Tech in Use : Prozesssichere Mikromontage in der Medizintechnik

„Robuste und zugleich kompakte Pneumatikkomponenten gewinnen im Life-Sciences-Bereich immer mehr an Bedeutung“, erläutert Daniel Gebert, der bei der Aventics GmbH in Laatzen für das Qualitätsmanagement verantwortlich ist: „Das Gesundheitswesen benötigt zunehmend Lösungen für Niederdruckanwendungen mit starker elektrischer und funktionaler Integration“, sagt der Manager und beschreibt stellvertretend für die umfassende Range seines Unternehmens einen Ventilblock aus der Dialysetechnik: „Solche Baugruppen kombinieren Präzision mit hoher Zuverlässigkeit, und wir verbessern unsere Produkte immer weiter.“

Wechsel des Kunststoffs führte anfangs zu durchdrehenden Schrauben

Als Aventics bei den Trägerplatten dieses Ventilpakets im Zuge der kontinuierlichen Weiterentwicklung seiner Produkte auf einen anderen Kunststofftypen wechselte, drehten in der Vorserie häufig die Schrauben durch. Daniel Gebert startete eine Problemlösungskarte, das Engineering-Team nahm die gesamte Applikation genau unter die Lupe, und so war die Ursache schnell gefunden: Der veränderte Werkstoff der Trägerplatte überforderte die bis dahin verwendeten Druckluft-Stabschrauber. Bauartbedingt montieren solche Tools nur mit einem einzigen Drehmoment und einer festen Drehzahl. „Wegen der Masseträgheit des Werkzeugs rissen dann beim Eindrehen der selbstfurchenden Schrauben zwangsläufig die Gewinde aus“, sagt Gebert. Zwar sei der neue Kunststoff chemisch geeigneter, aber in der Montage eben sensibler.

Der zuvor verwendete Kunststoff war dicker, zäher und fester, und es machte dem Material wenig aus, wenn bei dem früheren Werkzeug das – äußerst geringe – Drehmoment leicht streute und der Zielwert von 18 cNm (= 18 Zenti-Newtonmeter oder Hundertstel Newtonmeter = 0,18 Nm) immer wieder überschritten wurde. Der Wechsel auf den neuen Werkstoff war für Aventics der Anstoß, zur Absicherung seiner Fertigungsqualität auch die bislang eingesetzte Schraubtechnik zu überdenken.

„Wir verwenden schon seit 20 Jahren Druckluftwerkzeuge und hatten nie Probleme damit“, versichert Daniel Gebert, „aber zuvor hatten wir keine dermaßen komplexen und filigranen Montagefälle.“ Auf einer Trägerplatte von etwa 12 cm x 14 cm Grundfläche sind 22 Kleinstventile nebst Filter und Tüllen durch insgesamt 44 selbstfurchende M1.6-Schrauben mit Torx-T2-Kopf zu fixieren. Anschließend erfolgt eine 100-Prozent-Kontrolle. „Sollte hierbei ein Fehler entdeckt werden, der Nacharbeit oder einen Austausch erfordert, beträgt der Ausfall für jedes einzelne Bauteil etwa 20 Euro allein an Lohnkosten“, sagt Gebert.

Das Angebot von Atlas Copco Tools, in dieser Applikation eine neu entwickelte Microtorque-Schraubspindel zu testen, nahm Aventics gerne an. Die digital überwachte und stromgesteuerte Spindel überraschte die Mitarbeiter mit einem großen Arbeitsbereich von 12,5 bis 50 cNm (entsprechend 0,125 bis 0,5 Nm) sowie mit leichter Bedienbarkeit und Vielseitigkeit.

Trickreiche Schraubstrategie überlistet das Material

Obwohl die selbstfurchenden Schrauben mit ihrem Durchmesser von 0,93 mm nur viereinhalb Gewindegänge aufweisen, schafft die Microtorque-Spindel mit der Typenbezeichnung QMC41-50-HM4 auf dieser extrem kurzen Länge eine dreistufige Verschraubung. Daniel Gebert beschreibt den Prozess im Detail: „Zu Beginn des Schraubzyklus rotiert der Schraubeinsatz mit reduzierter Geschwindigkeit, um die Klinge in den Torx-T2-Schraubenkopf einzufädeln. Nach dem Abschluss dieser Findestufe schaltet das System in die Drehwinkelstufe, welche die Schraube mit 500 Umdrehungen pro Minute bis zur Kopfauflage eindreht. Sobald diese erreicht ist, reduziert die Spindel ihre Drehzahl drastisch auf 210 Umdrehungen und zieht die Schraubverbindung in der Drehmomentstufe auf das Enddrehmoment von 18 Zenti-Newtonmeter an.“ Da die Drehzahlen in allen Stufen frei konfigurierbar sind, passt sich das Microtorque-System an die vielfältigsten Schraubfallanforderungen an. Optische und akustische Signale an Schrauber und Steuerung melden den Bedienern permanent das Montageergebnis zurück. „Die Ausschussrate ist nach dem Wechsel auf das gesteuerte und überwachte Schrauben praktisch auf null gesunken“, bestätigt Fertigungsplaner Ayhan Horoz, nachdem das Microtorque-System bis zum Spätherbst 80000 Montagezyklen problemlos absolviert hat.

Mit detaillierten Schraubverläufen die Qualität im Blick

Dabei könne die Neuentwicklung von Atlas Copco Tools noch mehr, betont Gebert: „Die Microtorque-Steuerung ist besonders kompakt, die Grafikfunktionen sind richtig klasse: Wir schließen einen handelsüblichen PC an, und die Steuerung gibt darüber detaillierte Kurven und Schraubverläufe aus.“ Die Visualisierung sei klar und eindeutig. Durch die Kurvenbetrachtungen könne Aventics Schraubverläufe jetzt viel besser interpretieren und verstehen, was in jeder einzelnen Montagephase exakt im Schraubfall geschehe. „Das wäre mit Druckluftwerkzeugen nicht möglich!“

Schraubkurven legen Lieferantenqualität offen

Einen praktischen Zusatznutzen des Schraubsystems sieht Ayhan Horoz in der Möglichkeit, durch die Microtorque-Technik eine Hilfestellung für die Qualitätsbewertung von Zulieferteilen zu haben. „Über die Kurvengrafik deckt das System unbestechlich auf, wenn die Eindrehwiderstände variieren. Das kann vorkommen, wenn die vorgebohrten Gewindelöcher in den zugelieferten Spritzgussteilen höhere Durchmessertoleranzen haben als vorgesehen. Der Microtorque-Schrauber detektiert beim Einschrauben veränderte Reibwerte im µ-Bereich.“ Durch Nachjustieren der Schraubparameter könne Aventics derartige Abweichungen kompensieren oder die betroffenen Komponenten bei zu großen Ausreißern reklamieren. Selbst kleinste Schwankungen bei den Schraubenbeschichtungen oder der Materialbeschaffenheit der Kunststoffteile würden nun transparent.

Mitarbeiter schätzen ergonomische Vorteile

Neben der wesentlich größeren Prozesssicherheit und der technischen Leistungsfähigkeit spielte auch die Akzeptanz aufseiten der Mitarbeiter eine wichtige Rolle. Das Microtorque-System arbeitet im Vergleich zu Pneumatikschraubern nahezu geräuschlos. Ein weiterer ergonomischer Vorteil liegt darin, dass ein Lineararm die kleine QMC41-50-HM4-Spindel führt, was zusätzlich entlastet. So konnte sich das Bedienpersonal schnell mit dem neuen Equipment anfreunden. „Durch das dreistufige Anziehverfahren erzielen wir eine hohe Drehmomentgenauigkeit, über die wir die für die Dichtigkeit so wichtige Flächenpressung vom ersten bis zum letzten Schraubfall präzise aufbringen“, fasst Daniel Gebert zusammen, der das flexible Microtorque-System nach dem erfolgreichen Testeinsatz kaufte. „Wir montieren jetzt besser als je zuvor.“