Hintergrund : Pressestimmen zum Brexit: "Boris Johnson hat sensationell viel erreicht"

London Tower Bridge
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"Sunday Times" (London):

"Die Strategie des Premierministers hatte durchaus ihre Kritiker. Als er einen Handelspakt bis Ende des Jahres versprach, erklärten das viele für unmöglich und forderten ihn auf, eine Verlängerung der Übergangsperiode anzustreben. Während eines Großteils der Verhandlungen war er damit beschäftigt, Versuche euroskeptischer Hinterbänkler abzuwehren, jeden vernünftigen Kompromiss durch unvernünftige Forderungen zu torpedieren. Der Premierminister wird oft wegen einer zu geringen Detailkenntnis gerügt, aber bei diesen Gesprächen hat er die Sache in den Griff bekommen und echte Führungsstärke bewiesen.

Ebenso haben die britischen Unterhändler unter Leitung von Lord Frost eine Härte und Entschlossenheit gezeigt, die ihren Vorgängern manchmal fehlten. Jene auf der anderen Seite des Verhandlungstisches haben ebenfalls entscheidend zum Erfolg der Gespräche beigetragen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die in den letzten Wochen viele Male mit dem Premierminister sprach, brachte die erforderliche politische Energie auf, um den Deal zustande zu bringen. Wenn sie und Boris Johnson nun eine persönliche Beziehung aufgebaut haben, dann kann das für 2021 und darüber hinaus nur gut sein."

"Sonntagszeitung" (Zürich):

"Dass Johnson den Brexit und einen Vertrag erzielt hat, ist das eine, wofür er in die Geschichtsbücher eingehen dürfte, das andere ist die Tatsache, wie viel er für sein Land erreicht hat. Sensationell viel. Gemäß einer Aufstellung der britischen Regierung hat sich die EU nur in 17 Prozent der strittigen Punkte durchgesetzt, während man in 40 Prozent einen Kompromiss schloss. In sage und schreibe 43 Prozent bekamen die Briten dagegen, was sie verlangt hatten. Wenn es sich auch um ein Parteigutachten handeln mag, sind die Zahlen so eindeutig, dass selbst die eine oder andere Relativierung an dieser Bilanz wenig ändern wird.

Bessere Position als die Schweiz

Vor allem die großen Fragen wurden fast alle zugunsten der Briten entschieden: Großbritannien erhält den unbeschränkten Zugang zum Binnenmarkt der EU, so wie die Schweiz ihn genießt, aber ohne etwa die Personenfreizügigkeit gewähren zu müssen. Es gibt keine Zölle, keine Quoten oder andere protektionistische Finessen zwischen den beiden Handelspartnern. Zwar sollen die Regeln des EU-Binnenmarktes und jene in Großbritannien sich auch künftig nicht allzu krass unterscheiden, doch steht es den Briten frei, abzuweichen, wann immer sie die EU-Regeln für schädlich oder unnötig halten. Gewiss, in diesem Fall darf sich die EU wehren, indem sie Ausgleichsmaßnahmen verlangt - aber andere Sanktionen stehen ihr nicht zur Verfügung." (dpa/apa/red)