Digitalisierung : SAS-Softwareprofi Michael Probst: "Österreicher kommen bei der Digitalisierung oftmals nicht zu Potte"

Herr Probst, was als Industrieprojekt begann, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen - die digitale Vernetzung. Das kann man nur vollinhaltlich begrüßen, oder?

Michael Probst Der Diskurs über das Internet der Dinge kommt zur rechten Zeit. Jeder der gesellschaftspolitischen oder sozioökonomischen Diskussionspunkte ist wichtig und verdient, näher erörtert zu werden. Ich kann mir vorstellen, dass es mehr als die Hälfte der Jobs, die meine heute noch nicht zehnjährigen Kinder einmal ergreifen können, heute noch nicht einmal gibt. Und jeder hat so seine Vorstellungen von der neuen digitalen Welt.

Was am Beispiel des Online-Vermittlungsdiensts Uber überdeutlich wird: Dieser sieht sich als reine Vermittlungsplattform. Ein Londoner Arbeitsgericht urteilte jetzt anders: Uber-Mitarbeiter seien anstellungspflichtig.

Probst Natürlich muss auch das diskutiert werden. Aber meine Überzeugung ist: Wenn das System anfängt, innovative Ideen im großen Stil abzudrehen, nur weil sie nicht ins vorherrschende Raster passen, dann wird Innovation über kurz oder lang nicht mehr dort stattfinden, wo sie jetzt stattfindet. Und damit schneiden wir uns ins eigene Fleisch, der Schaden für Volkswirtschaften wird ungleich größer ausfallen.

SAS sieht sich als Rückgrat der Digitalisierung. Wird denn der Vorzug intelligenter Datenanalyse bereits als solcher in der Industrie erkannt?

Probst Die meisten Industrieunternehmen haben verstanden, dass sie nicht darum herumkommen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Viele sind dabei unglaublich pragmatisch: Die machen erst die Daten klar, dann wird ausgewertet. Andere suchen sich zuallererst neue Business Cases. Und immer mehr verfolgen einen strategisch-visionären Ansatz: Da wird vom Vorstand top down durchexerziert, wohin die digitale Reise geht. Das sind die Fälle, die bei uns am Tisch landen.

Und dann gibt es die Passiven…

Probst Die werden seltener. Nur von schönen Präsentationen berieseln lässt sich heute keiner mehr. Aus dieser Phase sind wir meines Erachtens heraus.

Ihre Analysetools wirken optisch auffallend zurückgenommen. Hat man sich das von Apple abgeschaut?

Probst Wir müssen Kunden für das, was ihnen bevorsteht, mit einer gewissen Einfachheit abholen. In der Industrie heißt es viel zu oft, nur komplexes oder kompliziertes sei wertbringend - das ist nicht zutreffend! Unternehmen, die sich an das Thema Digitalisierung herantrauen, sollen nicht bestraft werden.

Mit einem Ihrer Analysetools erreichte der Feuerfesthersteller RHI eine optimale Liefernetzwerkplanung. Sind die LIeferketten der Unternehmen heute überhaupt in der Lage, so schnell auf neue Anforderungen zu reagieren?

Probst Am Ende geht es darum, mehr Klarheit über die eigenen Bedarfe zu bekommen. Mittels intelligenten Forecasting-Algorithem lässt sich eine größere Datengenauigkeit im Unternehmen erzielen, und die wird sich auch in den angeschlossenen Lieferketten abbilden lassen. Freilich ist die Integration ein wichtiger Punkt. Viele Unternehmen wären schon froh, wenn sie einen Arbeitsauftrag nicht in Papierform, sondern elektronisch an einen Schwesterstandort verschicken könnten. Da gibt es bei einigen noch immer erheblichen Aufholbedarf.

Was macht Organisationen nun eigentlich fit fürs Internet der Dinge - ein visionärer Chef und das passende Analysetool?

Probst Es sind vier kritische Dimensionen. Ganz wichtig: Es muss eine Kultur im Unternehmen vorherrschen, die die Digitalisierung als Treiber des Geschäfts versteht. Dann braucht es die Mitarbeiter mit den richtigen Skills: Visionäre, die weiter blicken können, aber auch Datenprofis, also Data Scientists oder vielleicht sogar Citizen Scientists. Ebensowichtig ist der Prozess. Und am Schluss braucht es eine Technologie, die all das enablet.

Und wo hapert es erfahrungsgemäß am meisten?

Probst Die Technologie ist das kleinste Problem, dass kann ich vorausschicken. Sie ist ganz einfach vorhanden, es gibt sie an vielen Ecken zu kaufen. Aber die angesprochenen Soft Factors findet man leider in den Unternehmen nicht immer. Vor allem nicht dort, wo keine personelle Kontinuität zu finden ist: Digitaler Erfolg und Change Management - das geht einfach nicht zusammen.

Stichwort Open-Source-Tools: Gefahr oder Bereicherung?

Probst Wir stellen uns dem Trend nicht entgegen. Systeme unterschiedlichster Hersteller kommen sich in unseren Plattformen immer näher. Das freie Java-Framework Apache Hadopp findet heute genauso seine Berechtigung wie eine Datenbank eines kommerziellen Herstellers wie SAP oder Oracle. Und arbeiten Data Scientists lieber in einer neuen Programmiersprache, nehmen wir diese Modelle genauso in unsere Plattform auf. Wir adaptieren uns regelmäßig mit.

Im reinen Lizenzgeschäft ist immer weniger zu holen. An welchen neuen Geschäftsmodellen sind Sie gerade dran?

Probst Das pay as you grow-Modell gewinnt an Bedeutung. Kunden gehen nicht in massive Investitionen hinein, müssen aber den ersten Schritt setzen.

Abschlussfrage: Wer ist bei der Digitalisierung weiter - Österreich oder die Schweiz?

Probst In Österreich werden die Themen viel offener diskutiert. In der Schweiz dagegen gehen Einzelunternehmen ohne große Diskussionen ganz pragmatisch an die Sache heran. Der Schweizer krempelt die Ärmel hoch und tut es einfach. Der Österreicher ist zögerlicher, wägt Vor- und Nachteile von Technologien viel sorgsamer ab und kommt am Ende häufig nicht zu Potte.

Michael Probst, 41, ist gebürtiger Schweizer ist seit Jänner 2016 Director Global Business Development für den Bereich Internet of Things beim Business Analytics Software-Hersteller SAS. Er verantwortet damit die Entwicklung und den Aufbau digitaler Kundenbeziehungen in mehr als 40 Ländern. Vor seinem Eintritt bei SAS 2011 war der Vertriebs- und Marketingspezialist unter anderem für den Energiemanagementsystemeanbieter Landis+Gyr tätig.