag oder Rohstoffzuschlag. Vor allem bei kleineren Sendungen fallen derartige Gebühren rasch ins Gewicht. Treibstoffkosten gelten dabei als große Unbekannte. In den Frachtraten ist eine Treibstoffposition zwar einkalkuliert - Preissteigerungen werden aber über einen eigenen Zuschlag weitergegeben. Michael Schnitzler: „Bislang hat die Verbilligung durch den Kapazitätszuwachs die Treibstoffteuerungen abfangen können.“ Allerdings werden sich der aktuelle Angebotsüberhang und die dadurch bedingte Kostendämpfung mittelfristig auflösen. Schnitzler: „Wir bemerken einen Transfer von der Luftfracht hin zur Seelogistik.“ Im Hintergrund stehe die wachsende Bereitschaft von Großkonzernen, sich wieder Lager aufzubauen. In der Vergangenheit haben Streiks und andere Lieferverzögerungen Elektronikriesen wie Flextronics dazu bewogen, sich teilweise wieder Vorräte anzulegen, die sie per Seefracht befüllen lassen. Just-in sequenze-Fertigungen mit einer teuren Luftlogistik werden aufgegeben. Schnitzler: „Die Konzerne tauschen Lagerkosten gegen Logistikkosten.“ Die Schwierigkeiten der automotiven Industrie nach den Ausfällen der japanischen Zulieferern werden den Trend beschleunigen.Spediteure und Reeder gehen, davon aus, dass die steigenden Charterpreise und die Treibstoffkosten spätestens ab Sommer die Seefrachtraten wieder nach oben treiben werden. Branchenbeobachter Alphaliner erwartet eine Rückkehr auf das Preisniveau von Sommer 2010. Nicht kalkuliert ist dabei allerdings der Mehrbedarf an Frachtraum im Zuge des japanischen Wiederaufbaus. Schnitzler: „Da weiß noch keiner, was kommt.“Josef Ruhaltinger