Russland-Geschäfte : ÖIAG-Chef gegen "US-Diktat": Aus Siegfried Wolf wird kein Atlantiker mehr

Europa habe mit Russland "business" im Volumen von 360 Milliarden, die USA aber nur in Höhe von 30 Milliarden. "Schon aus diesen Zahlen heraus haben die Amerikaner kein Interesse, dass wir positive Beziehungen zwischen Europa und Russland aufbauen", meinte der Aufsichtsratschef des Russian-Machines-Konzerns von Oleg Deripaska. Menschenrechtsverletzungen und Annexionen "dulde auch ich nicht, das habe ich auch Wladimir Putin gesagt - der hat mir darauf den Kosovo entgegengehalten", meinte Wolf, der sich selbst als "Russlandversteher, Putinfreund und Putinversteher" charakterisierte: "Ich lebe und arbeite dort." Aber auch in Österreich sei man ja "nicht immer mit dem Bundeskanzler oder dem Vizekanzler einig". Der deutschen Kanzlerin Angela Merkel bescheinigte Wolf, sie habe bei der Ukraine-Krise "in der Verantwortung für Europa sehr professionell und sehr gut agiert". Schließlich habe ja auch Präsident Putin immer wieder ein stärkeres Eingreifen Deutschlands gefordert.

Zu den Möglichkeiten der Ukraine hat Wolf eine präzise Vorstellung: "Es kann nicht sein, dass ein Land wie die Ukraine, das zu 70 Prozent von Russland abhängig ist, sich von Russland abkoppeln will." Aus Sicht des Noch-AR-Chef der Staatsholding ÖIAG, die im Frühjahr zur ÖBIB GmbH ohne Aufsichtsrat mutieren soll, "sollte rasch klargestellt werden: Ukraine - ihr könnt nicht in die NATO, wir zahlen eure Schulden nicht, und ihr kriegt keinen europäischen Pass." Das würde der Regierung in Kiew "endlich einmal Zeit für Reformen geben", die derzeit nur "den ganzen Tag herumreisen und jammern darf, wer aller schuld ist".

Wer sein Land abschotte und wer nicht, zeige sich etwa daran, dass es sechs Millionen Arbeitsvisa für Ukrainer gebe, um in Russland arbeiten zu gehen, aber nur eine Million Arbeitsvisa für Russen in der Ukraine. Wolf: "Wir sollten schon auch selber versuchen, uns nicht nur von halb oder falsch recherchierten Nachrichten leiten zu lassen." Trotz aller aktuellen Probleme würden "die Russen im Herzen sehr gerne mit den Europäern zusammenarbeiten", plädierte der Russian-Machines-Manager in der "Presse"-Veranstaltungsreihe "Unplugged" im Festsaal der WU Wien für ein "Weitermachen" bei den wirtschaftlichen Kontakten. Speziell Firmen aus Österreich könnten der russischen Landwirtschaft und der Nahrungsmittelindustrie beim Ausbau der Fleisch- und Brot-Produktion helfen, etwa mit Förderbändern und Etikettiermaschinen. Es müsse ja in den Kühlregalen in Moskau nicht Milch aus den Niederlanden und Käse aus Frankreich stehen, "Käse aus Krasnodar muss genauso gut sein", dieses Nationalgefühl gelte es zu entwickeln.

"Hinter den Sanktionen stecken die Amerikaner": Hier geht's weiter

Hinter den westlichen Sanktionen gegen Russland würden die Amerikaner stecken, bejahte Wolf eine entsprechende Frage. Die Sanktionen isoliert betrachtet seien nicht das Problem, denn die Bevölkerung sei "traditionell krisenerprobt". Doch das Zusammenspiel mit Rubel-Verfall, Wirtschaftskrise und Ölpreisverfall setze dem Land schon zu. In der Autoindustrie etwa hätten jene Probleme, die Komponenten teuer importieren müssten, schließlich habe der Rubel die Hälfte seines Wert verloren. Die Notenbank habe zwar voriges Jahr gigantische Stützungskäufe getätigt, "aber schlecht orchestriert". Die Rubel-Talfahrt ist laut Wolf nun aber zum Stillstand gekommen: "Über die letzten sieben Wochen sehen wir doch mit zirka 75 Rubel pro Euro eine Stabilisierung", mit einem solchen Wert kalkuliere man auch bei Russian Machines. Der Konzern verzeichne mit seinem vor einem Jahr eingeführten neuen Lieferwagen antizyklisch einen Marktzugewinn von 8 bis 12 Prozent. Doch wie bei den Nahrungsmitteln mangle es auch bei Kfz am Lokalpatriotismus.

China erkenne angesichts der Abwendung Europas von Russland infolge der Ukraine-Krise seine Chance, stelle sich sehr freigiebig dar und wisse die aktuelle Situation für sich zu nutzen "und der russischen Wirtschaft ihren Stempel aufzudrücken". An Europa appellierte Wolf zur Kooperation: "Noch haben wir 'brain' und Russland Rohstoffe", das solle man "zusammenführen". Russland selbst sollte seine Produktion steigern und seine Rohstoff-Abhängigkeit reduzieren. Dass er für sein letztes Zeitungsinterview Kritik von Bloggern einstecken musste, versteht Wolf nicht: Er würde schon "einmal gern auch persönlich mit denen reden. Denn die sind weit weg von der Realität: Bei denen kommt der Strom aus der Steckdose und das Geld vom Bankkonto der Eltern." Sprachs und machte sich auf zu seiner "mit laufenden Propellern" wartenden Maschine nach Moskau zu einem Treffen mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten. (apa)