Analyse : Österreichs Autozulieferer: "Wir gehören wieder zurück an die Weltspitze"

Ein Lager voller Autoteile bei einem Zulieferer
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Wenn Dietmar Schäfer vom "Autoland Österreich" spricht, dann hat das durchaus seine Berechtigung. Etwa 900 Betriebe in diesem Land sind teilweise oder ganz als Zulieferer der Autoindustrie tätig. Rund 80.150 Menschen arbeiten direkt in diesem Sektor. "Indirekt sichert die Branche über 210.000 Arbeitsplätze hierzulande", sagt Schäfer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Automotive Zulieferindustrie.

Branche mit sehr großer Bandbreite

Viele der Unternehmen produzieren ausschließlich für die Autoindustrie. Einige wenige, wie Magna Steyr, fertigen ganze Fahrzeuge, bei anderen macht die Belieferung dieser Industrie nur einen Teil am Gesamtgeschäft aus. Entsprechend groß sei in Österreich die Durchdringungsrate und die Bandbreite der Hersteller, so Schäfer – anders übrigens als in Deutschland, wo sich viele Autozulieferer vor allem auf eben dieses Geschäft konzentrieren. So zählt die Arge Automotive Zulieferindustrie etwa Unternehmen aus sechs verschiedenen Industrieverbänden zu ihren Mitgliedern – von der Stahlindustrie über Nichteisenmetall und Elektronik bis zu Chemie, Textil und Lederverarbeitern.

Wachstum auch 2018 weit über dem Durchschnitt

Auch der volkswirtschaftliche Faktor sei enorm, so Herwig Schneider, Chef des Industriewissenschaftlichen Instituts IWI. Laut Berechnungen des Instituts ergibt sich für den Sektor Automotive nach vorläufigen Zahlen des Wifo allein für 2018 ein Produktionswert von 24,4 Milliarden Euro. Das entspricht einem Wachstum von sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. "Unsere Betriebe behaupten sich am Weltmarkt und erzielen laufend Rekordergebnisse", sagt Schäfer. In den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten habe die Branche bis auf 2009 jedes Jahr Wachstumsraten weit über dem Durchschnitt erreicht. Dazu: Österreichs Konjunktur: Abkühlung auf hohem Niveau >>

Druck steigt: Am Standort Österreich, am Weltmarkt und mit neuen Technologien

Ob das allerdings so bleiben wird, ist in diesen Tagen weit weniger klar als es scheint. "Prognosen zufolge wird sich die Automotive Industrie in den nächsten fünf bis zehn Jahren stärker verändern als in den vorangegangenen fünfzig Jahren", heißt es in einer Studie des IWI zur aktuellen Lage. Gleich von mehreren Seiten steigt derzeit der Druck auf die Autozulieferer: Am Standort Österreich, am Weltmarkt, mit Elektroautos, Roboterautos und Künstlicher Intelligenz.

Standort Österreich: Attraktivität stagniert

Der heimische Standort verfügt aus Sicht der Hersteller "über eine gute Ausgangslage", hat aber nach Berechnungen des IWI in den vergangenen Jahren gegenüber der Schweiz, Deutschland und Großbritannien an Attraktivität eingebüßt. "Die österreichische Autozulieferindustrie gehört eigentlich an die Weltspitze, doch bei den meisten Standortfaktoren gab es in den letzten Jahren eine Stagnation oder sogar eine geringfügige Verschlechterung", sagt Herwig Schneider. Der IWI-Chef verweist dabei auf Faktoren wie Infrastruktur, Bildung, Forschung und Steuern. Den größten Verbesserungsbedarf ortet das Institut bei der "Flexibilität" der Löhne, der Dauer von Unternehmensgründungen, der Bildung und der Steuerrate, die in Österreich viel höher sei als in anderen Ländern.

Flexible Arbeitszeiten: Arbeitgeber müssen überzeugen

Wenig überraschend dagegen die positiven Worte der Branchenvertreter zur Flexibilisierung der Arbeitszeit. "Alles, was flexibler macht, kann kein Fehler sein", sagt Dietmar Schäfer, der sich zugleich gegen gängige Argumente der Ausbeutung von Beschäftigten wendet: "Unternehmen stehen bekanntlich im scharfen Wettbewerb um gute Ingenieure und Fachkräfte. Und wenn Sie da nicht in der Lage sind, attraktive Bedingungen am Arbeitsplatz zu bieten, haben Sie keine Menschen. Wir sind daher auch bei flexiblen Arbeitszeiten alle darauf angewiesen, Beschäftigten attraktive Bedingungen zu bieten.

Weltmarkt: Keine Panik beim Brexit

International ist in diesen Tagen die Entwicklung für die extrem exportorientierte Branche mehr als dynamisch. Was kommt etwa mit dem Brexit? Die Einschätzung von Dietmar Schäfer dazu überrascht: "Die Nervosität in den Betrieben ist natürlich da. Aber wie sehr der Brexit zulasten österreichischer Autozulieferer gehen wird, ist derzeit offen." Sehr viele heimische Zulieferer hätten demnach FCA-Verträge: "Das heißt, die Produkte werden in der Regel abgeholt, der Grenzübertritt geschieht nicht in ihrem Namen. Anders ist das im Einkauf, bei Lagern wird der Bedarf steigen." Schäfer verweist hier aber auch auf ausgleichende Effekte, etwa, dass parallel zu steigenden Zöllen das britische Pfund fallen könnte. Insgesamt zeigt sich der Branchensprecher bei diesem Thema jedoch durchaus gelassen: "Die Entwicklung wird wohl nicht mit dem Schlagbaum an der Grenze enden."

China: Einsetzende Flaute

Ein großes Thema ist derzeit auch China -- gleich in mehrerer Hinsicht. Bei der Konjunktur zeigt der Druck Washingtons Wirkung: Die Verkaufszahlen bei Autos gehen gerade zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten zurück, die Wirtschaft Chinas wächst so langsam wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr.

Zwar passiert der Rückgang derzeit vor allem im chinesischen Massenmarkt. Der von deutschen Autobauern, den wichtigsten Auftraggebern heimischer Hersteller, dominierte Premiummarkt legt aktuell weiter zu. Trotzdem dürfte diese Entwicklung auf dem weltgrößten Automarkt für Zulieferer nicht ohne Folgen bleiben. Bekanntlich meinte VW-Chef Herbert Diess erst vor wenigen Tagen, dass sich "die Zukunft von Volkswagen" in China entscheiden werde. Für viele Autozulieferer gebe es geschäftlich keine Alternative zum Reich der Mitte, heißt es auch beim Münchner Ifo-Institut: "Indien, Indochina oder Afrika sind keine Ersatzmärkte."

Firmenübernahmen als Thema

Gleichzeitig ist in Europa die aggressive Einkaufstour chinesischer und asiatischer Unternehmen ein Thema. Investoren aus Übersee übernehmen mit Vorliebe Firmen im Hightechsektor -- etwa im Vorjahr den Wieselburger Autozulieferer ZKW, der inzwischen zum südkoreanischen Konzern LG Electronics gehört. Doch anders als in Deutschland, wo seit Jänner bei Firmenübernahmen schärferer Regeln für ausländische Investoren gelten, sei das in der österreichischen Zulieferindustrie gerade kein Thema, sagt Dietmar Schäfer. Auffällig sei trotzdem, um wie viel leichter chinesische Firmen offenbar an Kapital kämen, so Schäfer weiter.

Entwicklung in Deutschland am wichtigsten

Relevanter als China ist für heimische Zulieferer die nachlassende Konjunktur in Deutschland, dem mit Abstand wichtigsten Exportmarkt. Hier haben Statistiker zuletzt weitere Rückgänge gemeldet, sowohl bei der Produktion als auch beim Auftragseingang. "Hier müssen wir ein Auge drauf haben", sagt Herwig Schneider vom IWI.

Elektromobilität: Optimismus überwiegt

Technologisch ist neben der umfassenden Digitalisierung des Autofahrens vor allem die Umstellung auf Elektroautos der große Treiber. Die Arge Automotive Zulieferindustrie zitiert hier Prognosen, wonach im Jahr 2030 Elektroautos ein Viertel des Weltmarktes ausmachen werden. Das große Problem für die Zulieferer: Das Hautgeschäft wird in den nächsten Jahren trotzdem mit traditionellen Antriebstechnologien erwirtschaftet. Die Branche muss also massiv in Elektromobilität investieren und gleichzeitig beim Verbrennungsmotor wettbewerbsfähig bleiben. Hinzu kommen Verschärfungen bei Emissionen und der neue Mess-Standard WLTP.

Eine andere Stimmung als in so manchem Werk von VW

Doch anders als in manchem Werk von Volkswagen ist bei österreichischen Herstellern keine düstere Stimmung zu spüren: In einer Umfrage des IWI meinen ganze 77 Prozent, dass Elektromobilität "Chancen für neue Geschäftsfelder im eigenen Unternehmen eröffnet". Und 85 Prozent stimmen ganz oder teilweise der Aussage zu, dass Elektromobilität ökonomischen Aufschwung nach Österreich bringen werde.

Dietmar Schäfer nennt den Grund für den Optimismus: "Die überwiegende Mehrzahl der Betriebe im Land ist nicht direkt am Antriebsstrang unterwegs und beliefert Elektroautos genauso wie Verbrenner. Zum Beispiel mit Airbags oder Lichtsystemen. Wir sind hier wie dort in Prozessen drin. Man will uns, weil wir es können und etwas zu bieten haben."

Politik als zentraler Treiber für Elektroautos

Auch im Hinblick auf die realen Verkaufszahlen am Endkundenmarkt gibt sich Schäfer gelassen. Denn bekanntlich steigen die Zulassungszahlen für Elektroautos stark an - machen aber trotz aller Förderungen bis heute nur einen kleinen Bruchteil aller Zulassungen aus. "Elektromobilität ist medial ein großes Thema, aber in der Realität vor allem politisch getrieben. Die Gründe dafür sind für mich als Techniker nicht wirklich nachvollziehbar", sagt Schäfer und verweist darauf, dass Elektroautos weit weniger ökologisch sind als es scheint. Tatsächlich fahren Elektroautos heute großteils mit Strom aus Kohle, Gas oder Atomkraftwerken. Auch bei der Herstellung und Lebensdauer der Batterie kann von ökologischen Vorteilen nicht die Rede sein.

"Verbrenner hat noch viele Jahre sehr gute Chancen"

Hier erweist sich die starke Exportorientierung für die Autozulieferer wieder als Vorteil, weil in den verschiedenen Märkten die Umstellung auf Elektroautos sehr unterschiedlich verläuft. Herwig Schneider vom IWI meint dazu: "Ich glaube nicht, dass der Diesel tot ist. Der Verbrennungsmotor hat noch viele Jahre sehr gute Chancen am Markt."

Synthetische Kraftstoffe als Hoffnungsträger

Wichtiger seien einige Korrekturen bei Steuern und Förderungen. "Dass bei der Besteuerung jetzt der Verbrauch diskutiert wird, ist richtig. Zum Beispiel bei Hybridautos - die sind ökologisch der größte Blödsinn", so Schäfer. "Diese Fahrzeuge haben einen Fun-Faktor, weil in ihnen Elektromaschinen verbaut sind. Aber wer sagt, wie viel die wirklich elektrisch fahren?"

Viel interessanter wäre es, bei Steuervorteilen und Förderungen die Entwicklung synthetischer Kraftstoffe zu forcieren, so Schäfer. Diese Treibstoffe unter dem Schlagwort "Power-to-Liquid" werden mit Erneuerbaren hergestellt und ermöglichen eine vollkommen CO2-neutrale Mobilität. Konzerne wie Audi, Continental, Bosch oder auch BP forschen gerade an eigenen Entwicklungen.