Forschung : "Quantum Flagship": Großprojekte der EU mit Leitung in Wien und Innsbruck

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Mit insgesamt 20 Projekten wird das von der EU großzügig geförderte Quanten-Forschungsprogramm starten. Bei fünf Vorhaben sind auch österreichische Wissenschafter mit an Bord, zwei werden von Innsbruck und Wien aus geleitet, wie beim Auftakt-Event des neuen wissenschaftlichen Großprojekts im Rahmen der österreichischen EU-Präsidentschaft in Wien bekanntgegeben wurde.

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Nach den ersten, 2013 gestarteten Flaggschiffen, die sich der Modellierung des Gehirns im Computer ("Human Brain Project") und dem neuartigen Material Graphen ("Graphene") widmen, bildet das "Quantum Flagship" nun die dritte große EU-Forschungsinitiative. Damit soll Europa seine "wissenschaftliche Führerschaft und Exzellenz" in diesem Bereich ausbauen und eine wettbewerbsfähige Industrie für Quantentechnologien aufbauen, wie es seitens der Initiatoren, die in der Wiener Hofburg und an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tagen, heißt.

In den kommenden zehn Jahren soll insgesamt eine Mrd. Euro in das Vorhaben fließen. Eine Hälfte kommt von der EU, die andere von den Mitgliedsstaaten bzw. der Industrie. Mehr als 5.000 Wissenschafter an Hochschulen und in der Industrie sollen in den Programmsäulen Quantenkommunikation, -computing, -simulation und -sensorik sowie Grundlagenforschung forschen, wie aus den Unterlagen hervorgeht.

Im Zuge der nunmehr abgeschlossenen ersten Ausschreibung des Programms gingen insgesamt 141 Bewerbungen ein. Die Dotation der auf drei Jahre ausgelegten Aufbauphase beträgt 132 Mio. Euro. Von den nunmehr 20 ausgewählten Projekten wird jeweils eines von Innsbruck und Wien aus geleitet.

Unter dem Titel "UNIQORN - Affordable Quantum Communication for Everyone" koordiniert das Austrian Institute of Technology (AIT) eines der Vorhaben. Unter der Leitung von AIT-Forscher Hannes Hübel widmen sich zahlreiche Projektpartner - darunter auch die Universitäten Wien und Innsbruck - der Verkleinerung von Bauteilen, die der Quantenkommunikation dienen. Das Fernziel ist die Etablierung eines Internets auf Basis der Quantentechnologie. Bisher brauche es dazu allerdings relativ große Bauteile, die nun deutlich handlicher werden sollen. Die Arbeitsgruppe um den Innsbrucker Experimentalphysiker Gregor Weihs wird sich etwa mit der Weiterentwicklung von Photonenquellen auf Basis von Halbleiternanostrukturen beschäftigen.

Unter der Leitung der Uni Innsbruck und des Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der ÖAW steht das Projekt "AQTION". Als Koordinator des Vorhabens, in dessen Rahmen die Entwicklung industrieller Quantencomputer vorangetrieben werden soll, fungiert der Tiroler Physiker Thomas Monz, der in der Forschungsgruppe um Quantencomputer-Pionier Rainer Blatt seit geraumer Zeit am Bau eines universellen Quantenrechners auf der Basis gefangener Ionen arbeitet.

Atemberaubende Schnelligkeit

Dort ist die kleinste Informationseinheit nicht mehr das Bit, das exakt zwei Zustände (Ja/Nein oder 0/1) kennt, sondern das Quantenbit (Qubit). Dieses kann verschiedene Schwebezustände oder "Superpositionen" zwischen zwei Möglichkeiten einnehmen. Damit lassen sich bestimmte Probleme wesentlich schneller lösen als mit klassischen Computern. Ziel des Projekts ist es, die Kontrolle auf bis zu 50 Quantenbits auszuweiten und diese in Modulen miteinander zu verbinden. So will man die für einen universellen Quantencomputer notwendige Anzahl von Quantenbits erreichen.

Die Innsbrucker Forscher Christian Roos, Wolfgang Lechner und Peter Zoller sind überdies Teil des Teams, das unter dem Titel "PASQuanS" an der Weiterentwicklung eines programmierbaren Quantensimulators arbeitet. Auch hier setzt man auf in optischen Gittern gefangene Ionen, die zu Simulatoren zusammengefasst werden, mit deren Hilfe beispielsweise komplexe chemische Reaktionen oder mathematisch aufwendige Fragen aus der Materialwissenschaft beantwortet werden können.

Teil der "Quantum Internet Alliance" (QIA) sind außerdem Gruppen um Tracy Northup und Ben Lanyon (Uni Innsbruck/IQOQI). Mit zahlreichen Partnern wollen die Forscher ein erstes Quantenprozessor-Netzwerk aufbauen, das die Grundlage für ein zukünftiges Quanteninternet bilden soll. Ebenfalls an der Uni Innsbruck, die ob der vielfachen Beteiligung am Quanten-Flaggschiff ein eigenes Büro zur Projektunterstützung einrichten wird, ist der Quantenoptiker Helmut Ritsch tätig. Wie auch Wissenschafter der Technischen Universität Wien wird sich Ritschs Team im Rahmen des Projekts "iqClock" am Aufbau eines europäischen Netzwerkes für aktive optische Laseruhren, deren Genauigkeit die herkömmlicher Atomuhren übertrifft, beteiligen.

Bei der Umsetzung des ambitionierten Programms soll auch ein Experten-Netzwerk helfen. Als österreichischer Vertreter im "Quantum Community Network" (QCN) fungiert Markus Aspelmeyer von der Universität Wien und dem Vienna Center for Quantum Science and Technology (VCQ).

Während für die ersten beiden EU-Flaggschiffe ein umfangreiches Auswahlverfahren durchgeführt wurde, entstand das "Quantum Flagship" als "grass-roots"-Initiative der europäischen Quantenphysik-Gemeinschaft, die sich in den vergangenen Jahren massiv für das Programm stark gemacht hat. Wortführer war und ist Tommaso Calarco von der Universität Ulm, aber auch prominente österreichische Quantenphysiker wie Blatt und ÖAW-Präsident Anton Zeilinger waren in der Vorbereitung engagiert.

Calarco legte 2016 der EU-Kommission ein "Quanten-Manifest" vor, das von mehr als 3.500 Vertretern des Fachs aus ganz Europa unterzeichnet wurde. Die erste Ausschreibung erfolgte im Rahmen des EU-Forschungsrahmenprogramms "Horizon 2020". Die weitere Finanzierung des Flaggschiffs dürfte über das neue, ab 2021 laufende Rahmenprogramm "Horizon Europe" erfolgen. (apa/red)

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