Digitalisierung : "Probleme im Kerngeschäft werden nicht in Start-ups gelöst"

Herr Viessmann, Sie sind Chief Digital Officer eines Familienunternehmens, das heuer 100 Jahre wird. Ist die Digitalisierung die größte unternehmerische Herausforderung des letzten Jahrhunderts?

Max Viessmann Das müssten Sie meinen Vater oder Großvater fragen. Tatsache ist, dass die Digitalisierung im Gegensatz zu den Technologiesprüngen der letzten Jahrzehnte gleichzeitig alle Elemente der Wertschöpfungskette verändert. Waren es in früheren Generationen einzelne Innovationen – etwa in der Produktionssteuerung –, so haben wir es heute mit kombinatorischer Innovation zu tun. Mit der Fertigungskette ändert sich die Skalierbarkeit im Vertrieb, das Marketing, ja das gesamte Geschäftsmodell.

Sie verpassen Ihrem Familienbetrieb neue digitale Geschäftsmodelle. Und zwar, so hört man, nicht in der Linie, sondern in neu gegründeten Firmeneinheiten. Warum?

Viessmann Da muss ich Sie korrigieren. Die digitale Transformation findet vor allem im Unternehmen selbst statt. Ich glaube nicht daran, dass man Probleme im Kerngeschäft durch Auslagerung an Start-ups oder Innovation-Hubs lösen kann.

Ursprünglich war der von Ihnen finanzierte Company-Builder WATTx jedoch als digitales Powerhouse für Viessmann gedacht?

Viessmann Am Anfang stand die Idee, durch WATTx in kürzester Zeit neue Themen, insbesondere im IoT-Bereich, umsetzen zu können. Wir haben bemerkt, dass insbesondere crossfunktionale Themen wie das Internet der Dinge ganzheitlich im Kerngeschäft adressiert werden müssen. Darüber hinaus hat WATTx sehr schnell selbst Dynamik bei eigenen Themen im IoT-Bereich fernab unserer Kernthemen aufgenommen, sodass hier eine kleine strategische Fokussierung für alle Beteiligten von Vorteil ist.

Was spricht denn gegen Digitalisierung auf der grünen Wiese?

Viessmann Fragen wir mal umgekehrt. Was spricht dafür? Wenn der Grad der Veränderung so stark ist, dass er im Unternehmen nicht mehr aufgeholt werden kann oder wenn man keine Möglichkeit sieht, diese Fähigkeiten im Unternehmen aufzubauen, dann hat man ohnehin verloren. Das bestehende Kernteam kann sinnvoll, wo nötig, durch externe Kompetenzen ergänzt werden. Dann kann man gemeinsam überlegen, welche Kundenbedürfnisse um das bestehende Hardwareportfolio digital befriedigt werden können.

Aber gerade die bestehenden Mitarbeiter stehen oft vor großen Herausforderungen. Von der Überzeugungsarbeit bis hin zu den fehlenden Managementtools ...

Viessmann Die Motivation der Mitarbeiter ist in unserem Haus das geringste Problem, weil man leicht erkennt, welch riesiges Potenzial existiert – und welche Gefahren bestehen. Das liegt vielleicht auch an unserer Branche. Als Google vor einigen Jahren den Thermostathersteller Nest übernahm, wurde auch dem Letzten klar, welche Dimensionen das hat.

Wie verpflanzen Sie das Digital Thinking im Kernunternehmen?

Viessmann Wir haben das Digitalisierungsvorhaben von Beginn an sehr transparent angelegt: Eines unserer digitalen Teams ist im Haus direkt an der Kantine angesiedelt – mit riesigen Glasflächen hochgradig transparent für jeden Mitarbeiter der etablierten Organisation. Natürlich ist es herausfordernd, die bestehende Mannschaft zu befähigen. Aber gerade hier haben wir in den letzten Jahren viel Energie darauf verwendet, Methodik in die Geschäftsmodellentwicklung zu bekommen. Wirklich schwierig wird es eigentlich nur, wenn die Lücke zwischen den heutigen Fähigkeiten und dem, was man eigentlich braucht, zu groß ist.

Um diese Lücke zu schließen, haben Sie als Familienunternehmer zwei Venture-nahe Unternehmen rund um Viessmann gegründet ...

Viessmann Auch, ja. Wir haben uns entschieden, über Einheiten, die völlig neue Fähigkeiten besitzen, neue Geschäftsfelder auszumachen und zu lernen. Der gemeinsame inhaltliche Fokus liegt im „Deep Tech“ Bereich. Auf der einen Seite entwickelt WATTx als Company-Builder Ideen, von denen die mit dem größten Potenzial als eigenständige Start-ups aufgebaut werden. Auf der anderen Seite existiert mit Vito Ventures ein Frühphaseninvestor, der industrieagnostisch in Start-ups investiert, die keine Korrelation mit den Dynamiken des Kerngeschäfts haben.

In welcher Verbindung stehen Viessmann und die beiden Vehikel?

Viessmann Wenn es Überschneidungen mit unserem Portfolio gibt, gibt es natürlich guten und fundierten Austausch mit dem Core-Business. Aber Überschneidungen sind, wie gesagt, nicht geplant.

Ihr Ziel sind vier Ausgründungen jährlich. Sind Sie damit im Plan?

Viessmann (lacht) Die wirkliche Herausforderung ist es, Ideen, in die man sich verliebt hat, wieder zu verwerfen. Die Schwierigkeit ist, nur vier Firmen zu kreieren, die die volle Aufmerksamkeit verdienen und ihr volles Potenzial entfalten.