Erdgas : Nord Stream 2: Paris und Berlin finden in letzter Minute einen Kompromiss

In letzter Minute haben Deutschland und Frankreich ihren Konflikt um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 für russisches Erdgas beigelegt. Beide Regierungen präsentierten vor einer EU-Abstimmung über die Reform der europäischen Gas-Richtlinie einen Kompromissvorschlag, der dann von den anderen Mitgliedstaaten angenommen wurde. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte darauf die enge Zusammenarbeit mit Frankreich.

Erleichterung bei der OMV

Erleichterung gibt es wohl auch bei der österreichischen Mineralölfirma OMV. Die OMV hat zur Finanzierung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 bisher mit 600 Mio. Euro beigetragen - insgesamt entfällt auf die Österreicher ein Zehntel der gesamten Projektkosten von 9,5 Mrd. Euro. "Ich gehe davon aus, dass wir 2019 nahezu den Rest finanzieren werden", sagte OMV-Vorstand Manfred Leitner vor zwei Tagen. Kritik kam heute von den Grünen, die von einem Kniefall vor dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sprachen.

Ausgangspunkt des Konflikts

Das grundsätzliche Problem von Nord Stream 2: Gazprom organisiert den Bau und leitet mit seinen Partnern, darunter der OMV, die Finanzierung. Dafür will Gazprom auch später das alleinige Nutzungsrecht der Röhre - das heißt, über Nord Stream 2 soll ausschließlich russisches Gas nach Westeuropa fließen. Kritiker meinen, das sei so, als ob Volkswagen Autobahnen bauen würde, um danach ausschließlich Autos der konzerneigenen Marken darauf fahren zu lassen.

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Die Sorge besteht keineswegs nur in der Ukraine und in Polen, sondern auch in Brüssel und Paris. Das französische Außenministerium hatte vergangene Woche mitgeteilt, Paris wolle anders als Deutschland für eine Verschärfung der Regeln für Pipelines aus Drittstaaten stimmen. Dies hätte auch Folgen für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 haben können und das Projekt womöglich unwirtschaftlich gemacht.

Der Kompromiss: Erstes Abnehmerland zuständig, mehr EU-Kontrolle

Deutschland und Frankreich einigten sich dann Ende der Woche auf einen gemeinsamen Vorschlag zur Reform der Richtlinie. Nach ihm läge die Zuständigkeit für Pipelines mit Drittstaaten wie Russland grundsätzlich bei dem EU-Land, wo die Leitung erstmals auf das europäische Netz trifft. Im Falle von Nord Stream 2 wäre das Deutschland.

Die deutsche Bundesregierung habe mit der überarbeiteten Fassung der Gas-Richtlinie aber auch "europäische Kontrolle" über die Pipeline akzeptiert, hieß es aus dem Pariser Elysée-Palast. Demnach hat auch die EU-Kommission eine Kontrollmöglichkeit.

"Die Abhängigkeit vom russischen Gas machte uns Sorgen", sagte ein Mitarbeiter von Präsident Emmanuel Macron. "Deshalb war für uns eine europäische Kontrolle wichtig."

Jetzt sind Verhandlungen über Richtlinie zum Erdgashandel geplant

Diplomaten zufolge fand der deutsch-französische Kompromissvorschlag bei einem Treffen der EU-Botschafter in Brüssel "fast" einstimmige Unterstützung. Damit können die Verhandlungen mit dem Europaparlament über die endgültige Gas-Richtlinie beginnen. Laut EU-Kommission werden die Gespräche dazu voraussichtlich schon kommende Woche aufgenommen.

Nord Stream 2 soll Gas von Russland durch die Ostsee nach Deutschland transportieren. Einige EU-Staaten wie auch US-Präsident Donald Trump sehen das Projekt äußerst kritisch und eine wachsende Abhängigkeit Deutschlands von Moskau. Polen und die Ukraine als bisherige Transitländer für Gaslieferungen würden zudem geschwächt.

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Diplomaten berichten vom massiven Druck aus den USA

Einem EU-Diplomaten zufolge hatten die USA in den vergangenen Tagen und selbst noch kurz vor der EU-Sitzung am Freitag "enormen Druck" auf die EU-Hauptstädte ausgeübt mit dem Ziel, Nord Stream 2 zu verhindern. Dass die Gas-Richtlinie dann fast im Konsens verabschiedet wurde, sei "auch auf den wachsenden Unmut unter den EU-Staaten über die versuchte US-Einflussnahme zurückzuführen".

EU-Kommissar Oettinger für Wettbewerb bei der Nutzung der Röhre

Der deutsche Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) sprach sich für eine strenge Regulierung von Nord Stream 2 aus. "Wenn die Russen gezwungen werden, Gas von anderen Anbietern durchzuleiten, dann schmeckt ihnen das sicher nicht", sagte Oettinger der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten". Dies sei "aber im Interesse von Wettbewerb und niedrigeren Preisen". (afp/apa/red)

Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die Gas von Russland nach Deutschland bringen soll, kann weitergebaut werden. Die EU-Botschafter stimmten Ende vergangener Woche für einen von Deutschland und Frankreich eingebrachten Vorschlag zur Gas-Richtlinie der EU.

Die Regeln der EU sollten nach dem deutsch-französischen Kompromiss in eingeschränkter Form gelten. Zum Kompromiss über den Weiterbau der Gaspipeline, an deren Finanzierung auch die österreichische OMV beteiligt ist, schreiben die Zeitungen:

"Kommersant" (Moskau):

"Es ist noch zu früh, um endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen: Die Änderungsanträge können sich bei den Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament und dem EU-Rat noch ändern. Es ist auch möglich, dass sie nicht vor den im Mai geplanten Wahlen zum Europäischen Parlament angenommen werden. Eher ist es wahrscheinlich, dass sie nicht in diesem Jahr angenommen werden. Gazprom plant aber, den Bau von Nord Stream 2 im vierten Quartal abzuschließen."

"Trud" (Sofia)

"Der sogenannte Kompromiss könnte das 8,3-Milliarden-Euro-Projekt verzögern, dürfte aber kein bedeutendes Hindernis sein (...). Jedenfalls wird man in Moskau nicht besonders zufrieden sein, sollten sie die EU-Regeln zur Transparenz der Gaslieferungen und für nicht-diskriminierende Tarife berücksichtigen müssen - und vor allem, dass ein und dasselbe Unternehmen nicht zugleich Gaslieferant und Netzbetreiber sein darf.

Dies wird natürlich der Fall sein, wenn die Gas-Richtlinie bald verabschiedet und nicht verzögert wird. (...) Kenner der "europäischen Quadrille" meinen, dass das Thema bis nach den Wahlen im Mai für das Europaparlament - das auch das Sagen hat - aufgeschoben werden könnte. Während dieser Zeit könnte die russische Gazprom nach bewährter Praxis die Leitung ohne viel Lärm fertigstellen und sie frühzeitig noch vor Jahresende in Betrieb nehmen - in Wettlauf mit den europäischen Institutionen."

"Hospodarske noviny" (Prag):

"Im Kern besagt die geplante neue EU-Richtlinie, dass ein Erdgas-oder Erdöllieferant nicht zugleich die Pipeline besitzen darf. Das betrifft direkt das Projekt Nord Stream 2, was aus verständlichen Gründen Moskau nicht gefällt. Weniger verständlich ist die Haltung Berlins, das von Anfang an auf dem Standpunkt steht, dass Pipelines von Ost nach West eine rein kommerzielle Angelegenheit seien. (...) Zwar konnte der offene Streit zwischen Berlin und Paris über die neue EU-Richtlinie innerhalb von 24 Stunden mit einer Kompromissformel beigelegt werden, doch wird die Auseinandersetzung darüber weitergehen. Denn auch ein großer Teil der Abgeordneten im EU-Parlament übt deutliche Kritik an Nord Stream 2. Eines ist schon jetzt sicher: Derjenige Verhandlungspartner, der viel zerschlagenes Porzellan hinterlässt, ist Deutschland."

"Sme" (Bratislava):

"Die EU-Staaten haben sich auf eine "Kompromissversion der neuen Energie-Richtlinie" geeinigt. Wenn diese Formulierung jemandem nichts sagt, dann genauer: "Kompromiss" bedeutet die Ermöglichung des Baus von Nord Stream, also jener Erdgasleitung, die die Ukraine umgeht und damit zugleich auch für Polen und die Slowakei bedenklich unvorteilhaft ist. (...)

Man muss klar sehen: Wenn einmal diese Röhre im Norden in Betrieb ist, wird (der russische Präsident Wladimir) Putin immer seine Erpresserkarte eines völligen Stopps der Gaslieferungen an die Ukraine im Kartenstapel haben. Denn die Lieferungen an Deutschland sind ja dann nicht mehr gefährdet, sondern lassen sich leicht umlenken. Man kann das auch so sehen, dass (die deutsche Bundeskanzlerin Angela) Merkel zwar Putin in anderen Fällen nichts glaubt, bei Nord Stream aber ruhig seinen Zusicherungen vertraut. (...)

Mit dem Kompromiss kann Deutschland gut leben, Polen und die Slowakei weniger. Dabei stehen die Erhöhung der Energieabhängigkeit von Russland und die Gefahr einer Destabilisierung der Ukraine im diametralen Widerspruch zu den Interessen von ganz Europa." (dpa/apa/red)