Pharmaindustrie : Pharmaindustrie und Lieferengpässe: Parallelexporte verbieten?

Pfizer Austria Standort Orth an der Donau Pharma Pharmaindustrie Chemie Chemische Industrie Medikament
© Pfizer Corporation Austria

Der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) hat einen neuen Präsidenten. wurde Philipp von Lattorff, Chef des Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna (RCV), von den rund 120 Pharmig-Mitgliedsfirmen in diese Position gewählt. Stabile und voraussehbare Rahmenbedingungen sowie Patientenorientierung stehen für ihn im Mittelpunkt, sagte er im APA-Interview.

Der gebürtige Deutsche ist für den deutschen Pharmakonzern von Wien aus für das Geschäft in rund 30 Staaten Mittel- und Osteuropas sowie Zentralasiens verantwortlich. Er folgt als Pharmig-Präsident Martin Munte (Amgen), der innerhalb seines Konzerns eine neue Position außerhalb Österreichs angenommen hat. Die Pharmig vertritt als Verband mehr als 100 in Österreich agierende Pharmaunternehmen - von kleinen lokalen Unternehmen bis hin zu großen internationalen Firmen mit Produktion wie eben Boehringer Ingelheim, Sandoz (Novartis) und die Österreich-Zweigstellen der größten Konzerne wie Novartis, Sanofi, Glaxo SmithKline (GSK), Merck, Sharp & Dohme etc.

"Es sind rund 120 Unternehmen. Sie haben aber eine interessante Schnittmenge. Standardthemen sind stabile Rahmenbedingungen und der schnelle Marktzugang. Mit den großen Rahmenbedingungen sind wir ganz zufrieden. Mit dem Pharmamarkt bzw. seiner Entwicklung bin ich nicht zufrieden", sagte Lattorff.

In Österreich als einem der reichsten Staaten der Erde mit einem an sich funktionierenden Gesundheitswesen werden allerdings seit einiger Zeit und immer intensiver Lieferengpässe bei den verschiedensten Arzneimitteln kritisiert. "Die Verfügbarkeit von Arzneimitteln ist für die Patienten am wichtigsten. Dass wir produktionsbedingt nicht liefern können, ist nur zu einem kleinen Teil für Probleme verantwortlich. Der größere Teil liegt im Export von Arzneimitteln. Großhändler und Apotheken machen sich ein Körberlgeld. Sie sammeln auf dem österreichischen Markt Arzneimittel ein und verkaufen sie in die EU", erklärte der neue Pharmig-Präsident.

Lukriert wird dabei der Preisunterschied für jeweils "interessante" Pharmaprodukte zwischen Österreich und anderen europäischen Ländern. Ziel ist oft der deutsche Markt mit höheren Preisen. "Das können (pro Packung bei teuren innovativen Medikamenten; Anm.) dreistellige Summen sein", sagte Lattorff. Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog ergänzte dazu in dem Gespräch: "Teilweise geht es um den Faktor zehn."

Die Problematik betrifft beispielsweise Biotech-Medikamente, hoch spezifische Onkologika und andere innovative Medikamente, bei denen es zwischen prinzipiell vergleichbaren Staaten ein Preisgefälle gibt. Dieses Geschäft ist der klassische "Parallelimport" bzw. "Parallelexport". Um das zu vermeiden, haben zahlreiche Pharmakonzerne ihre Produkte aus dem österreichischen Pharmagroßhandel genommen. Geliefert wird nur noch über Pharma-Logistik-Unternehmen an die Apotheken - und eben nur eine für den österreichischen Markt erwartbare Menge. "Ich habe eine Produktions-Vorlaufzeit für solche Produkte von neun Monaten", sagte Lattorff. Wenn dann flinke Händler das Kontingent für Österreich nach außen verkauften, kann es Engpässe geben.

Was man beispielsweise dagegen tun könnte, wie der neue Pharmig-Präsident erklärte: "Man braucht nur ein gescheites Gesetz aufsetzen." Ob die Legistik einem Vorschlag auf Verbot von Exporten - zum Beispiel rezeptpflichtiger Arzneimittel - folgen könnte, wird von manchen Experten mit Hinweis auf den EU-Grundsatz des freien Binnenmarktes bezweifelt. Die auch in Österreich umgesetzte EU-Richtlinie zur Erhöhung der Fälschungssicherheit von Arzneimitteln samt Identifizierbarkeit von Herkunft und Verkaufsweg jeder einzelnen Arzneimittelpackung per Code sollte auch eine genaue Nachverfolgbarkeit von Produkten erlauben.

Rahmenvertrag mit Hauptverband ausgelaufen

Beim Pharmamarkt insgesamt schlägt derzeit die noch von der türkis-blauen Bundesregierung beschlossene Neuordnung des Krankenkassenwesens in Österreich durch. In der jüngeren Vergangenheit trübte sich das Verhältnis zwischen Industrie und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger ein.

Eine Konsequenz: Der sogenannte Rahmen-Pharmavertrag, über den die Pharmaunternehmen seit 2008 umsatzabhängig sogenannte "Solidarbeiträge" an den Hauptverband refundierten, lief Ende 2018 aus und wurde nicht mehr durch eine neue Vereinbarung ersetzt. Dabei handelte es sich 2016 um 125 Millionen Euro, im Jahr 2017 und 2018 um insgesamt an die 160 Millionen Euro.

Eine Nachfolgeregelung existiert bisher nicht, den Hauptverband der Sozialversicherungsträger wird es in Zukunft auch nicht mehr geben - abgelöst durch einen Dachverband. Ein Neustart ist angesagt. "Der Rahmen-Pharmavertrag hat zehn Jahre gute Dienste geleistet. Zuletzt wurden aber völlig übertriebene Summen (an den Hauptverband der Sozialversicherungsträger; Anm.) überwiesen", sagte Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog. Man sei in Gesprächen. Ob es überhaupt eine neue Vereinbarung geben werde, könne man aber derzeit nicht sagen.

Pharmig-Präsident Philipp von Lattorff sieht in den im Vergleich zu ähnlichen Staaten wie Österreich vergleichsweise niedrigen Preisen Grund für Unzufriedenheit mit der Marktsituation. Das gelte auch für die Generika: "Medikamente, deren Patent ausgelaufen ist, stehen unter einem extrem hohen Preisdruck." Hier fehle eine Anpassung. "Die einzigen Preise, die runtergehen, sind (in Österreich; Anm.) die Pharmapreise." Auch das sei ein Faktor, der dazu führe, dass es für viele Arzneimittel jeweils nur noch wenige Produzenten gebe. Vor allem für die Hersteller - oft kleinere österreichische Pharmaunternehmen - von Medikamenten mit Packungspreisen unter der Rezeptgebühr wünscht sich die Pharmig eine Indexierung orientiert an der Inflationsrate, um Produzenten und Produkte auf dem Markt zu halten.

"Transparenz und Nachvollziehbarkeit" bei schneller (Kassen-)Marktzulassung innovativer Arzneimittel nannte Lattorff als weiteres Anliegen. Hier geht es um zum Teil sehr hochpreisige Arzneimittel im patentgeschützten Bereich, manche haben für ihren Anwendungsbereich vorübergehend eine Exklusivstellung.

Vor einigen Jahren sorgten die ersten hoch wirksamen und die Krankheit zu fast hundert Prozent ausheilenden Hepatitis C-Medikamente wegen ihrer Preise für Diskussionen. Für die sogenannte CAR-T-Zelltherapie gegen bestimmte Blutkrebsformen kann derzeit von einem Listenpreis von 320.000 Euro ausgegangen werden. Auch die Preise für neue Therapien bei angeborenen Muskelerkrankungen und jene von neuen Onkologika stehen in Diskussion. "Das sind extrem innovative Therapien mit extrem aufwendiger Herstellung", sagte Lattorff. Für die damit behandelten Erkrankungen habe es bisher keine Heilungsmöglichkeit gegeben. Bei der Pharmig will man auf diesem Gebiet auch neue Zahlungsmodelle propagieren. Bei den CAR-T-Zelltherapien verringert sich für die behandelnden Krankenhäuser beispielsweise der Preis bei mangelndem Therapieeffekt.

Insgesamt sei es aber trotz aller Schlagzeilen über die Preise für solche Therapien zu keiner Destabilisierung des Gesundheitswesens und seiner Finanzen gekommen, betonte Herzog im APA-Gespräch: "Die Pharmaquote (Anteil der Ausgaben für Arzneimittel im Gesundheitswesen; Anm.) liegt konstant bei etwa 13 Prozent." 2017 flossen 38 Prozent der Gesundheitsausgaben in Österreich in die Spitäler, knapp 25 Prozent in den ambulanten Bereich (niedergelassene Ärzte). (apa/red)

In einem reichen Land wie Österreich mit seinem solidarischen Sozialversicherungs- und Krankenkassensystem sollte die Arzneimittelversorgung eigentlich kein Problem sein. Doch es knirscht offenbar immer wieder im Getriebe. Das Problem von Lieferengpässen ist komplex und - je nach betroffenem Arzneimittel - auf unterschiedliche Ursachen zurückzuführen.

Einerseits geht es um die sogenannte Kontingentierung hoch innovativer und teurer Medikamente, zum Beispiel bestimmte Biotech-Arzneimittel. Auf der anderen Seite kommt es immer wieder zu Produktionsproblemen zunehmend weniger Wirkstoffproduzenten in anderen Weltregionen, zum Beispiel in China oder Indien.

Bei innovativen, in der Herstellung komplizierten Biotech-Präparaten kann es durch die sogenannte Kontingentierung zu Problemen kommen. Die österreichischen Niederlassungen internationaler Pharmakonzerne erhalten nach der Markterwartung vorausberechnete und vorbestellte Mengen. Um das Aufkaufen und den Export ins teurere EU-Ausland durch Pharmagroßhändler und offenbar auch durch Apotheker zu unterbinden, versorgen die Konzerne den Markt nicht über den Pharmagroßhandel, sondern über Pharmalogistik-Unternehmen. Anfangs bedeutete das für die Patienten zum Teil längere Vorlaufzeiten, bis das Medikament in der Apotheke nach Bestellung auch wirklich vorhanden war.

"Das hat man in den Griff bekommen. Binnen einem Tag ist das bestellte Arzneimittel da", sagte dazu ein Apotheker gegenüber der APA. Doch österreichische Apotheken könnten sich bald auch außerstande sehen, diese Arzneimittel überhaupt zu bestellen. "Die Logistikunternehmen haben ein Zahlungsziel von wenigen Tagen. Wenn eine Packung zum Beispiel 10.000 Euro kostet, muss ich das vorfinanzieren. Die Krankenkasse zahlt erst nach einigen Wochen. Bei einem Rezept geht das. Aber kommen in einer Woche mehrere Patienten mit Rezepten auf solche Arzneimittel, ist das finanziell unmöglich", sagte der Apotheker. Normalerweise - bei Bezug via Pharmagroßhandel - übernimmt der Grossist die Zwischenfinanzierung, bis die Krankenkasse zahlt.

Die Pharmig als Verband der österreichischen Pharmaindustrie verwies darauf, dass bei rund 13.000 Pharmaprodukten eine Lieferfähigkeit von 99 Prozent gegeben sei. Doch ist ein wichtiges Medikament nicht verfügbar - wird das für die betroffenen Patienten, deren Ärzte und Apotheker zum Problem. "Von heute, 13.00 Uhr, bis um 17.26 Uhr habe ich drei Nachrichten über Lieferausfälle erhalten", sagte vergangenes Jahr ein oberösterreichischer Krankenhausapotheker. Es handelte sich bei den plötzlich fehlenden Arzneimitteln um zwei wichtige Krebsmedikamente und ein auf Intensivstationen eingesetztes Antibiotikum.

Ein anderes Beispiel, wie ein Krankenhausapotheker vor wenigen Tagen schilderte: Ein Produzent ließ plötzlich zwei Stärken eines bei fast jeder Narkose verwendeten Beruhigungsmittels auf. Von einem Tag auf den anderen musste umdisponiert werden. Ein extrem wichtiges Arzneimittel für viele Patienten, ein Präparat mit niedermolekularem Heparin, sei seit Monaten immer wieder nicht lieferbar. Der Eigentümer einer öffentlichen Apotheke wiederum sagte: "Wir sind heute bei unserem Großhändler mit weit mehr als 200 Produkten vorgemerkt, die wir erhalten sollen, wenn sie wieder verfügbar sind." Eine Wiener Hausärztin sagte: "Seit einiger Zeit ist ein bei Patienten oft verwendetes und von den Krankenkassen bezahltes Venenmittel nicht verfügbar. Das macht die Patienten unruhig."

Ein Teil der Problematik liegt in der zunehmenden Monopolisierung der Wirkstoffherstellung. "Wo es früher sieben Anbieter gab, sind es nur noch zwei. Die Lieferausfälle betreffen zumeist Medikamente, deren Herstellung sehr aufwendig ist und die einen sehr niedrigen Preis haben", sagte vergangenes Jahr ein Experte der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. Schon der Ausfall eines Produzenten durch technische Schwierigkeiten etc. könne dann zu einer extremen Verknappung der vorhandenen Mengen bei dem jeweils betroffenen Arzneimittel führen.

"Engpässe bei der Versorgung mit Arzneimitteln sind nicht akzeptabel", kritisierte die Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer, Ulrike Mursch-Edlmayr, nach dem Aufflammen der Diskussion über Probleme in der Arzneimittelversorgung. "Arzneimittelengpässe sind eine fatale Folge der scheinbar grenzenlosen globalen Liberalisierung. Die Politik muss der ungeregelten Marktliberalisierung im Gesundheitsbereich aktiv entgegentreten, auf nationaler Ebene ebenso wie EU-weit."

Zu qualitätsbedingten Engpässen - für international großes Aufsehen erregte die Kontamination von Blutdruckmitteln (bestimmte Sartane; Anm.) mit potenziell toxischen Substanzen aus chinesischer Produktion - kann man sich auf der Website des Bundesamtes für Arzneimittelsicherheit im Gesundheitswesen unter https://medicineshortage.basg.gv.at informieren. (apa/red)