Digitalisierung : Pöttinger, Keba, Siemens & Co: So organisieren sich die kreativen Querdenker der Industrie
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Design Thinking, Fast Prototyping, Minimum Viable Products – noch vor wenigen Jahren waren diese Schlagworte nur Eingeweihten ein Begriff. Wer interdisziplinäre Entwicklerteams, die schnell mal Innovationen scribbeln und Minimallösungen auf den Markt werfen, forderte, galt als im besten Fall als Schaumschläger. Heute ziehen diese Konzepte ins Projektmanagement der Vorstandsetagen der heimischen Industrie. Dass mittlerweile auch Produktionsunternehmen den Innovationsturbo eingelegt haben, hat gute Gründe. Die Digitalisierung verkürzt die Innovationszyklen dramatisch, dabei entstehen völlig neu gedachte Geschäftsmodelle und Wettbewerber.
Die einstigen Wettbewerbsvorteile etablierter Industrieunternehmen erodieren: Kapitalstärke, Kundenbasis, Produktions-Know-how und Regulierungsdichte sind heute alleine keine Garantie mehr für ein zukunftsfähiges Geschäftskonzept.
Innovative Industriebetriebe haben längst reagiert: Sie schaffen ein betriebliches Umfeld, das Querköpfen Raum für ihre (digitalen) Ideen bietet. Kybernetik, Cloud Computing, Mobile, Informatik – die digitalen Nerds kommen aus den abgedrehtesten Feldern. Wer sind die elektronischen Querdenker der heimischen Industrie? Was treibt sie an? Und in welchen Organisations- und Führungsmodellen fühlen sie sich am wohlsten?
Die Antiautoritäre
Lisa Wöss, 29, Innovationsmanagerin Pöttinger Landtechnik
Ex-Profi-Judoka, Google-Fan, freiheitsliebend: Lisa Wöss sucht digitale Bündnisse statt Sachzwang und 08/15-Ideen.
Mit wüstem Zahlenwerk kommt man ihr besser nicht. Denn dann verliert sie ganz schnell ihre Fröhlichkeit. Und angestaubtes Lehrbuchwis- sen ist auch nicht so ihre Welt. Lisa Wöss, seit 2013 Innovationsmanagerin beim Landtechnikhersteller Pöttinger, hat Glück: Sie wird nicht dafür bezahlt, das Produkt Landmaschine in vielen winzigen Optimierungsschritten besser zu machen – „das kön- nen andere besser“, sagt Wöss. Ihre Aufgabe ist radikaler, sie soll das ganze System Landtechnik hinterfragen, dafür hat sie der Vorstand geholt, dafür nimmt es dieser mit den schriftlichen Zielvereinbarungen im Vertrag der 29-Jährigen dann auch nicht so ernst (O-Ton Wöss: „Eher Formsache“). Dass kleinere Fische wie Pöttinger gegen aggressiv zukaufende Landtechnikrie- sen wie die US-Firma John Deere künftig nur mehr durch digitale Bündnisse bestehen können – Wöss spricht darüber ganz unbefangen. „Wir müssen stärker kollaborieren. Mit Farmern, Saatgutherstellern – und auch Mitbewerbern“, sagt sie. 2017 soll es über eine Datendrehscheibe (DKE-Data) erste Tools zum Aus- tausch von Maschinen- und Wetterdaten in der Branche geben – ein Mitverdienst der mehrfachen früheren Judo-Staatsmeisterin, die bei Pöttinger keinerlei Umklammerung durch das Tagesgeschäft verspürt und Entwicklerkollegen in Kreativrun- den zum Denken über ihre Bereichsgrenzen hinweg „anstachelt“. Sogar die großspurige Philosophie von Google-Gründer Larry Page, wonach es einfacher sei, ein Produkt zehnmal besser zu machen als nur um zehn Prozent („10 x Thinking“), übertrug Wöss mit ihrer lockeren Art in die Grieskirchener Entwicklungsabteilung – nicht zur Freude aller alteingessenenen Entwickler, aber ohne große Wider- stände.
Der Gruppendynamische
Andreas Ahamer, 42, Prozessverantwortung Sales, Tele-Haase Steuergeräte
Strukturierter Visionär, Vernetzer, grundentspannt: Andreas Ahamer innoviert nicht aus dem Chefsessel heraus.
Als Christoph Haase 1999 das Ruder im elterlichen Betrieb in Wien-Liesing übernahm, wollte er eines mit Bestimmtheit nicht: In die Patriarchenrolle schlüpfen. Seine Vision sah anderes vor: Mitarbeiter treffen sich in Arbeitskrei- sen und Gremien, um demokratisch Strategieentscheidungen herbeizuführen. Die Geschäftsführung ist operativ nicht involviert, das spielt sie frei, um über Zwischenwelten wie Big Data, Cloud und das Internet der Dinge zu sinnieren. Auch Mitarbeiter wie Andreas Ahamer, 2014 per Votum zum Prozessverantwortlichen legitimiert, profitieren davon: Sieht man einmal vom demokratiepolitisch unerlässlichen Protokollschreiben ab (O-Ton Ahamer: „Darum reißt sich bei uns eher keiner“), ist es ziemlich exakt das Arbeitsumfeld, das Ahamer als Prozessverantwortlicher Sales („Ich bin der Coach, der sich zurücknimmt“) braucht, um den Innovationsturbo zu zünden. Mitarbeiter müssen sich nicht jeden Preis von ihm freigeben lassen und würden über Produktak- tionen selbst entscheiden. „Das sorgt für Geschwindigkeit“, sagt der gebürtige Münchener. Und maximiert die Innovationskraft: Kurze Entscheidungswege machten sich etwa im Vorjahr bezahlt. Der Wiener Betrieb schmiedete mit einem auf Indoor Farming spezialisierten Start-up eine Kooperation, Tele-Haase lieferte ein softwaregestütztes Steuerungsmodul und sicherte sich so ein Standbein in einer verheißungsvollen Zukunftsnische. Aha- mer ist überzeugt: „In einer klassischen Hierarchie hätten wir das Unternehmen niemals
andocken lassen“.
Der Zentrierte
Peter Stelzer, 46, CEO ivii
Er tauschte Konzernsicherheit gegen ein Start-up-Abenteuer ein: Peter Stelzer stellt den Glauben an eine neue Produktidee über hierarchischen Aufstieg.
Mehr Zeit zum Meditieren braucht er auch als frischge- backener CEO nicht. 40 Minuten, länger dauern Peter Stelzers morgendliche Entspannungsübungen nicht. Hinterher ist er wie ausgewechselt, „zentriert“, wie er selber sagt. Wer innoviert, dem schlägt da vorne an
der Front ein rauer Gegenwind entgegen – und um durchschla gende Ideen, wie sich industrielle Prozesse effizienter gestalten lassen, war Stelzers Team, auf Bilderkennungslösungen spezia- lisiert, zuletzt nicht verlegen. Frühzeitig antizipierte man, dass durch E-Commerce die Funktion der Qualitätskontrolle künftig schon im Großhandelslager über Datenbrillen bereitgestellt werden müsse – Zwischenläger würden den Wandel nicht überleben. Im steirischen Dobl, dort, wo der Logistiker Knapp ein Areal für Start-ups betreibt, ist seit Frühjahr auch Stelzers 20-köpfige Entwicklertruppe, davor wie Stelzer direkt dem Knapp-Geschäftsbereich Vision unterstellt, angesiedelt. Das färbt ab: Das Andere sieht Stelzer in Konsequenz als Ressource. „Zu viel Stabilität verhindert echte Innovation“, sagt der gebürtige Knittelfelder. Nicht erstaunlich, dass dem 46-Jährigen eine der „40 Regeln der Innovation“ des russischen Wissenschaft- lers, Stalin-Kritikers und Science-Fiction-Autors Genrich Altschuller besonders aus der Seele spricht: „Innovation braucht die Bereitschaft, Neues zuzulassen“. Das heißt nicht, dass Stelzer Schockwellen über seine Mitarbeiter jagt. Stattdessen setzt er auf Mitarbeiter-Coachings (O-Ton Stelzer: „Wir machen persönliche Ängste transparent“) und eine Fehlerkultur, die in der Industrie noch kaum mehrheitsfähig ist: Wird falsche Hard- ware eingekauft – kein Problem! Läuft eine SCRUM-Periode drei Wochen in die falsche Richtung – soll so sein! „Solange wir immer mit neuen Fehlern zu tun haben, ist das völlig unproblematisch“, sagt Stelzer. Dass der ausgebildete Telematiker und Betriebs- wirt den Glauben an eine neue Produkt- idee sogar über hierarchischen Auf-
stieg stellt, passt da ins Bild: Stel- zer tauschte Konzernsicherheit gegen ein Start-up-Abenteuer – nicht jeder würde sich so entscheiden.
Der Reflektierte
Heinz Paar, 56, Geschäftsführer Fischer Edelstahlrohre Austria
Keiner arbeitet gern konsequenzenlos, sagt Heinz Paar. Mitarbeiterautonomie ist sein wichtigster Treiber für digitale Innovation.
Zu ausführlicher Sentenz neigende Industrie- 4.0-Berater haben bei Heinz Paar keinen leichten Stand: Selbst entwickelte Software-Tools zur Messung der Gesamtanlageneffizienz hat der Geschäftsführer von Fischer Edelstahlrohe Austria im Unternehmen frühzeitig gepusht. Seine private Wärmepumpenheizung hat der intellektuell drahtige Manager kurzerhand um einen selbstlernenden Heizalgorithmus aufgemotzt. Systeme mit künstlicher Intelligenz? Entlarvt Paar mitunter auf den ersten Blick als Scharlatanerie: „Oft stecken nur determiniert arbeitende Regelsysteme dahinter“, sagt Paar. Diese bricht er in seiner Fertigung sukzessive auf: In der Instandhaltung sind seit einiger Zeit intelligente, maßgeschneiderte Abfragen möglich. Noch heuer will Paars Truppe die Erfahrungen auf die Hauptprozesse übertragen. Ob sie das in Sitzsäcken lümmelnd oder in Schlabbergewand tut, ist Paar herzlich egal: Von den dumpfen Spielregeln hierarchischer Führung hat sich Paar (O-Ton: „Wir arbeiten nicht im System, sondern am System“) längst verabschiedet. Mitarbeiterpartizipation bekommt im System Paar eine ganz neue Bedeutung: Mitarbeiter sind aufgerufen, sich mit ihren Ideen und Konzepten selber auf den Prüfstand zu stellen – „einschließlich aller Konsequenzen“. Eine radikale Gegenthese zu Organisationsformen, in der Abteilungsleiter unverdient das ganze Lob einfahren oder als Einzige den Kopf hinhalten müssen.
Der Praktische
Michael Schilling, 38, Produktionsleiter Test-Fuchs
Er forciert „Spiel-Projekte“, peitscht Innovationen aber nicht gegen Mitarbeiterwiderstände durch: Michael Schilling lebt tagtäglich Shopfloor-Demokratie.
Das Schweizer Idiom hat Michael Schilling auch nach über acht Jahren in Österreich nicht abgelegt. Switzerdütsch gegen Waldviertlerisch – da bleibt Schilling dann doch lieber bei Ersterem, wenn er sagt: „Selbst die größte technologische Spinnerei ist zu prüfen. Sie kann in fünf Jahren ein anerkannter Standard sein“. Der Produktionsleiter des niederösterreichischen Messgeräteherstellers Test-Fuchs ist digitaler Grenzgänger der ersten Stunde: In Vorträgen propagiert er unermüdlich den digitalen Aufbruch ohne übertriebenen Mitteleinsatz. Der neu gebauten Zerspanungshalle verpasste er nach diesem Mantra eine durchgehende Datenkette von der Werkzeugmaschine bis zur Simulation. In sogenannten Spiel-Projekten fühlt Schillings Mannschaft neuen Technologien auf den Zahn – zuletzt Datenbrillen. Dass Schillings technologischer Ehrgeiz (O-Ton Schilling: „Manches Mal fahre ich eine zu hohe Taktzahl“) für Mitarbeiter dennoch nicht zur Tortur wird, ist sichergestellt: Projekte gegen den Widerstand der Mitarbeiter durchzupeit- schen, erachtet Schilling nicht nur als kontraproduktiv, sondern hoch- gradig zynisch. Jeder ist im System Schilling dazu aufgerufen, seine Stimme zu erheben – wie im Datenbrillenprojekt: Nach Einwänden aus der Belegschaft stellte es der Produktionsleiter ohne Gesichtsverlust zurück.
Der Schnelle
Simon Moser, 33, Teamleiter Software Entwicklung, Bluesource
App-Entwickler, Tempomacher und definitiv kein Freund der Motivationskunst von Apple-Gründer Steve Jobs: Simon Moser schätzt familiäres Umfeld und trifft haarige Entscheidungen am liebsten eigenverantwortlich.
Er hatte alles, was man sich als Arbeitnehmer wünschen kann: Die Stabilität eines Großkonzerns, tolle Kollegen, gutes Gehalt. Restlos glücklich war Simon Moser in seiner alten Firma trotzdem nicht. „Wir wurden als Funktionseinheit wahrgenommen“, erzählt der 33-Jährige. Seine Kreativität sank, sein Einfluss auf entwicklerische Entscheidungen – vernachlässigbar. Davon kann bei seinem jetzigen Arbeitgeber, dem 2001 gegründeten App-Entwicklungspartner Bluesource aus dem österreichischen Silicon Valley Hagenberg, keine Rede sein: Moser, seit 2010 im Unternehmen, trifft Technologieentscheidungen eigenverantwortlich – selbst in Großprojekten wie zuletzt jenem mit dem Linzer Anlagenbauer Primetals. Statt sich in internen Freigabeschleifen wundzulaufen, erfährt er in Kunden-Feedbacks alles, was er wissen muss. Das macht das Unternehmen ungewöhnlich schnell: In wenigen Wochen entwickelte Mosers Team die App zur Zustandsüberwachung von
Anlagen zur Stahlerzeugung restlos aus. Die freundschaftliche Dynamik im Unternehmen sei der Nährboden für den Technologieerfolg, sagt Moser, der wenig von der Motivationskunst eines Steve Jobs (O-Ton Moser: „Einfach menschenverachtend“) hält: Statt einem Klima, in dem Mitarbeiter kompetitiv gegeneinander ausgespielt werden, „haben wir ein Kernteam aus Freunden“, so Moser.
Der Engagierte
Helmut Krämer, 43, Senior Developer Tieto Austria
Sein Brötchengeber fordert mit Nachdruck Mut zu Fehlern ein: Helmut Krämer, handverlesener Microsoft-Tester, gibt das durch entwicklerische Glanzstücke zurück.
Gothic Rock und Großrechner: Helmut Krämer ist durch und durch ein Kind der Achtziger. Doch auch das neue Jahrtausend ist für Krämer (O-Ton: „Nicht alle Entwickler schauen so aus wie ich“) technologisch reizvoll: Seit wenigen Wochen experimentiert Krämer mit Microsofts Augmented-Reality-Brille HoloLens. Wer die Branche kennt, weiß, dass das einem Ritterschlag gleichkommt: Der 43-Jährige, bestens in der Windows-Phone-Entwicklergemeinschaft vernetzt, hat eins der raren Testexemplare aus Redmond abgestaubt. Sein Arbeitgeber, die Österreich-Tochter des finnischen börsenotierten IT-Integrators Tieto, hat dem „Helmut“, wie ihn am Wiener Standort alle nennen, ein optimales Umfeld geschaffen: Freigespielt dafür, „mit cooler Technologie zu experimentieren“, solange denn auch die Unternehmensmaxime Vorwärtsorientierung eingelöst ist, ist der Mut zum Fehler fast schon Teil von Krämers Job-Description. Dass dabei schon Hunderte bezahlte Arbeitsstunden in Community-Treffen des Software-Nerds flossen, sieht sein Arbeitgeber entspannt: „Das war zumindest bisher kein Grund, dass die Firma nicht hundertprozentig hinter mir steht“, sagt Krämer.
Der Tempomacher
Harald Loos, 47, Leiter Corporate Technology, Siemens Österreich
Rasanter Softwareentwicklung gehört die Zukunft: Harald Loos hat mit dieser Meinung gleich einen ganzen Konzern hinter sich.
Agiles Management bis weit hinein in die Entwicklungsarbeit: Harald Loos hat damit kein Problem. Schließlich sei es das Ziel der Siemensianer, als erster Anbieter ein voll funktionsfähiges „Platform as a Service“-Analytics-Ökosystem für die Industrie auf den Markt zu bringen. Den schnelleren Marktstart, darauf zielt auch Loos ́ Abteilung – er leitet die hundert Kopf starke Siemens-Technologieentwicklung in Österreich – ab. Die CTO- Vorgabe, im App-Zeitalter „Expertise vor Hierarchie“ zu stellen, sieht Loos bis in seine Abteilung, die einfachere Web-Konfiguratoren entwickelt, erfüllt. Agile Softwareentwicklung – das stark vernetzte Entwickeln und Testen in kurzen Zyklen – treibt Loos. Und er darf zu jeder Zeit mit Konzernunterstützung rechnen: Regelmäßig verteilt Siemens an hunderte Mitarbeiter Investorengelder in Gesamthöhe von 500.000 Euro, um die Belegschaft an der Technologieausrichtung partizipieren zu lassen. Hilfreich: Wissen zapft man vorurteilsfreier als früher an, um an Tempo im Innovationsprozess zuzulegen: „Wir forcieren Forschungskooperationen mit Kunden und Partnern, wie beispielsweise unser Forschungsprojekt Seestadt Aspern als Joint Venture mit Wien Energie und Wiener Netze“, spitzt Loos zu.
Der Direkte
Hans Truppe, 48, Koordinator für Industrie 4.0, Infineon Technologies Austria
Mehr Freiraum für Innovation geht nicht: Hans Truppe ist Österreichs erster und bislang einziger Vollzeit-Industrie-4.0-Beauftragter.
Das Hearing lief gut. Ausgezeichnet sogar. Vor dem versammelten Vorstand präsentierte Hans Truppe über zwei Stunden seine Vision einer vollvernetzten Welt. Das kam an. Truppe, über ein Jahrzehnt Leiter des Moduls Liniensteuerung, setzte sich in einem größeren Bewerberfeld um den Posten des Projektleiters Industrie 4.0 bei Infineon in Villach durch. Für den gelernten Wirtschaftsingenieur – Diplomarbeitsthema: „Einführung einer Fließfertigung in der Lochzargenproduktion“ – eine Zäsur: Die allmorgendliche Schichtleiterrunde um sieben Uhr früh muss er jetzt nicht mehr drehen. „Dafür habe ich mehr kreative Möglichkeiten“, sagt Truppe. Eine Untertreibung. Sein Posten ist in der Produktionswelt 2016 immer noch eine Anomalie, das weiß er auch: Unter- nehmen, die für Industrie 4.0 ein Vollzeitgehalt springen lassen, sind rar. Eine Skurrilität angesichts von Truppes Zwischenbilanz: Big Data, maschinelles Lernen, Simulation – über 40 Projekte hat Truppe mit Stand August unter seiner Obhut. Besser vernetzt als Truppe ist bei Infineon kaum einer. Längst laufen Informationsflüsse in Unternehmen anders – ein Witzwort in der Kantine kann ebenso Inspiration sein wie ein nächtlicher Blog-Eintrag. Truppe ist das perfekte Beispiel dafür: Bei einer Mitarbeiterveranstaltung unter anderem zum Thema „Big Data im Lackierprozess“ zweigte Truppe gleich ein Thema – einen intelligenten Algorithmus für die Prozessoptimierung – für die eigene Fertigung ab. Flugs machte er die deutsche Mutter zur Handlungstragenden: „Jetzt sollen auch andere mit der Idee spielen“, sagt Truppe.
Der Experimentelle
Michael Petruzelka, 42 Leiter Technologieentwicklung Keba
Neue Technologien stellt Michael Petruzelka, Entwicklungsleiter Keba, lieber früher als später auf die Probe. Eine schlanke Organisation hilft ihm dabei.
Michael Petruzelka kann nicht anders. Entwickelt er einer Technologie gegenüber eine starke Emotion, dann muss er sie erproben. Seinen rund 30 Kollegen aus der Softwareent- wicklung geht es nicht viel anders. Eine kleine Demo, ein schneller Mockup – und sofort ist klar, „ob der Ansatz weiterverfolgt werden soll“, sagt Petruzelka. In die Hände spielen dem Leiter der Technologieentwicklung bei Keba dabei frei programmierbare Open-Source-Tools, von Profis Arduino-Plattformen genannt. Und ein Betriebsklima, das Eigenverantwortlichkeit stärkt, ohne dass sofort Anarchie und Chaos losbricht. Das fängt bei Kleinigkeiten an. War früher selbst für kleine Besorgungen ein sogenannter Betriebsmittelanforderungszettel mit zweifachem Durchschlag auszufüllen, besorgen sich Mitarbeiter Werkzeug, das sie zum Innovieren benötigen, heute einfach per interner Beschaffungsplattform selber. „Zwei Tage später liegt es am Tisch“, sagt Petruzelka. Entwicklungsprozesse wurden auf Geschwindigkeit getrimmt: SCRUM-Programmierperioden – also kurze Sprints mit starker Kundenausrichtung sorgen beim Industrieautomatisierer für weit weniger internen Abstimmungsaufwand. Petruzelkas Motto: „Schnell ausprobieren, schnell umsetzen. Und notfalls schnell verwerfen“.